Quellenangabe:
Suizid in Berliner Abschiebungsgewahrsam (vom 03.01.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2404/,
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[03. Jan 2008]
Flüchtlingsrat Berlin fordert umfassende Aufklärung bezüglich des Tods des 28-jährigen Mannes aus Tunesien, der sich am 30.12.07 in der Polizeiabschiebehaftanstalt Berlin-Grünau erhängte und am 1.1.08 starb.
Am 01.01.2008 ist ein 28jähriger aus Tunesien stammender Insasse der Polizeiabschiebehaftanstalt Berlin-Grünau an den Folgen eines Suizidversuches verstorben. Er war am 28.12.07 in Abschiebehaft genommen worden und hatte am 30.12.07 einen Suizidversuch unternommen.
Suizidversuche oder Selbstverletzungen sind das letzte Mittel, mit dem Insassen in der Abschiebehaft versuchen, auf ihre schwierigen von psychischen Druck und Isolation geprägten Lebensumstände aufmerksam zu machen.
So kam es Anfang 2003 zu einer Kette von Selbstverletzungen und Suizidversuchen von Inhaftierten, mit dem diese gegen die Praxis der Haftanordnungen und die vorherrschenden Haftbedingungen protestierten.
Der Flüchtlingsrat fordert eine umfassende Aufklärung des Vorfalles. Dazu gehört auch die Prüfung der Gründe und der genauen Umstände der Inhaftierung. Es sollte auch geklärt werden, ob eine Überprüfung der Haftfähigkeit durch den Polizeiärztlichen Dienst (PÄD) vorgenommen wurde.
Der Flüchtlingsrat lehnt die Abschiebehaft als reine Verwaltungshaft aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Diese stellt eine unverhältnismäßige Einschränkung der Grundrechte der betroffenen Flüchtlinge und Migranten dar. Aktuell ist die Zahl der Inhaftierten wieder gestiegen. Sie beläuft sich auf 114 Personen.
Angesichts der geltenden Rechtslage setzt sich der Flüchtlingsrat gemeinsam mit dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden für eine größtmögliche Haftvermeidung und eine Verbesserung der Haftbedingungen ein.
Der Flüchtlingsrat hat wiederholt auf die Notwendigkeit einer von der Polizei unabhängigen kompetenten medizinischen und psychologischen Regel- und Notfallversorgung in der Abschiebungshaft aufmerksam gemacht - zuletzt aus Anlass der Verurteilung eines Polizeisanitäters wegen Körperverletzung im Amt durch unterlassene Hilfeleistung.
Flüchtlingsrat Berlin,
2. Januar 2008
Bündnis 90/Die Grünen werden im Innenausschuss die notwendige umfassende Aufklärung einfordern. Die Innenbehörde muss sich der Frage stellen, wieso ein junger Abschiebehäftling nicht unter besonderer Beobachtung steht und seine Haftfähigkeit geprüft wird, wenn er frisch inhaftiert wird. Haftvermeidung muss gerade im Abschiebegewahrsam eine bedeutende Rolle spielen, da die Häftlinge in der Regel nicht strafrechtlich, sondern aufenthaltsrechtlich sanktioniert werden.
Es ist keine Seltenheit, dass der Suizid dann unternommen wird, wenn der Inhaftierte gerade kurze Zeit und das erste Mal in Haft genommen wurde. Gegen den durch den sogenannten "Haftschock" ausgelösten Suizid hat etwa die JVA Moabit mit einem Expertenteams dazu beigetragen, dass Inhaftierte kurz nach ihrer erstmaligen Inhaftierung unter besonderer Beobachtung stehen und gegebenenfalls stabilisiert und betreut werden.
Die politische Verantwortung im Abschiebegewahrsahm ist ungleich höher, da es sich um Verwaltungs- nicht aber um Strafhaft handelt. Dieser Suizid ist ein weiterer Beleg dafür, dass die ärztliche und psychologische Betreuung in Abschiebehaft unzureichend ist.
Presseberichte und Polizei-Pressemeldungen
http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/suizid_polizei_020108.html
Presseerklärung Flüchtlingsrat Berlin v. 28.11.07
Abschiebungshaft Berlin: Polizeisanitäter wegen Körperverletzung verurteilt
http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_pe.php?sid=379
Presseerklärung Flüchtlingsrat Berlin v. 03.06.05
Polizeiabschiebehaft Berlin-Grünau - lebensgefährlich?
Beinahe-Todesfälle häufen sich
http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_pe.php?sid=235
Dokumentation
Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen
http://www.anti-rar.de/doku/titel.htm