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Quellenangabe:
Rad Ritter/innen Turnier. Bike Knight Tournament (vom 10.07.2007),
URL: http://no-racism.net/article/2182/, besucht am 20.04.2024

[10. Jul 2007]

Rad Ritter/innen Turnier. Bike Knight Tournament

Stellt euch vor: Es ist Samstag, der 30. Juni 2007, Abends und wunderschönes mildes Sommerwetter. Wir befinden uns im Zentrum des 10. Wiener Gemeindebezirks, auf dem Platz vor dem Viktor- Adler- Markt in Wien Favoriten, hier ist Fußgängerzone und außerdem ein traditionell heiß umkämpfter Ort für politische Kundgebungen.

An diesem Abend fand dort eine Abschlusskundgebung statt, die von verschiedenen autonom agierenden Gruppen in Wien organisiert wurde (:: EKH, :: TÜWI, :: CRITICAL MASS, :: PANKAHYTTN ... ich gebe keine Garantie für die Vollständigkeit dieser Angaben) und die das Ende einer kleinen Demonstration markierte, welche auf die prekäre Situation ebendieser Freiräume hier in Wien hinweisen wollte - und dass das strategisch vielleicht nicht ungeschickt war, könnte man hinzufügen, denn nur zwei Tage später fand dann eine sogenannte BürgerInnenversammlung im Festsaal des Magistrats statt, von einer nicht nennenswerten Partei initiiert, die das berühmte Ernst- Kirchweger- Haus zum Verhandlungsthema hatte. Das EKH ist vielen ein Dorn im Auge - letztendlich wäre es aber wahrscheinlich das Beste, es gäbe in jedem Wiener Gemeindebezirk 5 EKH's.

Diese Abschlusskundgebung, von der hier berichtet werden soll, wurde richtig schön zelebriert, mit einem Rad Ritter Turnierkampf nämlich. Auf dem Platz haben sich ca. 250 Menschen um eine längliche Arena herum versammelt. An den beiden Langseiten der Bahn befindet sich das von der Demonstration bereits ermüdete Publikum und die meisten Leute schauen deshalb auf dem Boden sitzend den Zweikämpfen zu, welche hier, so scheint es, wie vor (oder schon seit?) Jahrhunderten am laufenden Band abrennen. An einem Ende des Schauplatzes, Richtung stadteinwärts, befand sich ein DJ- Pult, auf der gegenüber liegenden Seite hatte sich mindestens eine Kamera eingefunden und es gab dort auch einen kleinen provisorischen Abstellplatz, neben einem Blumenkübel, wo die überaus künstlerisch angefertigten Fahrräder bereit standen, um beim Kampfe den Rittern und Ritterinnen als Drahtesel zu dienen. „One more car less“ steht aufgeklebt auf diesen Rädern.

Ein einzelner Kampf sah nun so aus: Zuerst einmal bereiteten sich die Kämpfer und Kämpferinnen ausgiebigst und mit einer Engelsgeduld auf das eigentliche Duell vor, welches ja jeweils nur ein paar lächerliche Sekunden dauerte. Dieses Vorbereitungs- Szenario vor dem eigentlichen Spiel war aber sehr spannend zu beobachten: Auf beiden Seiten des Kampfplatzes wurden die wackeren, urmutigen Radritter und Ritterinnen, die sich sicherlich auch im „normalen“ öffentlichen Verkehr, im Gefecht gegen die Windmühlen der Auto-Lobby schon tapfer bewährt haben, auf ihren Einsatz im einzelnen Turnierkampf vorbereitet. Mehrere Helfer/innen waren zur Stelle, welche den Protagonisten und Protagonistinnen Ellbogen- und Schienbeinschützer anlegten und mit Klebeband befestigten. Ein Helm wurde aufgesetzt, denn die Fahrräder für das Turnier waren alle sehr hoch gebaut und somit konnte ein Sturz vom hohen Ross also mitunter sehr schmerzhaft werden, da heißt es sich zu wappnen. Eine Lanze, die natürlich in einem mittelalterlichen Turnier- Wettstreit nicht fehlen darf, wurde den Helden und Heldinnen des alltäglichen schikanösen öffentlichen Individual-Verkehrs, den hartnäckigen Verteidigern und Verteidigerinnen diverser bewegter gesellschaftlicher Räume schließlich dann hinauf gereicht, wenn diese auf ihren Vehikeln bereit zum Kampf ihren Platz eingenommen hatten. Diese Lanzen bestanden nun interessanterweise aus uns bekannten grauen Abflussrohren, aus Weichplastik also und an der Spitze der Lanze war ein quadratisches Bündel aus Schaumstoff angeklebt worden. Ja, hier wurde weich gekämpft, könnte man sagen, es wurde harter Zwei-Kampf nachgestellt und sehr humorvoll persifliert. Diese liebevollen und sorgenvollen Präparationen dauerten nun eine geraume Zeit, d.h. die Schaulustigen am Rande des Turnierplatzes wurden mittelalterlich auf die Folter gespannt. Wenn einem/r da mal nicht der Geduldfaden reißt!

Die Kämpfe wiederholten sich und wiederholten sich ja mit allem drum und dran, und der Haus- und Hofdichter (mir ist so fad, sprach es aus seinem Gesicht) brach schon aus der Menge aus und bereitete sich auf einen theatralischen Abgang vor, wo er doch erst kurz vorher sehr auffallend aufgetreten war, mit neuer Haarfarbe, neuem Outfit. Man schmeißt sich schließlich in Schale, wenn man zum Turnierkampf geht, denkt sich der metro-sexuelle Mann. Es ergab sich aber doch noch ein kurzes Gespräch über allfällige performative Begebenheiten in anderen Städten. Ja und außerdem kamen auch beständig neue Schaulustige dazu, vor allem Bewohnende des 10. Bezirks, Vorbeiflanierende, die eine willkommene Abwechslung auf ihrem Sonnabendlichen Spaziergang, dem durchschnittlich langweiligen Schaufensterbummel durch die Fußgängerzone erhielten. Es waren Familien, Einzelne, Grüppchen, Paare, Freundinnen und Bekannte da. Die Auskünfte über die Anzahl der bereits stattgefunden Kämpfe die ich aus dem Publikum erhielt waren sehr unterschiedlich - 8 oder 9 oder waren es doch schon 10?

Nach dem Vorbereitungs- Prozedere ging es dann aber richtig los: vom DJ über Lautsprecher kam der Countdown, die Turnier- Radler/innen wurden angeschubst und aufeinander los gelassen. Ein paar Meter wurde kräftig in die Pedale getreten, die Kämpfer/innen begegneten sich meist irgendwo in der Mitte der Bahn zum Sekunden-Bruchteil- Duell, manchmal erschreckend nahe beim Publikum. Ja, das war es dann auch schon gewesen.

Am Ende des Turniers wurde natürlich eine Trophäe verliehen, was wäre ein Kampf ohne GewinnerInnen und Preisverleihung? Ein/e Sieger/in verlangt - über den errungenen Sieg hinaus - auch noch geehrt zu werden. Das gehört sich so. Unser Turniersieger jedoch erhielt nun aber ein besonderes Artefakt. Es handelte sich um ein kleines Rad mit einem Lenkrad daran montiert und einer Glocke. Alles andere, was ein Fahrrad sonst noch braucht, um ein Fahrrad zu sein, fehlte dem Ding jedoch gänzlich. Also war es ein reiner Verlust, auch für den Sieger, den er da mit nach Hause zu tragen hatte. Die Rollen der Verlierer und Verliererinnen gab es natürlich auch. Und sie waren sehr zahlreich. Zwei Ritter/innen, die auf jeden Fall dazuzurechnen sind, wurde sogar schon während des Turniers mit Disqualifizierung gedroht: Ihr Zweikampf musste mehrmals wiederholt werden, weil sie „zu schwach“ wären, hieß es. Keine/r von beiden fiel vom Pferd, also vom Rad. Sie stupsten einander beim Duell mit ihren weichen Lanzen, keine/r von beiden traute sich offensichtlich richtig zu zustoßen. Das war im übrigen der interessanteste Kampf. Bravo.

Man hatte, dass muss man schon noch dazu sagen, während dieser langweiligen Kämpfe genug Spielraum sich die einzelnen Menschen, die da anwesend waren, genau anzuschauen. Man muss ja nicht immer quasseln, kann auch einfach mal nur glotzen. Man hat ja auch keinen Fernseher, hat aber einen Bedarf seine Schaulust zu befriedigen. Und es hat allen sehr viel Spaß gemacht, das Schauen, das war nicht zu übersehen. Stellt euch nur vor: All diese interessanten Tätowierungen, die man vorgeführt bekommt, die unverdeckt zur Schau getragenen Narben, die Stärke und Ausdruckskraft, mit der sehr sanft, auch ängstlich aber doch sehr eindringlich auf die Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers hingewiesen wird, die extravaganten und wagemutigen Frisuren, die ausgefeilten Übertretungen der immer herrschenden Bekleidungsordnungen ... Kein Laufsteg und kein TV- Programm der Welt zeigt einem solche flüchtigen Bilder von Menschen, wie man sie hier sich selbst machen kann. REVOLUTION WILL NOT BE TELEVISED. How True! Danke für das Bier, das mir spendiert wurde. Das war extra nett. Das Essen war leider schon aus, als ich ankam. Aber es gab was zu essen, ich hab die leeren Töpfe von FOOD NOT BOMBS dort stehen sehen.