Quellenangabe:
Migration und Gender: Interdisziplinäre Fragestellungen und Diskussion neuerer Untersuchungen (vom 05.02.2007),
URL: http://no-racism.net/article/1979/,
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[05. Feb 2007]
Die Kategorien Gender und Migration sind heute zentrale gesellschaftliche Merkmale. In diesem Text werden verschiedenen Aspekte weiblicher Migration, besonders der Arbeitsmigration, und deren geschlechtsspezifische Implikationen näher betrachtet.
In nationalstaatlich organisierten und gleichzeitig global orientierten Gesellschaften wird Migration reguliert. Die Einwanderungspolitik agiert durch ihre Praxen des Ein- und Ausschlusses als erste Instanz zur Selektion der EinwandererInnen. Yuval- David Anthias und Kofman machen einen Wandel der EU-Migrationsdebatte aus, in der das Thema zu einem der öffentlichen Sicherheit und Stabilität wurde, welche angeblich von kriminellen und terroristischen EinwandererInnen gefährdet werden. Seit dem 11. September 2001 intensivierte sich die Kriminalisierung von MigrantInnen und AsylwerberInnen, welche angeblich die europäischen Werte der europäischen Gesellschaften bedrohen. Diese vermeintliche Gefahr gestattete es in Großbritannien die Menschenrechte zeitweise außer Kraft zu setzen und rechtfertigte die Gefangennahme vieler EinwanderInnen. Diese Art der Thematisierung ist als Teil der Legitimation einer technokratischen und politischen Überwachung der Gesellschaft und der zunehmenden militärischen "Regulierung" von Migration zu betrachten. [Vgl. Yuval- David u.a. 2005].
Die StaatsbürgerInnenschaft soll die rechtliche Gleichstellung und umfassende Mitgliedschaft innerhalb einer Gesellschaft gewährleisten. Das Ideal des "Staatsbürgers" ist jedoch von Anfang an ein männliches: das eines besitzenden Mannes der in der Lage ist seine Existenz selbst zu gewährleisten. Frauen wird in diesem Konzept nicht die Möglichkeit gegeben Bürgerinnen zu werden, da die Möglichkeit auf Existenz sicherndes "Eigentum" per Definition ausblendet wird. Auch wenn in vielen Staaten und Teilsegmenten Frauen noch immer "BürgerInnen zweiter Klasse" zu sein scheinen, so ist die "Entrechtlichung" von MigrantInnen umfassender: Durch Migration verlieren Menschen ihre StaatsbürgerInnenschaft und somit auch ihre BürgerInnenrechte. MigrantInnen sind rechtlich und politisch keine BürgerInnen der Gesellschaft, sondern nur Mitglieder in einzelnen sozialen Teilsystemen. Dies ermöglicht die personelle Segmentierung der Bevölkerung in In- und AusländerInnen.
Zugehörigkeit konstituiert sich aus der Einschätzung der eigenen sozialen Stellung, die durch persönliche Erfahrungen mit Ausgrenzungen gewonnen wird. Vorstellungen über Zugehörigkeit produzieren eine "natürliche" Gemeinschaft und fungieren als ausschließende Grenzen für "Andere". Dem entsprechend besteht Zugehörigkeit auch aus der Dimension der Mitgliedschaft in verschiedenen sozialen Bündnissen. Grenzen sind starke Symbole für die Konstruktion von Gemeinschaft, sie trennen die Welt in Konzepte von "UNS" und "DENEN" und sind Ausdruck der Legitimität und des Souverän eines Staates. [Vgl. Yuval-David u. a. 2005]. Das Konzept der Zugehörigkeit kann auch in enger Verbindung mit nationalstaatlichen Grenzen stehen. Die "Straffung des staatlichen Betriebs im Machtstaat nach innen und nach außen" erfolgte von allem Anfang unter nationalistischen Auspizien [Vgl. Fenske 1987: 474]. Weitere wichtige Voraussetzungen waren zudem die Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks, der Aufstieg nationaler Volkssprachen als Schriftsprachen, der Niedergang des Lateinischen und das Wachstum des Kapitalismus sowie der gesellschaftlichen Mittelklassen usw. Traditionellem Patriotismus war moderner Nationalismus insofern überlegen, als er Menschen mobilisieren konnte, weil ein auch emotionales Wechselverhältnis von Ansprüchen des Einzelnen an die Nation und der Nation an den Einzelnen bestand. Zudem war er auch durch eine "offensive Haltung" gegenüber der Außenwelt charakterisiert [Vgl. Winkler 1985: 475].
In diesem Zusammenhang ist die Vorraussetzung des Spracherwerbs und der Verwendung der Landessprache auch zuhause zur Einwanderung nach Großbritannien eine Praxis der Exklusion deren kultureller Vergangenheit, Sozialisation und Sprache aus der Mehrheitsgesellschaft. Neuere Gesetze verlangen sogar einen schriftlichen Nachweis der Sprachkompetenzen. Die Politik des "sozialen Zusammenhalts" birgt die Gefahr Minderheiten dazu zu zwingen kulturelle Werte der Mehrheit zu übernehmen und "Fremde" als die Ursache sozialer politischer "Entfremdung" der Mehrheit zu konstruieren [Vgl. Yuval- David u. a. 2005].
Auch Familienmigration, die als bedrohlich für die Normen und Werte der Mehrheitsbevölkerung angesehen wird, da sie die Ausbreitung kultureller "Communities" ermöglicht, in einigen EU- Staaten zunehmend strenger kontrolliert. Der politische Fokus auf Scheinehen bewirke in Großbritannien die Erlassung neuer Gesetze, wie z.B. ein Gesetz welches es verbietet seinen Aufenthaltsstatus nach der Einreise zu verändern. Auch die Probezeit, in der das Paar mindestens zwei Jahre verheiratet bleiben muss, dient zur "Entlarvung" von Scheinehen. Da Männer häufiger höher qualifiziert sind kommen ihre Frauen häufig durch Familienmigration ins Land. Im Falle einer "schlechten Ehe", Scheidung oder Verwitwung kann die Frau daher deportiert werden. Diese Situation verstärkt soziale Ungleichheiten und weibliche Abhängigkeit innerhalb der Familien [Vgl. Yuval- David u. a. 2005].
In den letzten Jahren tat sich eine zunehmende Kluft zwischen den politischen und wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf die Einwanderung in die EU auf. Während die Regierungen versuchen die Einwanderung zu verhindern ist die Wirtschaft auf deren Arbeitskraft angewiesen. Zwar sind immer mehr Gesellschaften in dieser Zeit der Globalisierung bereit, ihre Mitglieder aus der Kontrolle der Sesshaftigkeit zu entlassen und gestatten diesen ein Mehr an Mobilität. Andererseits gibt es auf der Seite der Zuwanderungsgesellschaften mehr beziehungsweise neue Formen der Kontrolle, beispielsweise verschärfte Asylgesetzgebung. Von der Wirtschaft werden sowohl höher als auch weniger Qualifizierte benötigt. Häufig handelt es sich bei den weniger Qualifizierten um illegale MigrantInnen, die ohne Arbeitsgenehmigung weit unter dem Mindestgehalt entlohnt werden. Vor diesen versuchen sich die Staaten zu "verschließen", während höher Qualifizierte gerne aufgenommen werden: Dass 2002 in Großbritannien ins Leben gerufene "Highly Skilled"- Programm beispielsweise erlaubt es vor allem jenen, die hoch qualifiziert (und meist männlich) sind sich dauerhaft nieder zu lassen. [Vgl. Yuval- David u.a. 2005].
Die Umstrukturierung der Arbeit im Nimbus von Globalisierungsprozessen und Deregulierung funktioniert geschlechtsspezifisch und trennend.
Durch die Produktionsverlagerungen seit Ende der 60er Jahre wurde eine zunehmende Reihe von Frauen in den Welterwerbsmarkt eingegliedert. In diesen exportorientierten, arbeitsintensiven Industriebranchen der Freihandelszonen mit ihren informalisierten Hinterhof- und Heimarbeits- Arbeitsstätten handelt es sich vor allem um unregulierte und minimal honorierte Zeitarbeitsverhältnisse. Das Anschwellen des Dienstleistungssektors begünstigt den Sektor der informellen Arbeit. In abendländischen post- industriellen Gesellschaften ist in den letzten Jahren eine Trennung in eine hochqualifizierte, einträglich verdienende Dienstleistungsklasse einerseits und verstärkt ethnisierte und prekäre Sektoren andererseits zu registrieren. Der zunehmenden wirtschaftlichen Ausbeutung und Entrechtlichung steht ein Anstieg neuer Chancen aufgrund des eigenen Einkommens gegenüber. Es ist im Rahmen des neoliberalen Wandels auch in den Industrienationen eine Verschlimmerung der Arbeitsverhältnisse und Ausweitung des Niedriglohnsektors zu beobachten. Einige der informalisierten und schwierigen Arbeitsfelder formen nicht nur einen verweiblichten, sondern auch einen ethnisierten Ökonomiesektor. Unähnlich den GastarbeiterInnen der 60er und 70er Jahre, stehen MigrantInnen heute vor allem informelle Tätigkeiten in wenigen Arbeitsmarktsegmenten frei. Dies berührt vor allem Heimarbeit, Sweatshop-, Reinigungs-, Gastronomie- und Sexarbeit. Generell ist eine Feminisierung der Migration zu bemerken, wozu auch die zugrunde liegenden vergeschlechtlichten Umstände in den Herkunfts- und Zielländern zählen. Arbeitssegmente wie Prostitution und Hausarbeit werden immer mehr auf Migrantinnen abgestimmt [Vgl. Seppelt 2004a].
Nicht alle sich prostituierenden migrantischen Frauen werden von Frauenhändlern zwangsprostituiert, nur ein Teil der Migrantinnen sind vom Frauenhandel betroffen. Trotzdem arbeiten die betroffenen Frauen unter prekären Verhältnissen. Sie werden mit Bedingungen konfrontiert, die sie in Existenz bedrohende Unfreiheiten bringen, in Illegalität und in die zum Teil völlige Abhängigkeit von Kupplern. Die Migrationsstrategien der Sexarbeiterinnen sind gesellschaftliche Tatsache; die ungeheueren Lohnunterschiede machen auch niedrig entlohnte Arbeitsplätze in den Zielgesellschaften noch attraktiv. Aufgrund der globalen wirtschaftlichen Ungleichmäßigkeiten sollte diese selbstbestimmte Alternative aber nicht mit Freiwilligkeit verwechselt werden; die Schranken zwischen Prostitution und Zwangsprostitution sind oft nicht so streng wie sie zu sein scheinen [Vgl. Seppelt 2004b].
Im Zweig der Betreuungsarbeit zeigt sich die Verweiblichung der Migration darin, dass heute Frauen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa als Hausgehilfinnen oder Ammen in den Zielgesellschaften arbeiten und damit Verantwortlichkeit für das Familieneinkommen in den Herkunftsgesellschaften übernehmen. Weltumspannende Betreuungsketten entstehen auch, weil Pull- Faktoren der Migration die Anfrage nach Haushalts- und Kinderbetreuungsleistungen in den Zielgesellschaften angestiegen ließen. Hausarbeit wird dadurch in entlohnte Arbeit umgebildet, die als Dienstleistungen von außen bestellt werden. Die Nachfrage nach außerfamiliärer Fürsorge hat mit dem Wandel vom "Hausfrau- Ernährer" - Modell und dem Verloren gehen der Großfamilie zu tun. So vielgestaltig die Arbeitsgebiete (wie Kinder-, Altenbetreuung, Putzen, Waschen und Einkaufen) der betroffenen MigratInnen sind, so verschiedenartig sind auch die Beschäftigungsverhältnisse. Die Erscheinung der "neuen Dienstmädchen" ist zwar ein "Jobwunder", aber ein ungesetzliches: In der Schattenwirtschaft tut sich ein umfassender, aber informeller Arbeitsmarkt auf. Die MigrantInnen nehmen eine erhebliche soziale und gesetzmäßige Unsicherheit in Kauf, verfügen nur über ein geringes Einkommen und sind häufig Opfer (sexueller) Gewalt. Auch die Mutterliebe verschiebt sich: Während das in der Herkunftsgesellschaft zurückgelassene Kind zwar Ausbildungsgeld erhält, so erhält das Kind in der Zielgesellschaft einen "Mehrwert" an Liebe [Vgl. Vinz 2004].
Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft machen häufig aktive sexistische Suppression nur bei rassistisch ausgegrenzten Männern fest, wobei sie der patriachalen Mehrheitsgesellschaft unterbauen, dass Frauen dort gleichgestellt wären. "Der Sexismus wird ethnisiert und als Mittel gegen MigrantInnen genutzt" [S. Seppelt 2004a]. Immigrierte Frauen sind die Adressatinnen stereotypisierender Zuschreibungsprozesse: Sie werden als die "Trägerinnen" der ursprünglichen Kultur der MigrantInnen fixiert. Sie erhalten die Kultur der Herkunftsgesellschaft innerhalb der "communities". Die in den letzten Jahren stets omnipräsente Kopftuchdebatte, die von den MachthaberInnen wann immer möglich zur Polemisierung der kulturellen "Unterschiedlichkeit" der Ziel- und Herkunftsgesellschaften aufgewärmt wird, ist ein besonders gutes Beispiel für die Fremdzuschreibung sexualisierter Unterdrückung und die Reproduktion ethnischer Grenzen durch angeblich kulturspezifische Geschlechterbeziehungen. Das folgende Zitat verdeutlicht die Verzerrung, die einer Zuschreibungspraxis von Sexismus entspringt: "Immer die Mädels mit den Kopftüchern, die sind auf jeden Fall noch nicht so emanzipiert in ihrer Kultur. Da steht meiner Meinung nach auch die fundamentale Kultur hinter" [S. Bitzan 2004: 32]. Die Minderheiten werden durch solche Zuschreibungen stark homogenisiert, sie und untergraben die Heterogenität der Minderheiten [Vgl. Yuval- David u. a. 2005].