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Quellenangabe:
Demobericht gegen rassistischen Polizei- und Justizapparat (vom 22.03.2007),
URL: http://no-racism.net/article/2029/, besucht am 28.03.2024

[22. Mar 2007]

Demobericht gegen rassistischen Polizei- und Justizapparat

Am 21. März 2007 demonstrierten in Wien mehr als 200 Leute gegen staatlichen Rassismus. Anlass für den Protest waren einmal mehr fehlende Konsequenzen nach einem rassistischen Polizei- und Rettungseinsatz. (:: Bildergalerie)

Am 15. März 2007 war ein strafrechtlicher "Schlussstrich" unter den gewaltsamen Tod von Seibane Wague gezogen worden. Von zehn Angeklagten wurden im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Wien die Urteile aus erster Instanz im wesentlichen bestätigt. Lediglich ein Polizist und der Notarzt waren zu bedingen Haftstrafen verurteilt worden. Weder für die Freigesprochen, noch die Verurteilten gibt es somit Konsequenzen, alle Beamten dürfen weiterhin ihren Dienst versehen. Das Gerichtsurteil ist als Freibrief für die Beamten zu verstehen und bedeutet die :: Legitimierung von Tötung durch die Exekutive.

Aufgerufen zur Demonstration hatte ein gemischter Zusammenhang. Nach Diskussionen, ob und wann es eine Demonstration geben soll, entschieden sich die AktivistInnen, am 21. März 2007 eine Demo durchzuführen, rund um den jährlich eine :: europaweite Aktionswoche gegen Rassismus stattfindet.

Die seit einem Jahr jeden Mittwoch von der Initiative :: Ehe ohne Grenzen vor dem Innenministerium durchgeführte Protest wurde als Ausgangspunkt gewählt. Ab 17 Uhr trafen sich die ersten AktivistInnen - noch am Gehsteig vis a vis des Innenministeriums in der Herrengasse 7 - zur Kundgebung. Schnell wurde die Menge größer und okkupierte die noch nicht abgesperrte Straße. Die Polizei, die von Anfang an massiv präsent war, sah sich in der Folge gezwungen, die Herrengasse für den Verkehr zu sperren, lediglich die Busse der Wiener Linien durften im Schritttempo passieren. An die zum Teil etwas verwunderten PassantInnen wurden Flugblätter (:: hier als pdf) verteilt. Über den Lautsprecherwagen wurde Musik - zum Teil Lieder in Erinnerung an Seibane Wague - gespielt.

Nach einer Weile brachten - zur Überraschung und Freude aller - Aktivistinnen von Food not Bombs leckeres Essen vorbei. Die Menge genoss das "gratis Essen für alle" und irgendwann, nachdem die zuvor bestehenden technischen Probleme mit dem Lautsprecherwagen gelöst waren (es gab kein passendes Mikrofon), meldeten sich erste RednerInnen zu Wort. Eine Aktivistin von Ehe ohne Grenzen informierte über die wöchentlichen Proteste in der Wiener Herrengasse, danach erzählte ein weiterer Aktivist über den Anlass zur Demonstration. Einige AktivistInnen hatten Schilder mit Namen vorbereitet, die an :: Todesfälle und Misshandlungen bei Deportationen und in Polizeigewahrsam erinnerten.

Nachdem die Leute fertig gegessen hatten, setzte sich die Menge von mittlerweile mehr als 200 Leuten Richtung Stephansplatz in Bewegung. Die am nahen Michaelaplatz wartenden PolizistInnen hatten ihre Helme an den Gürtel gehängt, was für derartige Demonstrationen eher ungewöhnlich ist, ebenso wie ihre mehr als übertriebene Anzahl. Denn bei antirassistischen Demonstrationen, vor allem wenn ein relativ breites Spektrum die rassistischen Übergriffe von Polizei und Justiz kritisiert, hielten sich die Beamten bisher eher zurück. Ob dies damit zu tun hat, dass u.a. Albert Schmiedt, Vorsitzender der einschlägig bekannten Polizeigewerkschaft AUF (Aktion Unabhängiger und Freiheitlicher) nach dem Urteil "größte Unruhe und Verunsicherung innerhalb der Exekutive" feststellte? Oder wollte die Polizei mit ihrer massiven Präsenz auf seit Jahren anhaltenden Proteste gegen rassistische Gewalt innerhalb der Exekutive einschüchternd wirken?

Die Demonstration erzeugte jedenfalls sehr viel Aufmerksamkeit auf ihrem Weg durch die Wiener Innenstadt. Und die Reaktionen der PassantInnen waren wie immer geteilt. Während sich anfangs die Zustimmung relativ in Grenzen hielt, fielen am Graben sehr viele Leute auf, die ihre rassistische Gesinnung zum Ausdruck brachten. Vor allem bei mehreren jungen Männern konnte ein Naheverhältnis zum NS-Gedankengut geortet werden. Es kam aber zu keinen Zwischenfällen und die Demo zog lautstark zum Stephansplatz, wo Sondereinheiten der Polizei den Zugang zur Kärntnerstraße und einigen weiteren Straßen mit massivem Aufgebot abgesperrt hatten. Inmitten dieses Repressionsaufgebotes wurde Halt gemacht und es gab weitere Redebeiträge, bei denen auf den Grund für die Demonstration aufmerksam gemacht wurde. Ein Redner rief zum verstärkten Kampf für die :: Abschaffung der Schubhaft auf.

Nachdem die Reden beendet waren, zog die Demonstration weiter. Es ging über die Wollzeile zum Dr. Karl-Lueger Platz (benannt nach dem bekannten Antisemiten und ehemaligen Bürgermeister Wiens, Anm.), in dessen Nähe :: am 31. August 2002 Binali Ilter von Polizisten erschossen wurde. Der Bruder und die Schwester von Binali Ilter, die sich an der Demonstration beteiligten, ergriffen das Wort und erzählten einige interessante Details aus dem Prozess gegen die vier Polizisten, die damals am tödlich endenden Einsatz gegen den unbewaffneten Mann beteiligt waren. Wie in allen anderen bekannten Fällen wurden vor Gericht die Tatsachen verdreht und die Polizisten freigesprochen. Die Familie Binali Ilters überlegt derzeit den Gang zum europäischen Menschenrechtsgerichtshof.

Im Anschluss an die Rede gingen die beiden, begleitet von ca. der Hälfte der immer noch mind. 200 AktivistInnen, die Stuberbastei entlang bis zur Ecke Zedlitzgasse, wo die tödlichen Schüsse auf ihren Bruder abgefeuert wurden. Nachdem sie Kerzen und ein Schlid mit der Aufschrift: "Binali Ilter. In Erinnerung an dich. Wir haben dich nicht vergessen. Deine Familie" abgelegt hatten, schilderten sie der interessierten Menge noch, wie sich der tödlich endende Polizeieinsatz ereignet hatte.

Währenddessen veranstalteten die am Karl-Lueger Platz wartenden AktivistInnen ein "die-in gegen Rassismus". Es dauerte dann noch ein paar Minuten, bis sich die Demo wieder in Bewegung setzte und eine AktivistIn nutzte Zeit für eine kurze Feuerperformance.

Als die Demo schließlich am Ort des Todes von Seibane Wague beim nahe gelgenen Stadtpark ankam, waren noch ca. 130 AktivtInnen anwesend, gefolgt von einer sehr langen Kolonne von Einsatzfahrzeugen, in denen schwer bewaffnete PolizistInnen bis zum Ende ausharren mussten. Einige AktivistInnen zündeten Kerzen in Erinnerung an Seibane an und es gab weitere Redebeiträge. Zuerst erzählte ein Freund Seibanes über die Tätigkeit Seibane im Afrikakulturdorf im Stadtpark, das im Sommer 2003 dort errichtet worden war, und in dem Seibane eine Ausstellung betreute, Führungen für Kinder durchführte und auch die Nächte dort verbrachte. Hierzu sei erinnert, das es mehrere rassistische Angriffe auf das Afrikakulturdorf gab, u.a. zwei :: Brandanschläge.

Danach ergriff ein weiterer Aktivist das Wort und begann mit einer langen Rede, die durch ihre Länge zum Teil Unruhe bei den in der Kälte auf das Ende der Kundgebung wartenden AktivistInnen auslöste. Thematisiert wurden in der Rede die sogenannten "Ausbildungsmängel" der Polizei, die Pläne einiger Männer aus Wien :: Profit durch Abschiebungen zu erzielen und das Verhältnis der österreichischen Exekutive zur europäischen Menschenrechtskonvention. Nachdem die beiden Redner nach einer 3/4 Stunde endlich zum Schluss kamen, waren nur noch wenige AktivistInnen anwesend. Abgesehen von den überlangen Dauerreden war die Demonstration sehr lautstark und kann als ein weiters deutliches Zeichen gegen rassistischen Polizei- und Justizterror gewertet werden, wenngleich allen Anwesenden klar war, dass mit Demonstrationen allein keine grundlegenden Veränderungen des Status quo zu erreichen ist.

Kritisiert wurde u.a. der :: Aufruf zur Demonstration, der auch als Flugblatt verteilt wurde. Vor allem die Forderung "Für eine Exekutive, die die Menschenrechte achtet!" wurde in Frage gestellt, da viele der Meinung sind, dass dies von der Exekutive ohnehin nicht zu erwarten sei, da Rassismus strukturell im Polizei-, aber auch im Justizapparat, verankert ist. Andererseits hatte aber auch keineR andere Flugblätter gemacht und so kann nur angeregt werden, dass bei der nächsten Demonstration von mehreren Leuten Flugblätter geschrieben werden und sich auch sonst mehr Leute aktiv an Protesten gegen den rassistischen Polizei- und Justizterror beteiligen.