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Quellenangabe:
Gewaltlosigkeit oder Legalismus (vom 25.02.2000),
URL: http://no-racism.net/article/22/, besucht am 24.11.2024

[25. Feb 2000]

Gewaltlosigkeit oder Legalismus

Dieser Text entstand vor dem Hintergrund der Diskussionen um Widerstandsformen in der Auseinandersetzung mit einer rechtsextreme Regierungsbildung im Februar 2000

Der teilweise falschen und manipulativen Darstellung der Ereignisse der letzten Tage insbesondere der Auseinandersetzungen vom Freitag, den 4. 2 - in den ?sterreichischen Medien, scheinen nun auch einige GegnerInnen des neuen Regimes aufgesessen zu sein.

Dabei waren die Informationen der Medien so falsch, da? sich die Kronenzeitung sogar erlauben konnte am 5. 2. von einem Sprengsatz als einer mit Trockeneis gef?llten Flasche zu schreiben, w?hrend die meisten Medien wenigstens nur das M?rchen vom Sprengsatz weitererz?hlten, ohne gleich im selben Satz die Unwahrheit der eigenen Behauptung unter Beweis zu stellen

Tatsache ist, da? ?sterreich seit dem 4. Februar von einer Koalition regiert wird, in der eine rechtsextreme Partei (Rechtsextremismusdefininition nach HOLZER, Willibald: in Dokumentationsarchiv des ?sterreichischen Widerstands: Handbuch des ?sterreichischen Rechtsextremismus, Wien, 1993) das Sagen hat, betreibt. Da? gegen diese Regierung Widerstand geleistet wird ist gut, richtig und wichtig. Dieser Widerstand mu? angesichts der massiven strukturellen und staatlichen Gewalt, die vom neuen Regime ausgeht, kr?ftig, kreativ, entschieden und bunt sein. In einem solchen Widerstand m?ssen verschiedene Aktionsformen Platz haben.

Was gemeinhin so als Gewalt bezeichnet wird, ging bei den Demonstrationen vom Freitag jedoch kaum von den DemonstrantInnen aus. ?berall dort, wo die Polizei nicht pr?sent war bzw. die DemonstrationsteilnehmerInnen nicht provoziert oder attackiert wurden, kam es zu keinerlei Ausschreitungen. Diese eskalierten erst lange nachdem die Polizei bei der v?llig friedlichen, zeitweiligen Besetzung des Sozialministeriums Pr?gelexzesse an wehrlosen DemonstrantInnen veranstaltet hatte. Erst nach diesen ersten Pr?geln wurden dort Polizeibeamte mit allem m?glichen beworfen, das sich in der N?he befand.

Die abendlichen Auseinandersetzungen waren wohl auch eine Folge dieser Polizeipr?gel des Nachmittags. Wie seit Tagen ?blich, versuchte die Polizei erneut die DemonstrantInnen von der Zentrale der FP? in der K?rntnerstra?e fernzuhalten. Dabei wehrten sich viele DemonstrantInnen gegen die massiv eingesetzte Staatsgewalt, wobei auch Wurfgeschosse gegen die PolizistInnen und deren Autos flogen. Die Polizei reagierte mit dem ersten Wasserwerfereinsatz seit 10 Jahren und kn?ppelte auf alles, was nach DemonstrantIn aussah. Dabei wurden v.a. auch am Boden sitzende, v?llig wehrlose DemonstrantInnen exzessiv verpr?gelt. Eine Reihe von verletzten DemonstrantInnen mu?te ins Spital gebracht werden. Eine noch nicht feststehende Zahl von DemonstrantInnen wurde verhaftet.

Diesen Pr?gelorgien der Polizei folgten jedoch keine verbalen Angriffe auf die Polizei, sondern Distanzierungen von und Diffamierungen der DemonstrantInnen. Von eingeschleusten Chaoten und Berufsdemonstranten aus Deutschland war hier im ORF und einigen Tageszeitungen die Rede. SOS-Mitmensch-Sprecher Max Koch distanzierte sich nicht nur von der Demonstration, sondern meinte im ORF-Mittagsjournal auch noch, da? Polizeieins?tze gegen solche DemonstrantInnen gerechtfertigt w?ren und auf der Demo vom 19. 2. ein eigens engagierter Ordnerdienst gegen gewaltbereite Demonstranten vorgehen werde. SOS-Mitmensch will also eigene DemopolizistInnen aufstellen, die der staatlichen Polizei in die H?nde arbeiten sollen.

Die Propaganda gegen gewaltbereite Chaoten erm?glichte es schlie?lich auch auf der v?llig gewaltlos verlaufenden Demonstration am folgenden Tag, noch einmal exzessiv auf die DemonstrantInnen einzupr?geln. Obwohl SOS-Mitmensch ihre offizielle Demo absagte, demonstrierten wiederum rund 10.000 DemonstrantInnen spontan und unangemeldet durch Wien, darunter wieder viele Jugendliche und Gewaltfreie. Die zahlreichen Transparente der Gewaltlosen schrieben Spr?che wie z.B. Frieden und Menschenrechte kann man mit Gewalt nicht erk?mpfen!, Gegen DemonstrantInnen, die Eier werfen wollten, oder mit Sprays Spr?che an die Mauern des Parlaments oder des Bundeskanzleramtes malen wollten, gingen sie verbal aber auch handgreiflich vor. Ein M?dchen, da? vor einer ganzen Reihe schwerstbewaffneter Polizisten stand und ihnen ihre Wut ins Gesicht schrie, zerrten die Gewaltlosen buchst?blich weg. Einige Gewaltfreie stellten sich zudem sch?tzend vor die Polizei und bet?tigten sich somit auch als Polizeihilfstruppe. Widerstand ja, Gewalt nein! konnte frau dann auf deren Transparenten weiters lesen.

Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt scheinen solche Gruppierungen nie gef?hrt zu haben, da sie strukturelle Gewalt und Staatsgewalt nicht hinterfragen. Wenn etwa DemonstrantInnen PolizistInnen ihre Kn?ppel entwenden oder entreissen wie dies am Freitag vorgekommen ist, so ist dies zwar illegal, aber trotzdem wohl weit eher eine Entwaffnung eines (staatlichen) Gewaltt?ters.

Wenn diese Sorte von Gewaltfreien dann auch noch gegen AktivistInnen vorgehen, die Parolen gegen die FP?VP-Regierung an W?nde spr?hen, zeigt sich endg?ltig, da? es ihnen in ihrer Gewaltdebatte eigentlich gar nicht um Gewalt geht, sondern um Legalismus. Was f?r solche Personen und Organisationen legal ist, ist f?r sie gewaltfrei, was illegal ist, ist Gewalt.

Mit einer solchen Gleichsetzung wird bewu?t oder unbewu?t - eine Vermischung von Begrifflichkeiten herbeigef?hrt, die unhinterfragt Kriterien der b?rgerlichen Medien ?bernimmt. Wer daf?r ist, nur legale Methoden im Kampf gegen den Rechtsextremismus an der Macht anzuwenden, sollte hingegen dies auch genau so deklarieren, und sich nicht hinter dem moralisierenden Begriff der Gewaltlosigkeit verstecken.

Wer n?mlich wirklich gegen Gewalt ist, mu? auch strukturelle Gewalt und mu? schlie?lich auch die Staatsgewalt bek?mpfen genau jene Staatsgewalt, die seit Tagen jene Menschen verpr?gelt, die ihren Widerstand gegen das neue Regime auf die Stra?e tragen.