Quellenangabe:
Libyens Lager (vom 25.11.2007),
URL: http://no-racism.net/article/2369/,
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[25. Nov 2007]
Der Bericht "Flucht aus Tripolis" von "Fortress Europe" über die "Lebens- bedingungen von Transit- migrantInnen in Libyen", basiert auf Aussagen von AugenzeugInnen. Er gibt u.a. Einblick in ein System von Lagern - errichtet mit Billigung und Finanzierung durch die EU.
Mindestens 20 Haftanstalten für MigrantInnen gibt es in Libyen. Drei davon wurden mit Geld aus Italien finanziert - eines davon in Kufrah, einem der verrufensten Orte in der düsteren Geografie afrikanischer Migration Richtung Europa. Die Inhaftierten wurden entweder in Lybien aufgegriffen oder von EU-Staaten aus dorthin abgeschoben. Der Bericht von Fortress Europe basiert neben diversen Statistiken und schwer zugängigen offiziellen Dokumenten vor allem auf den Aussagen ehemals Inhaftierter.
Beyene erinnert sich gut an seine Zeit in diesem Lager: "Wir waren mindestens 700, 100 Äthiopier, 200 Eritreer und 400 Sudanesen. Wir schliefen auf dem Boden, einer über dem anderen, weil es keinen Platz gab. Wir aßen einmal am Tag: 20 Gramm Reis und eine Brotstange, gegen Bezahlung. Jede Nacht nahmen sie mich in den Hof und ich musste Liegestütze machen. Als ich nicht mehr konnte, schlugen sie mich."
Das Gefangenenlager Kufrah im Südosten Libyens befindet sich tief in der Sahara-Wüste in Richtung Sudan. Die Zellen, berichten InsassInnen, die es wieder herausgeschafft haben, messen ungefähr sechs mal acht Meter, und darin wohnen zwischen 20 und 78 Menschen, teils monatelang, ohne Ausgang außer Zwangsvorführung vor der Polizei und ohne Ausweg außer Freikauf oder Deportation. Es ist entweder unerträglich heiß oder empfindlich kalt, Krätze, Läuse und Tuberkulose grassieren. "Nach drei Monaten traten wir in den Hungerstreik", berichtet Zerit, ein ehemaliger Häftling. "Aber das war der Polizei egal."
Libyen ist eines der Haupttransitländer für MigrantInnen, die aus bzw. über Afrikan nach Europa wollen. Die klassische Transsahararoute aus dem südlichen Nachbarland Niger ist derzeit dicht, weil in Nigers Wüstengebieten Krieg herrscht. Doch die Krisen in Sudan und am Horn von Afrika machen Libyen als Durchgangsland für MigrantInnen aus dem Sudan, Äthiopien, Eritrea und Somalia interessant. Dazu kommen Menschen aus Ägypten und immer öfter aus Marokko, seit die heimliche Migration über die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla schwieriger geworden ist. Von Libyens sechs Millionen EinwohnerInnen sind rund ein Fünftel AusländerInnen, viele davon illegalisiert und rechtlos.
Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi gibt sich in Afrika gern als Vorreiter der Einheit des Kontinents. Aber mehrmals hat es in den letzten Jahren in Libyen Massendeportationen afrikanischer MigrantInnen gegeben. Seit Februar 2007 herrscht Visumpflicht für fast alle AfrikanerInnen, mit der Folge schärferer Kontrollen. Von Anfang 2006 bis Mai 2007 griff Libyens Grenzpolizei 6.725 AfrikanerInnen auf dem Weg nach Europa auf und sammelte 360 Leichen ein. Über 50.000 MigrantInnen wurden 2006 aus dem Land deportiert.
Wie viele dabei gestorben sind, ist nicht bekannt. Aber "Fortress Europe" dokumentierte mehrere Fälle von in der Wüste ausgesetzten Flüchtlingen und von MigrantInnen, die unterwegs Leichen im Sand finden. "Tod in der Wüste und im Meer vor Sizilien; Folter und sexuelle Gewalt in den Lagern; Deportationen in die Sahara; kollektive Ausweisungen; Mord in Polizeikommissariaten; rassistische Angriffe in Tripoli" - so fasst "Fortress Europe" das Los der Illegalisierten zusammen. Derzeit sind nach EU-Angaben in Libyen 60.000 illegale MigrantInnen in Haft - auch in Lagern wie Kufrah.
Die Zustände in Kufrah sind in Europa bekannt. Eine Delegation der EU-Grenzschutzbehörde "Frontex" besuchte das Lager während einer einwöchigen Libyen-Reise am 30. Mai 2007 zwischen 11 und 11.30 Uhr. In einem Bericht zu dieser Reise heißt es fast schon beschönigend: "Die Umstände in dieser Struktur können als rudimentär bezeichnet werden, mit einem Mangel an Grundversorgung".
Konsequenzen daraus wurden keine gezogen. Dafür aber nahm die EU eine detaillierte Auflistung libyscher Wünsche zur Effektivierung des Umgangs mit Flüchtlingen entgegen: "Toyota-Geländewagen, regelmäßige Lieferungen von Ersatzteilen und Reifen, hochwertige Kommunikationsgeräte, spezialisierte Überwachungssysteme, Nachtsichtgeräte, Hubschrauber, ausgestattete Migrantenzelte, Trainingskurse, Krankenwagen, wüstentaugliche Fahrzeuge, Satellitennavigationssysteme."
Die EU hat mit so etwas kein Problem. Gaddafi ist in den letzten Jahren zum Partner geworden. Wegen seines Öl- und Gasreichtums ist Libyen eines der attraktivsten Investitionsziele im arabischen und afrikanischen Raum, es vermittelt im sudanesischen Darfur und wird von 2008 an im UN-Sicherheitsrat sitzen. Libyen lässt sich laut "Fortress Europe" eigene Abschiebeflüge von Europa bezahlen und soll 2008 das erste afrikanische Land werden, das an den Frontex-Meerespatrouillen gegen Flüchtlinge teilnimmt.
"Fortress Europe" fordert von der EU, sie solle ihre migrationspolitische Zusammenarbeit mit Libyen aussetzen und stattdessen die Freilassung inhaftierter MigrantInnen und politischer Gefangener in Libyen verlangen. Doch ist es die EU selbst, von der diese Entwicklung ausgeht und die mehr und mehr an der Vorverlagerung der Abschottung baut. So ist das Budget der EU-Grenzschutzagentur Frontex der am schnellsten wachsende Haushaltsposten der EU: 17,5 Millionen Euro 2006, 42 Millionen Euro 2007, 70 Millionen Euro in der Haushaltsvorlage 2008. Die Patrouillen in Mittelmeer und Atlantik sollen ab 2008 zur Dauereinrichtung werden - in Zusammenarbeit mit den afrikanischen AnrainerInnen-Staaten.
Der ganze Bericht "Flucht aus Tripolis" ist auf englisch, französisch und italienisch bei :: fortresseurope zu lesen. Einen Überblick über die geografische Lage der Internierungslager in Lybien gibt eine :: Karte bei google.
Lesenswert ist auch der 2005 von Helmut Dietrich verfasste Bericht :: Das Mittelmeer als neuer Raum der Abschreckung. Flüchtlinge und MigrantInnen an der südlichen EU-Außengrenze. Vieles in diesem Bericht zeigt - nicht nur in Hinblick aus Libyen - den rasanten Ausbau der Exterritorilalisierung der EU-Abschottungspolitik auf.
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel aus :: taz, die tageszeitung vom 13. Nov 2007.