Quellenangabe:
'Wenn Du nicht gehst, dann...' Sammel-abschiebung? (vom 09.07.2007),
URL: http://no-racism.net/article/2184/,
besucht am 07.11.2024
[09. Jul 2007]
Seit Jahren setzen die Abschiebe- behörden in der EU auf sogenannte Sammel- oder Charter- Abschiebungen. Wie bei jeder Abschiebung muss auch hier das Zielland der Abschiebung sog. "Heimreisezertifikate" ausstellen. Die Abzuschiebenden werden dabei zur "Mitwirkung" gezwungen. Wer nicht freiwillig geht, der/dem droht die Abschiebung unter Anwendung von Zwangsgewalt.
Inhalt
Der Zwang zur freiwilligen Ausreise
Rassistische Vorführungen
Was tun?
In einem :: Bericht auf de.indymedia.org ist zu lesen: "Macht der Abschiebestaat wieder mal mobil? Flüchtlinge sollen zwangsweise nach Herkunftsländern sortiert zur massenweisen Überprüfung durch eigens eingeflogene Behördenmitglieder gebracht werden."
Dem zuvor ging eine Information des :: Flüchtlingsrates Hamburg am 05. Jul 2007, dass für von 16.- 27. Jul 2007 bundesweit afrikanische Flüchtlinge zu einer Sammelanhörung vor einer Delegation aus Guinea nach Braunschweig vorgeladen sind. Weiters sind am 05. Jul 2007 mindestens 20 togoische Flüchtlinge aus Mecklenburg-Vorpommern zu ihrer Botschaft nach Berlin und ab dem 09. Jul 2007 etwa 150 kamerunische Flüchtlinge aus Brandenburg zu Anhörungen nach Köln bzw. Forst vorgeladen.
In der Vorladung von Flüchtlingen aus Kamerun bei der Ausländerbehörde Spree-Neiße in Forst wird unter Hinweis auf die "Mitwirkungspflicht" dazu aufgefordert, "zur Klärung Ihrer Identität" zu erscheinen. Durchgeführt wird diese Anhörung auf gemeinsame Initiative von Bundespolizeidirektion und der Botschaft Kameruns. Es werden eigens Mitarbeiter(Innen) der Behörden Kameruns anwesend sein, um die Flüchtlinge als StaatsbürgerInnen ihres Landes zu identifizieren - eine Maßnahme, die zur Durchfürhung von Abschiebungen notwendig ist, vor allem wenn eine Person über keine gültigen Reisedokumente des betreffenden Staates verfügt.
In der :: Aufforderung vom "Sachbearbeiter Ausländerangelegenheiten" Krüger ist zu lesen:
"Für den Fall, dass Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, zum festgesetzen Termin nicht erscheinen, indem Sie sich den Zufürhungsmaßnahmen widersetzen, drohe ich Ihnen gemäß §§22, 23 Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Brandenburg (VwVGBbg) vom 18.12.1991 (...) in der aktuellen Fassung die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Das heißt, Sie werden zur Durchsetzung Ihrer Mitwirkungspflicht durch Dienstkräfte der Polizei, die in Amtshilfe für meine Behörde tätig werden, zwangsweise vorgeführt." Laut Krügers Begründung bestehe "besonderes öffentliches Interesse" an der "sofortigen Vollziehung des Bescheids" angesichts "fehlender sofortiger Vollziehbarkeit" eines bestehenden Aufenthaltsverbotes. Es bestehe "ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer unverzüglich das Bundesgebiet verlassen."
Im Klartext: Jene Menschen, denen das Recht auf Aufenthalt abgesprochen wird, werden zur "Mitwirkung" an ihrer Ausweisung gezwungen. Selbst passives Verhalten, also Nichterscheinen, wird als Unterlaufen der "Mitwirkungspflicht" gesehen und führt zur Anwendung von "Vollzugsgewalt". Sowohl bei der Vorführung als bei der folgenden Abschiebung.
Es gibt viele Beispiele, wie sogenannte Botschafts-Vorführungen durchgeführt werden. Und meist wurden die Vorgeladenen in der Folge abgeschoben. Oft geht es bei den Vorführungen darum, Menschen in ein Land abzuschieben, in dem sie nie zuvor gewesen sind oder in das eigentlich gar keine Abschiebung möglich ist bzw. sein sollte, wie u.a. :: Abschiebungen in den Irak belegen. Ein Bericht aus München beschreibt die :: Botschaftsvorführung irakischer Flüchtlinge und die diese begleitenden Versuche, sowohl die Flüchtlinge als auch die vor der Tür protestierenden AktivistInnen einzuschüchtern.
Anlässlich der bevorstehenden Anhörungen :: beschreibt die Initiative gegen Rassismus und Ausgrenzung Dortmund wie derartige Anhörungen ablaufen. Als Beispiele dienen dabei die sogenannten "Guinea-Anhörungen", die bereits 2005 in Hamburg und Anfang 2006 in Dortmund (sowie zuletzt auch in der Schweiz) stattfanden. (Siehe dazu den :: Erfahrungsbericht von den Anhörungen einer dubiosen Delegation aus Guinea in Hamburg)
Zu den Anhörungen wurden Flüchtlinge aus verschiedenen Bundesländern vorgeladen, die nach eigenen Angaben teilweise auch aus anderen afrikanischen Ländern stammten. Die Delegation sollte "ihre Identität klären" und ihnen gegebenenfalls Papiere ausstellen. Was von solchen "Identifizierungen" zu halten ist, ging schon aus offiziellen Stellungnahmen hervor: Laut Aussage des Leiters der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund entschied die Delegation aus Guinea "aufgrund der Aussprache und der Gesichtsform" über die guineische Staatsangehörigkeit (Welt, 07. Apr 2006). Wie in der Folge von Flüchtlingen aus Guinea und deren Rechtsanwalt gegenüber der Presse erklärt wurde, war der Leiter der guineischen Delegation, die sowohl in Hamburg, in Dortmund als auch später in der Schweiz war, N'Faly Keita, in Guinea selbst als "Schleuser" bekannt. Er beschaffte dort Guineern gefälschte Papiere, brachte sie nach Europa und nahm ihnen die Papiere wieder ab, sobald der "Zielort" erreicht war.
Die Skandalisierung und breite Berichterstattung in der lokalen Presse über diese "Doppelfunktion" des Leiters der guineischen Delegation führte jedoch nicht dazu, dass die Gültigkeit der von ihm ausgestellten Papiere infrage gestellt wurde. So dementierte das Innenministerium NRW sofort Berichte, nach denen zumindest die Abschiebung der betroffenen Flüchtlinge aus NRW, denen die "dubiose Delegation" aus Guinea Reisepapiere ausgestellt hatte, ausgesetzt werden sollte. Mittlerweile dürften die meisten der damals vorgeführten Flüchtlinge abgeschoben worden sein.
Selbst wenn diesmal die guineische Delegation ohne ihren vorherigen Leiter anreisen sollte, bleibt das Verfahren mehr als zweifelhaft: Dass mit den "Identifizierungen" solche Delegationen gegen entsprechende finanzielle Entlohnung dem deutschen Staat eine "Gefälligkeit" erweisen, ist deutlich. Das Verfahren hat sich als sichere Möglichkeit erwiesen, eine Abschiebung von Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern durchzusetzen, die keine Papiere haben und/oder denen die Botschaft keine ausstellt.
So soll in Dortmund selbst jemand, der zwar erschienen ist, aber bei der Vorführung kein Wort gesagt hat, als Guineer "erkannt" worden sein. In Bremen protestierten im Juni 2006 Flüchtlinge, denen von der Delegation Papiere ausgestellt worden waren, gegen ihre geplante Abschiebung nach Guinea: ihren eigenen Aussagen zufolge kamen sie hauptsächlich aus Sierra Leone.
Auch die vorliegende "Anordnung" für die "Guinea-Vorführungen im Juli 2007 enthält eine Mischung aus Fehlinformationen und Drohungen. Die Mitglieder der Delegation - denn darum handelt es sich nun wahrscheinlich wieder einmal - werden als "Angehörige der guineischen Botschaft" bezeichnet:
"In der Zeit vom 16.7.2007 bis zum 27.07.2007 findet eine Sammelvorführung für guineische Staatsangehörige durch die Zentrale Ausländerbehörde Dortmund in Braunschweig statt. Dabei werden Mitarbeiter der guineischen Botschaft Ihre Angaben zu Ihrer Herkunft überprüfen und Sie bei der Passbeschaffung unterstützen. ... Ihre persönliche Vorsprache bei den Mitarbeitern der guineischen Botschaft in den Räumen der Zentralen Ausländerbehörde Braunschweig ist das mildest mögliche Mittel zur Beschaffung eines Nationalpasses, da ansonsten Ihr persönliches Erscheinen bei der guineischen Botschaft in Berlin erforderlich wäre. Dies wäre mit erheblich höherem Zeit- und Kostenaufwand verbunden..."
Auch hier wird mit Sanktionen gedroht, falls die Geladenen nicht erscheinen sollten: Die/Der Vorgeladene müsse dann "damit rechnen, dass künftige Duldungen in ihrer Geltungsdauer drastisch verkürzt werden und auch der räumliche Geltungsbereich bis auf die Grenzen der Stadt verkleinert wird" (d.h. die sog. Residenzpflicht dann auf die Stadt beschränkt wird). Auch eine "Zwangsvorführung" wird angedroht.
Versuche, gegen das Erscheinen vor der Delegation juristisch vorzugehen, waren nur in wenigen Fällen erfolgreich. In der Regel führt das Erscheinen vor derartigen Delegationen zur Abschiebung. Alle, die nicht aus irgendwelchen Gründen eine Aussicht auf einen sicheren Aufenthalt haben, sollten sich dem daher möglichst entziehen. Oder um es deutlich zu sagen: Die Vorführungen boykottieren! Das wird natürlich für alle, die das tun, persönliche Konsequenzen haben! Daher muss sich jedeR überlegen, ob er/sie diese Konsequenzen tatsächlich tragen kann. Falls nicht, bleibt (außer eventuellen Versuchen, mit anwaltlicher Hilfe dagegen vorzugehen) wenig anderes, als einer solchen "Anordnung" Folge zu leisten und an der Ausweisung "mitzuwirken".
Auf jeden Fall bittet der Flüchtlingsrat Hamburg darum, alle potenziell betroffenen Flüchtlinge zu warnen. Sie sollen zumindest bescheid wissen, welche Konsequenzen derartige Aufforderungen nach sich ziehen, um selbst eine Entscheidung treffen zu können. Und tatsächlich haben sich schon viele Menschen entschieden, bei derartigen Terminen nicht zu erscheinen.
Mittlerweile sind mehrere UnterstützerInnengruppen aktiv geworden. Doch auch ihr Handlungsspielraum ist eingeschränkt. Es gab zwar schon des öfteren Proteste gegen "Botschafts-Vorführungen", die mitunter einen zumindest vorübergehenden Erfolg erzielen konnten. Auch wurde bereits gegen Sammeldeportationen protestiert, wobei diese nicht erfolgreich verhindert werden konnten. Deshalb geht es vor allem darum, dass sich eine derartig fragwürdige Praxis nicht verselbständigt und noch häufiger angewendet wird.
Nach wie vor gilt als Aufforderung für praktischen Antirassismus: Abschiebungen unmöglich machen!