Quellenangabe:
Tod in Abschiebehaft in Hessen - Mustafa Alcali (vom 07.07.2007),
URL: http://no-racism.net/article/2183/,
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[07. Jul 2007]
Am Morgen des 27. Juni 2007 nahm sich Mustafa Alcali aus Protest gegen die drohende Abschiebung in der JVA in Frankfurt das Leben.
Im folgenden dokumentieren wir eine Nachruf vom Internationalen Zentrum Friedberg und den AusländerInnenbeiräten Karben, Bad Nauheim und Friedberg.
Wir trauern mit seiner Familie um Mustafa Alcali, der sich am Morgen des 27.6.2007 in Abschiebehaft in der Justizvollzugsanstalt in Frankfurt das Leben nahm.
Der Abschiebehaft war vorausgegangen eine Zwangseinweisung wegen Eigengefährdung in das psychiatrische Krankenhaus in Hanau und anschließend in das Justizvollzugskrankenhaus in Kassel. Mustafa hatte mit Selbstmord gedroht.
Als er auf Beschluss eines Hanauer Richters nach Kassel verbracht werden sollte, versuchte Dr. Weiler vom psychiatrischen Krankenhaus Hanau dies zu verhindern, fand aber kein Gehör. Er hatte akute Schizophrenie bei Mustafa attestiert. In Fesseln wurde er nach Kassel verbracht. Im dortigen Justizvollzugskrankenhaus wurde die Diagnose Dr. Weilers nicht akzeptiert. Er wurde als Simulant eingestuft, obwohl Atteste und Diagnosen von Dr. Weiler vorlagen und dieser dringend eine Weiterbehandlung angeraten hatte. Man nahm ihm sogar die Medikamente weg.
Nach Kämpfen zwischen PKK und türkischen Militär und dem Tod des Familienvaters war die Mutter mit vier Kindern vor etwa 15 Jahren nach Deutschland gekommen und hatte hier Asyl beantragt. Mustafa kam als junger Mann zur PKK. In ihrem Auftrag ging er von Deutschland aus in den Iran um sich ausbilden zu lassen. Dort wurde er aufgegriffen und an die Türkei ausgeliefert. Er hat im Gefängnis schreckliche Dinge erlebt, die ihn auch hier immer wieder verfolgten und die er auf keinen Fall noch einmal aushalten konnte, wie er sagte. Diese Erlebnisse haben ihn, auch für Laien offensichtlich(nicht aber für die deutschen Behörden), traumatisiert. Nach seinem Gefängnisaufenthalt sollte er Dienst leisten für ein Militär, das er für den Tod seines Vaters verantwortlich machte. Er desertierte und kam zurück zu seiner Familie nach Deutschland. Hier stellte er Asylantrag. Da Desertion kein Asylgrund ist und das Gericht ihm seine Darstellung von seiner Zwangslage zwischen PKK und türkischen Behörden nicht glaubte, wurde der Antrag abgelehnt. In seiner Jugendzeit war er einmal an einer Schlägerei beteiligt, was ihm eine Jugendstrafe wegen Körperverletzung einbrachte. Diese war jetzt dafür verantwortlich, dass er nicht unter das neue Bleiberecht für Flüchtlinge fiel. Eine Vorstrafe, auch wenn sie in der Jugend begangen wurde, ist ein Ausschlussgrund.
Obwohl sich der Verein Internationales Zentrum Friedberg, in dem er viele Aktionen tatkräftig unterstützt hatte, immer wieder für ihn einsetzte, wurde die Luft zum Atmen für ihn dünner. Er hatte eine junge Frau kennen gelernt, die er heiraten wollte. Das hätte ihm auch ein Aufenthaltsrecht gebracht. Das Paar hatte bereits einen Hochzeitstermin bekannt gegeben, der dann aber wegen Problemen mit den Papieren nicht zustande kam. Die zentrale Ausländerbehörde Darmstadt hatte ihn dann für einen Sammeltransport in die Türkei vorgesehen, den er mit der Androhung seiner Selbstanzündung verhindern konnte. Jedem, der es hören wollte, machte er immer wieder klar, dass er niemals lebend in die Türkei abgeschoben werden würde. Sein Rechtsanwalt wusste von seiner Zwangslage und stellte im Juni noch einen Asylfolgeantrag, der aber vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Gießen abgelehnt wurde.
Als er dann von Kassel nach Frankfurt gebracht wurde, stand seine Abschiebung unmittelbar bevor und Mustafa sah keinen anderen Ausweg mehr als den Freitod.
Wir trauern um einen uns lieb gewordenen Menschen, der wegen seiner schrecklichen Erlebnisse und der drohenden Abschiebung in die Türkei immer unter Anspannung lebte und nur selten Momente der Ruhe und Gelassenheit erleben konnte. Solche Momente gab es bei seiner Familie und wenn er arbeiten und helfen konnte. Wir trauern um einen Menschen, der durch die Maschen der deutschen Einwanderungsgesetzgebung gefallen ist und das mit seinem Leben bezahlen musste. Dass diese Konsequenz für ihn zwangsläufig war, hätte jeder wissen müssen, der sich auch nur in Ansätzen auf ihn eingelassen hat. Wir fragen uns, wozu es eine Härtefallkommission gibt und warum eine lang vergangene Jugendstrafe ein Ausschlussgrund für das neue Bleiberecht ist. Wir fragen uns, warum einem Menschen, der offensichtlich krank und traumatisiert war, kein anderer Ausweg als der Selbstmord bleiben kann in einem Land, das stolz auf ist auf seinen Einsatz für die Menschenrechte.
Sich auf die besonderen Schicksale von Flüchtlingen einzulassen, ist in dieser Gesetzgebung nicht vorgesehen. Das wäre aber für die Durchsetzung der Menschenrechte für Flüchtlinge in Deutschland unerlässlich. Sein Tod macht deutlich, dass sich da viel ändern muss.
Friedberg, den 30. Juni 2007
Internationales Zentrum Friedberg
Ausländerbeiräte Karben, Bad Nauheim und Friedberg