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Quellenangabe:
Nein zur Kriminalisierung der G8 Proteste! (vom 09.05.2007),
URL: http://no-racism.net/article/2081/, besucht am 28.03.2024

[09. May 2007]

Nein zur Kriminalisierung der G8 Proteste!

In den Morgenstunden des 9. Mai 2007 begann ein massives Polizeiaufgebot im Auftrag der Bundesanwaltschaft mit einer Durchsuchungswelle gegen linke Strukturen in Deutschland. Die Durchsuchungen sind zum Teil am späten Nachmittag noch nicht beendet! Betroffen sind Projekte und Privatpersonen, die sich gegen den G8-Gipfel engagieren - oder für solche gehalten werden. Als Reaktion kommt es zu zahlreichen spontanen Demonstrationen.


Zur Unterbindung der Behinderung?


Vom 6. - 8. Juni 2007 findet der G8-Gipfel an der deutschen Ostseeküste in Heiligendamm (bei Rostock) statt. Insgesamt sollen beim G8-Gipfel deutschlandweit 35.000 PolizeibeamtInnen eingesetzt werden, davon alleine 16.000 rund um die "Rote Zone" in Heiligendamm. Diese "Rote Zone" soll durch einen 12,5 km langen und 2,5 m hohen Stahlzaun gesichert werden (:: siehe Fotos). Bei ersten Inspektionen der Bauarbeiten durch AktivistInnen wurden bereits im April erste :: Platzverweise rund um den Zaun ausgesprochen.

Die Polizei hat angekündigt, mit allen Mitteln Blockaden und Behinderungen des G8-Gifpels zu unterbinden. So wird schon Wochen vor dem Beginn des Gipfels das Schengener Grenzsystem außer Kraft gesetzt werden. An allen deutschen Außengrenzen werden Grenzkontrollen stattfinden, um AktivistInnen aus dem Ausland die Einreise zu verweigern. Und es kam in den vergangen Monaten immer wieder zu vereinzelten gezielten Aktionen, wie Hausdurchsuchungen im Jänner 2007 in :: München und :: Erlagen. Aus den großen Städten wie Berlin und Hamburg war zu hören, dass AktivstInnen und Zentren des Widerstandes von der Polizei observiert werden.

So sollte am 5. März 2007 eine kreative Aktion vor der Landesvetretung von Mecklenburg-Vorpommern in Berlin stattfinden. Circa ein Dutzend bunt gekleideter AktivistInnen trafen sich am frühen Morgen in einiger Entfernung zur Landesvetretung. Später stellte sich heraus, dass sie nicht ganz unbemerkt waren. Laut einem :: Bericht auf indymedia hatte die Polizei "genaue Angaben über den Treffpunkt und die verabredete Zeit."

Repression gab es mittlerweile auch gegen anreisende Gruppen. So wurden am Sa, 5. Mai 2007 in Utrecht die :: Gr8chaoskaravaan, die Westeuropa- Fahrradkarawane gegen den G8-Gipfel von einer Spezialeinheit der Polizei mit gezogenen Schlagstöcken zum Stehen gebracht. In der Folge wurden rund 100 Mitglieder und UnterstützerInnen festgenommen, unter dem Vorwand, sie hätten nicht den Fahrradweg benutzt. Bei der Aktion wurden Fahhräder beschlagnahmt und beschädigt, die meisten Festgenommenen unter widrigen Bedingungen bis tief in die Nacht festgehalten und von Polizeibeamten bedroht, dass ihnen schlimmeres passieren werde, sollten sie weitere Aktionen druchführ. Nach mehr als 48 Stunden wurden :: die letzten Verhafteten freigelassen.


Die Razzien am 9. Mai 2007


Am Morgen des 9. Mai erreichte die Repression ihren vorläufigen Höhepunkt. In einer :: Stellungnahme der Bundesstaatsanwaltschaft heißt es dazu: "Die Bundesanwaltschaft lässt seit heute Morgen (09.05.2007) im Rahmen zweier Ermittlungsverfahren auf der Grundlage von Durchsuchungsbeschlüssen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs insgesamt 40 Objekte in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen durchsuchen. Die exekutiven Maßnahmen, an der annähernd 900 Beamte beteiligt sind, werden von Beamten des Bundeskriminalamts, der beteiligten Landeskriminalämter und der örtlichen Polizei unter der Leitung der Bundesanwaltschaft durchgeführt."

Vorgegangen werde I. gegen eine "Militante Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm", konkret "gegen 18 namentlich bekannte und weitere, unbekannte Personen" Begründet werden die Razzien mit einem "Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 2 StGB und anderer Straftaten. Die dem militanten linksextremistischen Umfeld zugehörigen Beschuldigten stehen im Verdacht, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben oder Mitglieder einer solchen Vereinigung zu sein, deren Ziel es insbesondere ist, mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel (G8) im Frühsommer 2007 in Heiligendamm erheblich zu stören oder zu verhindern. "

II. richte sich die Repression gegen eine "militante gruppe (mg)", bzw. konkret "gegen drei namentlich bekannte Beschuldigte (§ 129a Abs. 2 StGB)". Die "mg" hätte im Zusammenhang mit dem Weltwirtschaftsgipfel zumindest zwei Brandanschläge verübt und sich darüber hinaus "seit 2001 zu insgesamt 25 Anschlägen bekannt." Die "Hintermänner" der "mg" werden von den Behörden in Berlin und Brandenburg vermutet.

Die Durchsuchungen sollen den ErmittlerInnen helfen, "Beweismaterial über die personelle und organisatorische Struktur der Vereinigungen sowie begangene und möglicherweise beabsichtigte Brandanschläge aufzufinden." Die Sprecherin der Bundesanwaltschaft Petra Kauer in einem Bericht in der Tagesschau: "Die Aktion hat einen terroristischen Hintergrund."


Die durschuchten Objekte


So weit bekannt wurden in Berlin folgende Objekte durchsucht: Zwei Büros Bethanien (Mariannenplatz), der Mehringhof und die sich dort befindente Buchladen Schwarze Risse (Gneisenaustraße), das Umbruch Bildarchiv und kanalB (Lausitzerstraße) sowie der Fusion Laden (Skalitzer Straße). Weitere Durchsuchungen gab es in der Rigaer Straße und in Wohnungen in der Adalbertstraße, Manteuffelstraße und Wissmannstraße. Besonderes Augenmerk legt das BKA auf den alternativen Server SO36.net. Viele linke und alternative Projekte haben ihre Webseiten, Mailinglisten und Mailadressen dort abgelegt. Damit soll die Kommunikationsstruktur der Anti-G8-Bewegung empfindlich gestört werden.

In Hamburg gab es Durchsuchungen in der Roten Flora und verschiedenen Hausprojekte (in der Ludwigsstraße, Talstraße, Julius-Leber-Straße und Seilerstraße). Bei einer Sponatandemo gegen die Repression gab es - laut :: FSK - 16 zeitweilige Ingewahrsamnahmen und mehrere Verletzte durch eine Knüppeleinsatz der Polizei.

In Bremen waren die Stadtkommune AllaHopp (Hardenbergstraße) und MAUS (Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz in der Richard-Wagner-Straße) Ziel der Repression.


Reaktionen und Proteste


Die Repression durch das Bundeskriminalamt kommt nicht überraschend. Der linke und linksradikale Widerstand gegen den G8 hat eine für die Polizei nicht mehr handhabbare Größe erreicht. Bisher hat der die Polizei nur in der Presse versucht, den Widerstand zu spalten und ein Heer von "ChaotInnen" halluziniert. Nun wird versucht, die Anti-G8-Strukturen organisatorisch lahmzulegen, erklärte ein Aktivist aus Berlin. Für eine Sprecherin der Gipfelsoli Infogruppe ist es auffällig, "dass sich die Durchsuchungen gegen alle Spektren desjenigen Widerstands richtet, der keine Forderungen an die G8 richten möchte, sondern die G8 als Institution rundherum ablehnt".

Eine erste gemeinsame :: Presseerklärung von der Gipfelsoli Infogruppe und der Campinski Pressegruppe kritisiert die Polizeiaktion als Versuch der Kriminalisierung des G8 Protestes. "Die grobe Auswahl aus linken Wohnprojekten und Infrastruktur macht deutlich, dass die Ermittlungen als Vorwand genommen werden um wahllos gegen die linke Mobilisierung vorzugehen", heißt es in der Erklärung.

Die Antifaschitische Linke Berlin (ALB) verurteilt in einer :: Pressemitteilung die Durchsuchungen als "gezielte Einschüchterung des G8-Protestes".

Die Gruppe :: Avanti bezeichnet in einer :: Erklärung die Durchsuchungen als Versuch der Einschüchterung, Diffamierung und Ausspähung des G8-Protestes. Und kündigt an: Große Solidarität in der Bewegung und verstärkte Mobilisierung gegen den G8-Gipfel werden die Antwort sein.

Bei einer Pressekonferenz am Nachmittag in Berlin wurde auf die Hintergründe der Durchsuchungen eingegangen. Einem :: Bericht von der Pressekonferenz zufolge sei ein Ziel der Durchsuchungen, Kommunikationsdaten sowie Erkenntnisse über die Finanzierung einer militanten Kampagne gegen den G8-Gipfel zu gewinnen. Erwähnt wurde auch, dass es hat keine Haftbefehle und Verhaftungen gegeben habe. Alle RednerInnen waren sich einig, dass das Ziel der Durchsuchungen, die Protestvorbereitungen und die Mobilisierung zu stören, nicht erreicht werde, da im Gegenteil die gegenwärtige Repression den Zusammenhalt stärke und zur Mobilisierung beitrage.

Und tatsächlich wurde anlässlich der Razzien in mehreren Städten zu spontanen Demostrationen am 9. Mai 2007 aufgerufen. Die Treffpunkte (so weit bekannt):
* Berlin, 20.00 Uhr, Mariannenplatz (Kreuzberg)
* Berlin, 21.00 Uhr, Heinrich-Platz
* Bochum, 19.00 Uhr, Hauptbahnhof
* Bremen, 19.00 Uhr bei den Domtreppen
* Darmstadt, 19.00 Uhr, Luisenplatz
* Duisburg
* Frankfurt, 18.00 Uhr, Campus Bockenheim
* Giessen, 21.30 Uhr, Berliner Platz
* Göttingen, 19.00 Uhr, Gänseliesel
* Hamburg, 19.00 Uhr bei der Roten Flora (Schanzenviertel)
* Hannover, 20.30 Uhr, Limmerstraße
* Heidelberg, 19.30 Uhr, Bismarckplatz
* Jena, 20.00 Uhr, Holzmarkt
* Kiel, 19.00 Uhr, Asmus-Bremer-Platz
* Köln, 21.00 Uhr, Rudolfplatz
* Leipzig, 21.00 Uhr, Connewitzer Kreuz
* Mannheim, 19.00 Uhr, Jungbuschspielplatz
* Marburg, 19.00 Uhr, Mensa
* Potsdam, 20.00 Uhr, Platz der Einheit
* Rostock, 20.00 Uhr, Niklotstraße
* Siegen, 18.30 Uhr

Berichte von den Demonstrationen finden sich auf :: de.indymedia.org. Bei den Demonstrationen wurde zum Teil auch gegen die am 8. Mai 2007 stattgefundene :: Versteigerung des besetzten Hausprojektes :: Köpi in Berlin protestiert.

In Rostock wurden am Convergence Center Transparente mit der Aufschrift "Sicherheit Macht Demokratur Kriminalisierung? No Way!" aufgehängt. (:: Fotos)

In Amsterdam rief das :: lokale Dissent-Netzwerk um 16.00 Uhr zu einer :: Kundgebung vor dem deutschen Konsulat (Honthorststraat 36, beim Museumplein) auf, an der sich ca. 30 Leute beteiligten. Am leeren Gebäude wurden Plakate angebarcht (siehe :: nl.indymedia.org).

In Wien wird für Do, 10. Mai 2007 zu einer Demonstration zur deutschen Botschaft in der Metternichgasse 3 im 3. Bezirk aufgerufen, Treffpunkt ist (pünktlich) um 16.00 Uhr am Schwarzenbergplatz (beim Brunnen).

Weitere Solidemos am 10. Mai 2007:
* Leipzig, 20:30 Uhr, Connewitzer Kreuz
* Paderborn, 18.00 Uhr, Franziskanerkoster (Westernstr.)
* Pforzheim
* Stuttgart, 20.00 Uhr, Schloßplatz (am Pavillon)
* Tübingen, 14.00 Uhr, Holzmarkt

Für Fr, 11. Mai 2007 wurde zu Solidemos in :: London (18.00 Uhr vor dem Kempinski Courthouse Hotel, 19-21 Great Marlborough St) :: Edinburgh (13.00 Uhr vor dem deutschen Konsulat) aufgerufen.

Solidemos am 12. Mai 2007
* Köln, 14.00 Uhr, Friesenplatz
* Bielefeld, 14.00 Uhr, Hauptbahnhof

Weiters wurde als Reaktion auf die massive Repression laut einem :: Bericht auf indymedia das Polizeiforum german-police.org gehackt und ein kompletter Dump der Datenbank mit allen Internas, inkl. versteckten Foren und private Messages der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.


Vom "SozialistInenngesetz" zum §129


Der §129 StGB ist über 180 Jahre alt und hat seine späten Wurzeln im deutschen Kaiserreich: 1878 wurde er bekannt als das so genannte "SozialistInnengesetz", das Bismarck zur Bekämpfung der Sozialdemokratie einführte. In der Weimarer Republik wurde die staatliche Verfassung als Schutzgut in den Paragraphen mit aufgenommen und in der BRD der 1950er und 1960er Jahre spielte der §129 jetzt erstmals unter der Gesetzesüberschrift "kriminelle Vereinigung" eine wichtige Rolle im Rahmen der Kommunistenverfolgung, besonders nach dem KPD-Verbot 1956. Zur Bekämpfung der RAF wurde eigens der §129a geschaffen, bis heute die wichtigste Norm im politischen Strafrecht, der eigentlich nach den RAF-Prozessen wieder abgeschafft werden sollte.

Der §129a setzt Mitgliedschaft, Unterstützung und Werben für eine "terroristische Vereinigung" unter Strafe. 2001 wurde der der §129b eingeführt und kriminalisiert ausländische "terroristische Vereinigungen". Die Abgrenzung zu Befreiungsbewegungen obliegt der Staatsmacht und wird nach politischen Eigeninteressen vorgenommen.

Vor allem § 129a wird immer wieder angewendet, um politisch aktive Menschen zu kriminalisieren. Die Handlungsspielräume eines §129a-Verfahrens werden genutzt, um Daten zu sammeln und haben darüber hinaus den durchaus beabsichtigten Effekt der Einschüchterung. Lediglich 2 Prozent aller Verfahren nach §129a führen zu Verurteilungen.

Doch nun plant die Regierung eine Ausweitung des §129. So berichtete :: heise.de am 8. Mai 2007: Nach den Absichten des Innen- und Justizministeriums soll nun der Paragraph 129 für Einzeltäter durch zwei weitere Abschnitte ergänzt werden. Mit der Ergänzung soll die Möglichkeit geschaffen werden, schon in die mögliche Vorbereitung von terroristischen Taten einzugreifen, um beispielsweise "das Einsammeln von Finanzmitteln, das Beschaffen von Waffen und Sprengstoffen sowie die Verbreitung von Plänen für den Bombenbau im Internet" besser unterbinden zu können.

Die :: Welt schrieb dazu: Sogenannte Vorfeldhandlungen, die mit geplanten terroristischen Straftaten in Zusammenhang stehen, sollen durch die Einführung der beiden neuen Paragrafen 129c und 129d ins Strafgesetzbuch erfasst werden. Dabei sollen nicht nur Handlungen terroristischer Vereinigungen, sondern auch terroristisch motivierte Einzeltäter erfasst werden.


Weitere Informationen


Auf :: de.indymedia.org findet sich zahlreiche Berichte und ein umfangreiches :: Feature zu den Razzien am 09. Mai 2007, mit zahlreichen weiterführenden Links und Ergänzungen.
Einen Überblick über die Hintergründe der Polizeiaktion gibt ein :: Bericht von Pressekonferenz, die als Reaktion auf die Durchsuchungen in Berlin stattfand und von zahlreichen MedienverteterInnen besucht wurde. (:: Video)

Audioberichte finden sich im Archiv bei :: freie-radios.net (:: gesammelte Links)

Die Gruppe Badespasz aus Halle hat einen :: umfangreichen Pressespiegel zusammengestellt.

Weitere Informationen finden sich auf den Webseiten von:
:: Dissent! Netzwerk
:: Gipfelsoli Infogruppe (:: Anschnallen bitte!)
:: Rote Hilfe
:: AVANTI - Projekt undogmatische Linke

Hintergrundinformationen zu den angewendeten Strafbeständen bietet ein Bericht aus dem Jahr 2003 :: Für die Abschaffung der Gesinnungsjustiz! Die § 129 -129a - 129b StGB auf den Müllhaufen der Geschichte!