Quellenangabe:
Das Lager muss weg! Karawane-Station in Freienbessingen (vom 03.06.2007),
URL: http://no-racism.net/article/2123/,
besucht am 21.11.2024
[03. Jun 2007]
Situation im Lager * Aktion in Freibessingen im Rahmen der Karawane-Tour 2007 * Kampagne für die Schließung des Lagers
Die Karawane-Station in Freienbessingen wurde von The Voice Refugee Forum, vom Flüchtlingsrat Thüringen, der Karawanegruppe Halle, der AG Freienbessingen und von der Jugend-, Aktions- und Projektwerkstatt Jena (JAPS) organisiert. Die JAPS ist eine politische Jugendorganisation, die sich seit geraumer Zeit für die Rechte und Belange der Menschen :: in Freienbessingen einsetzt. Zum :: Migrationsaktionstag am 7. Oktober 2006 hatten sie zusammen mit The VOICE Refugee Forum aus Jena eine Kundgebung am Lager in Freienbessingen organisiert. Seitdem haben die Mitglieder von JAPS das Lager und die Menschen dort mehrmals besucht, um den Kontakt aufrecht zu erhalten. Zurzeit läuft durch Thüringen eine Wanderausstellung zum Lagersystem unter anderem auch über das Lager in Freienbessingen. Das Ziel von JAPS ist es, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die Leute im Lager über ihre Rechte zu informieren und sie zum gemeinsamen Widerstand zu ermutigen. JAPS beteiligt sich an der Faxkampagne für die Schließung des Lagers (siehe unten).
Am frühen Abend kam die Karawane nach langer Fahrt in Freienbessingen an. Am Lager hieß uns eine große Kinderschar willkommen. Viele der Kinder leben schon seit langem oder sogar seit ihrer Geburt in diesem Lager. Das Lager liegt bei Sondershausen, mitten im Wald, das nächste Krankenhaus ist 25 km entfernt. Die Flüchtlinge sind stets auf einen Bus angewiesen, der nur dreimal am Tag fährt. In dieser totalen Abgeschiedenheit und unter unwürdigen Bedingungen müssen 180 Menschen (manche seit über 15 Jahren!) wohnen und leben. Die meisten kommen aus Armenien, Aserbaidschan, Ex-Jugoslawien, Kosovo oder aus Vietnam. Direkt 50 Meter hinter den beiden Gebäuden beginnt der nächste Landkreis. Es wurden Flüchtlinge, die in den Feldern spazieren waren, wegen der Residenzpflicht bestraft. Die Geldbußen steigen mit der Anzahl der begangenen "Grenzverletzungen". Die Verletzung der Residenzpflicht wird als Instrument der Kriminalisierung der Flüchtlinge benutzt.
Die BewohnerInnen müssen zum Einkaufen, für die Behördengänge, d. h. Verlängerung ihrer Duldungen oder der Entgegennahme der Lebensmittelgutscheine 9,40 Euro allein für die Busfahrt bezahlen. Das ist knapp ein Viertel des Taschengeldes von 40 Euro. Ein junger Flüchtling aus Aserbaidschan erzählte uns: "Ich bekomme Lebensmittelgutscheine für 126 Euro und ein Taschengeld von 40 Euro. Gehe ich einmal in der Woche einkaufen, ist mein komplettes Taschengeld nur für die Fahrt weg und von 126 Euro Gutscheine könnt ihr euch selbst ausrechnen, was man kaufen kann." Dass ein Elternpaar die Einkäufe eines Monats nicht mit einer Busfahrt alleine erledigen kann, ist den Behörden klar, d. h. sie wissen, dass die Menschen fast ihr ganzes Taschengeld für die Fahrten zum Einkaufen oder für Behördengänge hinblättern müssen.
Die BewohnerInnen sind in zwei qualitativ unterschiedlichen Häusern untergebracht. In den Einzelunterkünften darf nur ein Trakt genutzt werden, während im anderen Haus mitunter sechsköpfige Familien in einem Raum wohnen müssen oder mehrere Personen in einem Zimmer untergebracht sind. Die hygienischen Bedingungen dort sind miserabel: die Rohre der Gemeinschaftsduschen rosten und an den Wänden wuchern Schimmelpilze. In dem Haus, in dem die Familien untergebracht sind, gibt es eine Gemeinschaftsdusche für Frauen und eine für Männer. Diese sind im dunklen, feuchten Keller und es sind keine Trennwände vorhanden. Die Männerdusche hat kein warmes Wasser. Im gesamten Haus ist allgemein selten warmes Wasser vorhanden und auch die Heizungen funktionieren im Winter oft nicht. Manche sind sogar vollständig abgestellt oder komplett stillgelegt. Der Besitz technischer Geräte wie Wasserkocher, Kochplatten oder Heizlüfter wird nicht erlaubt. Geräte werden konfisziert. Für kranke Menschen sind diese Umstände hochgradig lebensgefährlich. Die Wasserabflussrohre in den Unterkünften sind größtenteils verstopft und der Gestank zieht in die Flure und in die Zimmer.
Die Räume der alten Kaserne und die Duschräume im dunklen Keller erinnern an düstere Bilder vergangener Zeiten. Die BewohnerInnen von Freienbessingen leben weit weg vom nächsten Dorf in der Isolation dieses offenen Vollzugs.
Zu den hygienischen Bedingungen, die zum Himmel schreien, kommen die alltäglichen Schikanen der Heimleitung hinzu. Die Bewohner haben keinen Einfluss darauf, ob ihre Post geöffnet wird oder nicht. Unregelmäßige Zimmerkontrollen finden statt. Einige Flüchtlinge bekundeten ihre Angst vor den Lagerwachen, die als Agenten der Ausländerbehörde fungieren und besonders die Menschen, die sich über etwas beschweren oder ihre Rechte einfordern, bei den Behörden denunzieren. Es wurden uns Fälle von Menschen berichtet, die wegen ihres Protestes abgeschoben worden sind.
Viele Flüchtlinge müssen in dem Wissen leben, dass sie ständig abgeschoben werden könnten. Da Deportationen meist in der Nacht geschehen, schlafen viele Bewohner nur tagsüber und selten mehr als einige Stunden und sind körperlich und psychisch so geschwächt, dass alltägliche einfache Tagesabläufe für sie schier unmöglich sind. Durch die völlige Entmündigung und ständige Kontrolle ist ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben nicht möglich.
Uns wurde der Fall einer Kosovarin berichtet. Vor etwa drei Jahren kamen die Polizisten in der Nacht, um sie und ihre Familie abzuschieben. Sie bat darum, kurz zur Toilette gehen zu dürfen und sprang aus einem der oberen Stockwerke. Seitdem hat sie ein 50 %ige physische Behinderung.
Die AktivistInnen der Karawane waren sehr bewegt über die Situation der Menschen vor Ort. Sie drückten auf verschiedenste Art ihre Solidarität aus und riefen alle auf, sich zusammen gegen die erzwungene Isolation und Ausgrenzung zur Wehr zu setzen. Ein VOICE-Aktivist sagte in seinem Redebeitrag: "Sie nehmen uns alles weg und zwingen uns, in Gefängnissen wie diesen zu leben. Unsere Solidarität ist unsere einzige Hoffnung auf eine andere Welt ohne Ausbeutung, Kriege und Unterdrückung. Solidarität ist die Luft, die wir einatmen. Sie ist die Sonne, die auf uns scheint. Sie ist der Mond und das Meer."
Eine Aktivistin machte deutlich, dass die Karawane in Freienbessingen halt gemacht habe, um die Flüchtlinge in ihren Forderungen nach der Schließung des Lagers zu unterstützen. Sie sollen ermutigt werden, für ihre Rechte einzutreten. Gleichzeitig sollen sie wissen, dass die Freundinnen und Freunde, Schwestern und Brüdern außerhalb des Lagers, alles Mögliche daran setzen werden, damit das Lager geschlossen wird. Sie sei sich über die Lage und Repressionen im Lager bewusst, aber die BewohnerInnen sollen sich an anderen Kämpfen orientieren, sich selbst organisieren und die Solidarität von außen einfordern. Ein Aktivist von The Voice Refugee Forum erinnerte an die erfolgreiche Schließung mehrerer Lager in Thüringen, die nur durch gemeinsame Proteste der BewohnerInnen und den Flüchtlingsorganisationen möglich waren.
Das offene Mikrofon nutzten Flüchtlinge und vor allem Kinder, um die Gäste über die Situation des Lagers zu informieren. Eine Volksküche lieferte die Energie für die lauten Parolen und für den gemeinsamen Tanz. Immer wieder wurde das Karawane-Lied gesungen, das uns allen immer wieder die Solidarität und Energie für unsere täglichen Kämpfe gibt. Spät am Abend zog die Karawane weiter Richtung Frankfurt am Main, wo sie nach Mitternacht ankam.
Für die Schließung des Lagers in Freibessingen wurde eine Faxkampagne initiiert.
Wir fordern Euch auf, diese zu unterstützen, in Eurer Umgebung dafür zu werben und bis zur Erfüllung der Forderungen den Kampf der Flüchtlinge in Freienbessingen zu unterstützen.
Bitte drücken Sie ihre Besorgnis aus und senden Sie Protestfaxe an:
Thüringer Innenministerium, Innenminister Herrn Dr. Gasser
Faxnummer: 0361/ 3793111
Thüringer Landesverwaltungsamt, Referatsleiter Herrn Reinhardt
Faxnummer: 0361/ 3773 7190
Landratsamt Kyffhäuserkreis, Landrat Herrn Hengstermann
Faxnummer:03632/741-102
Sehr geehrter Herr Dr. Gasser,
sehr geehrter Herr Reinhardt,
sehr geehrter Herr Hengstermann,
wir fordern Sie auf, sich für die sofortige Schließung aller Flüchtlingsheime und -lager in Thüringen und eine dezentrale menschenwürdige Unterbringung ihrer BewohnerInnen einzusetzen!
Wir fordern den sofortigen Stopp aller Deportationen!
Residenzpflicht abschaffen!
Wir verlangen die sofortige Schließung des Heims in Freienbessingen!
Es steht nicht zur Debatte, dass Gemeinschaftsunterkünfte (GUs) die Menschenwürde der Bewohner verletzen. Sie und das System aus Vorschriften und Überwachung, in dem sie eingebettet sind, schränken die Bewegungsfreiheit ein und sollen sie letztlich sogar unmöglich machen.
Viele Flüchtlinge, die in solchen Heimen leben müssen, sind durch ihre Flucht oder Fluchtgründe schwer traumatisiert - ihre Unterbringung in GUs verschlechtert oft ihren ohnehin schwer belasteten psychischen Zustand. Die meisten Opfer einer solchen Unterbringung sind auf Antidepressiva und Schlaftabletten angewiesen, um ihre völlig lähmende Situation wenigstens einigermaßen ertragen zu können. Auch die medizinische Versorgung ist katastrophal; Fachärzte sind meist über 30 km entfernt. Flüchtlingen stehen nach dem speziell für sie geschaffenen Asylbewerberleistungsgesetz völlig alltägliche medizinische Leistungen nicht zu: kranke Zähne z.B. werden gezogen und nicht erhalten, weil eine "Reparatur" einige Cent mehr kostet.
Die Karawane der Flüchtlinge in Deutschland benennt besonders das Asylheim in Freienbessingen als katastrophal. Es liegt bei Sondershausen, mitten im Wald, das nächste Krankenhaus ist 25 km entfernt; die Flüchtlinge sind stets auf einen Bus angewiesen, der nur dreimal am Tag fährt. In dieser totalen Abgeschiedenheit und unter unwürdigen Bedingungen müssen 180 Menschen (manche seit über 15 Jahren!) wohnen und leben. Wie Sie wissen, sind dort die hygienischen Bedingungen miserabel: die Rohre der Gemeinschaftsduschen rosten und an den Wänden wuchern Schimmelpilze. Die Duschzeiten sind generell reglementiert. Die BewohnerInnen sind in zwei qualitativ unterschiedlichen Häusern untergebracht. In den Einzelunterkünften darf nur ein Trakt genutzt werden, während im anderen Haus mitunter sechsköpfige Familien in einem Raum wohnen müssen oder verschiedene Ethnien in einem Zimmer untergebracht sind. Einem Asylbewerber stehen in Deutschland in einem Heim nur 6 m² Wohnfläche (!) zu, während Hunden in der Zwingerhaltung in Deutschland bei einer Schulterhöhe von 65 cm schon 10 m² Lauffläche gewährleistet werden müssen. So leben auch die Bewohner der GU Freienbessingen zum Teil auf engstem Raum.
Selten ist warmes Wasser vorhanden und auch die Heizungen funktionieren im Winter oft nicht. So ist es für die vielen kranken Menschen besonders problematisch, dass der Besitz technischer Geräte wie Wasserkocher, um warmes Wasser zu haben, nicht erlaubt ist.
Neben den hygienischen Bedingungen, die zum Himmel schreien, sind besonders die alltäglichen Schikanen der Heimleitung zu erwähnen. Die Bewohner haben keinen Einfluss darauf, ob ihre Post geöffnet wird oder nicht. Unregelmäßige Zimmerkontrollen tragen ihr Übriges zur Überwachung bei.
Viele Flüchtlinge müssen in dem Wissen leben, dass sie ständig abgeschoben werden könnten. Da Deportationen meist in der Nacht geschehen, schlafen viele Bewohner nur tagsüber und selten mehr als einige Stunden und sind körperlich und psychisch so geschwächt, dass alltägliche einfache Tagesabläufe für sie schier unmöglich sind. Durch die völlige Entmündigung und ständige Kontrolle ist ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben nicht möglich.
Deshalb fordern wir:
Sofortiger Stopp aller Deportationen!
Schließung aller Lager und Heime
in Thüringen!
Dezentrale und
menschenwürdige Unterbringung!
Weg mit rassistischen
Sondergesetzen für Asylbewerber!
Residenzpflicht abschaffen!
Freienbessingen schnellstens schließen!
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Name, Vorname
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Unterschrift
Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen in Deutschland
The VOICE Refugee Forum in Thüringen
Schillergässchen 5, 07745 Jena
E-mail: thevoiceforum.org
Mehr Info http://www.thevoiceforum.org
Die Karawane-Tour Thüringen wird organisiert und unterstützt durch das bundesweite Karawane-Netzwerk; mit Beteiligung und Unterstützung von The VOICE Refugee Forum, AG Freienbessingen JAPS Jena, Flüchtlingsrat Thüringen (alle Thüringen) sowie der Afrikanischen Flüchtlingsinitiative Dessau und der Karawane Halle.
Dieser Text erschien zuerst auf :: thecaravan.org