Quellenangabe:
In Gedenken an John Williams (vom 06.04.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2499/,
besucht am 22.12.2024
[06. Apr 2008]
Am Fr, 04. April 2008 gedachten einige AntifaschistInnen dem vier Jahre zuvor verstorbenen Flüchtling John Williams. An seinem "Grab" am Friedhof in Klein Wanzleben (bei Magdeburg), wurde ein Blumengesteck niedergelegt. Ein Beitrag zu seiner Geschichte und der deutschen Flüchtlingspolitik.
Das "Ausreisezentrum" des Landes Sachsen Anhalt in Halberstadt
"Das Schlimmste ist, und es tut uns leid dies sagen zu müssen, aber das Schlimmste ist, dass wir als Menschen im 21. Jahrhundert mit Methoden des Jahrhunderts der Lager zum Verraten unserer selbst gezwungen werden sollen. Bilder der vollen Flüchtlings- und Gefangenenlager sind immer sehr eindrucksvoll, wenn sie aus der Ferne kommen.
Wir leben hier in Halberstadt in einem Ausreiselager ... von Ausländerbehörden nach einem uns nicht erkennbaren Schlüssel ausgewählt und eingewiesen, unter anderem deshalb, weil wir "gewaltlos sind, sozial verträglich" wie es im Amtsdeutsch heißt.
Wir wollen als Menschen die Sehnsucht nach Freiheit nicht nur in den Köpfen haben sondern leben."
Menschen aus dem Lager
Europa wird immer mehr zu einer Festung, deren Mauern für Asylsuchende kaum überwindbar sind. Schafft mensch es trotz aller Schwierigkeiten nach Deutschland zu gelangen, beginnt hier oft ein jahrelanges Martyrium von Verhören, Unterbringung in meist baufälligen Unterkünften und völliger Unsicherheit über die weitere Zukunft. Nur 2% der 2007 gestellten Asylanträge wurden genehmigt. Im Jahre 2006 erreichten nur 718 Flüchtlinge das Land Sachsen-Anhalt. Von Ihnen erhielten 8 Menschen das Recht auf Asyl. 200 Menschen erhielten eine Duldung, weil sie nicht sofort in hier Herkunftsland abgeschoben werden konnten.
Seit sechs Jahren leben Menschen unter uns, deren Leben darin besteht, ein Bett zum Schlafen zu haben, Bekleidung aus der Kleiderkammer, Essen so viel - dass sie nicht verhungern, eine medizinische Versorgung die ausschließlich verhindern soll, dass sie sterben. Die Stadt Halberstadt dürfen sie nicht verlassen. Seit sechs Jahren erhalten diese Menschen nicht ein Cent Geld, dürfen sich auch durch Arbeit keins verdienen, selbst Briefumschläge, Briefmarken und Telefongespräche werden diesen Menschen verweigert.
Menschen ohne Papiere, ohne gültigen Ausweis. Der Vorwurf der AusländerInnenbehörden lautet, dass diese Menschen ihre Identität verschleiern würden.
Durch das Innenministerium von Sachsen-Anhalt wurde im Januar 2002 eine so genannte "Zentrale Ausreiseeinrichtung", in der offiziellen Terminologie der Behörden auch mit GU-ZASt (Gemeinschaftsunterkunft - Zentrale Anlaufstelle für AsylbewerberInnen) bezeichnet, in Halberstadt eingerichtet. Die Zielstellung bestehe darin, durch eine "intensive soziale Betreuung" die "Mitwirkungspflicht bei der Passersatzbeschaffung" durch die Flüchtlinge zu erreichen.
Das Abschiebelager befindet sich ca. 7km weit außerhalb von Halberstadt. Gemeinsam mit der ZASt ist es in einer ehemaligen Kaserne der NVA untergebracht. Die Mehrbettzimmer, in denen die Flüchtlinge leben müssen, wurden seit 1989 nur notdürftig renoviert.
Die Maßnahmen der "intensiven sozialen Betreuung" sehen beispielsweise so aus, dass die Residenzpflicht strikt auf die Stadt Halberstadt begrenzt wird. In der Verschärfung des Erlasses zur Ausreiseeinrichtung wurde besonders verfügt, dass Urlaubsanträge "sehr restriktiv zu handhaben" seien. Urlaubsanträge haben nichts mit Urlaub zu tun, sondern sind Anträge der Flüchtlinge die Stadt Halberstadt zu verlassen, um z.B. Bekannte in einer anderen Stadt besuchen zu dürfen. Die Duldung – das ist die Aufenthaltserlaubnis - müssen sich die Flüchtlinge wöchentlich, teilweise sogar im Tagesrhythmus durch die AusländerInnenbehörde verlängern lassen.
Die medizinische Versorgung wird nur für das Allernotwendigste gewährt. Es gibt keineN Arzt/Ärztin im Lager, sondern nur eine Krankenschwester, von der sich die Flüchtlinge begutachten lassen müssen, um über einen sehr bürokratischen Weg einen Krankenschein – das ist auch kein "normaler" Krankenschein sondern die Berechtigung sich von einem/r Arzt/Ärztin behandeln zu lassen - erlangen. Dann müssen sie sich auf einem ca. 7 km langen Fußmarsch begeben, um endlich vom zuständigen Arzt/der zuständigen Ärztin behandelt zu werden.
Viele Flüchtlinge im Lager sind krank. Neben physischen Leiden stehen vor allem die psychischen im Vordergrund, wie Schlafstörungen, Angst und Depressionen.
John Williams, der zwei Jahre im Ausreiselager lebte, verstarb am 4. April 2004. Bis heute ist die Frage, welche Auswirkungen die Lebensbedingungen vor Ort auf seinen Krankheitsverlauf hatten, nicht vollständig geklärt.
John Williams kam aus dem Sudan in die BRD um einen Asylantrag zu stellen. Die AusländerInnenbehörde jedoch behauptete, dass John Williams aus einem anderen Land käme. Die Ursache ist eindeutig. Käme er aus dem Sudan hätte er auch einen Anspruch auf Asyl gehabt. Der Asylantrag wurde abgelehnt und John Williams wurde durch einen Bescheid des Landkreis Anhalt-Zerbst vom 19. März 2002 in das Abschiebelager Halberstadt eingewiesen.
Die Behörde führte aus: "Vor diesem Hintergrund ergibt sich nunmehr die Notwendigkeit intensiver zielgerichteter behördlicher Maßnahmen zur Beschaffung des für Ihre Ausreise erforderlichen Heimdokuments. Dafür bietet die landeseigene Einrichtung der GU-ZAST die notwendigen Voraussetzungen. Dies erfordert Ihre Verpflichtung, in der dortigen Unterkunft Wohnung zu nehmen, um für die künftigen Maßnahmen jederzeit zur Verfügung zu stehen. Zur Verwirklichung dieses aufenthaltsrechtlichen Zwecks dient auch die auf den Bezirk der Ausländerbehörde Halberstadt bezogene räumliche Beschränkung der Duldung. Sie soll als flankierende Regelung die Durchsetzung und Beschleunigung der vorgesehenen Maßnahmen gewährleisten. Sie ist nicht unverhältnismäßig, da sie sich als geeignetes Instrumentarium erkennbar gegen Ihr missbräuchliches Verhalten richtet. ... Denn die in der GU-ZAST durchzuführenden Maßnahmen zur Passbeschaffung, die keinen weiteren Aufschub dulden, bedingen insbesondere den Einsatz entsprechender persönlicher und sächlicher Mittel, die nur vor Ort in quantitativer und qualitativer Ausgestaltung vorhanden sind." (Rechtsanwalt Breuer)
Die Maßnahmen die in der Abschiebeeinrichtung zur Feststellung der Identität durchgeführt werden bestehen u.a. darin, die Menschen die dort leben ständigen Verhören zu unterziehen. Auf der Grundlage von Sprachgutachten solle die Identität geklärt werden. Hinzu kommen regelmäßige Vorführungen vor den Botschaften der jeweiligen Länder. John Williams wurde der sudanesischen Botschaft vorgeführt, also der Botschaft des Landes, aus dem er nach eigenen Angaben geflohen war. Die Botschaft behauptete John Williams würde nicht aus dem Sudan kommen. Die Situation in der sich die Flüchtlinge befinden ist eindeutig. Egal was sie zu ihrer Verteidigung sagen - alles ist Lüge. Die Definitionsmacht über Identität liegt ausschließlich bei den AusländerInnenbehörden und Botschaften.
"Gegen Herrn Williams wurde ein Strafverfahren eingeleitet, weil er als Nationalität Sudan angegeben hatte und somit eine mittelbare Falschbeurkundung begangen habe. Es erging gegen ihn ein Strafbefehl über 40 Tagessätze a 5,00 EURO. Herr Williams hat diese Strafe durch gemeinnützige Arbeit im Zeitraum 20.08.- 14.10.2003 bei dem "Plansch" e. V. in Halberstadt abgeleistet. Im April 2003 fand nochmals eine Botschaftsvorführung bei der nigerianischen Botschaft statt, und zwar erneut erfolglos." (Rechtsanwalt Breuer)
Im Frühjahr 2004 erkundigte sich der Rechtsanwalt von John Williams nach dem Verbleib seines Mandanten, der sich längere Zeit nicht gemeldet hatte. Erst nach mehrmaligen Nachfragen wurde dem Rechtsanwalt mitgeteilt, dass John Williams am 4. April 2004 verstorben sei.
Im Januar 2003 hatte John Williams beantragt medizinisch untersucht zu werden. Dies wurde in Schreiben des Landkreises Anhalt-Zerbst (Rechtsanwalt Breuer) abgelehnt.
Der Verlauf der Krankheit
Die ersten Anzeichen der Krankheit wurden von MitbewohnerInnen auf August 2002 datiert. Das Gedächtnis, seine Fähigkeit zu Schreiben und seine Sehkraft haben immer mehr nachgelassen. Alles Hinweise auf eine ernst zu nehmende Erkrankung. Dennoch muteten die Behörden ihm zu, eine Arbeitsstrafe in Halberstadt abzuleisten, wofür er im Winter täglich mit dem Fahrrad die 7 km lange Strecke hinter sich bringen musste.
Insgesamt wird John Williams als ein sehr ruhiger, freundlicher, älterer Mann beschrieben, der für die anderen BewohnerInnen eine Art Vaterfigur darstellte. Sein körperlicher Verfall führte zu großer Sorge bei seinen FreundInnen. So haben diese ihn aufgrund der Tatsache, dass er am Ende nahezu blind war, auch nachts zur Toilette begleiten müssen.
Laut Berichten wurde eine Einweisung von Herrn Williams ins Krankenhaus vom zuständigen Sozialamt abgelehnt. Dies ist umso glaubhafter, als dass das Sozialamt später versuchte, Herrn Williams von der Intensivstation des Krankenhauses Halle/Dölau zu entfernen, was nur durch ärztlichen Widerstand verhindert werden konnte. Dies zeigt, welche verheerenden Auswirkungen die Leistungseinschränkung auf das unabweisbar Gebotene für die Betroffenen haben.
Im Dezember 2003 verschlechterte sich sein Zustand so immens, dass MitbewohnerInnen unabhängig von der Sozialstation die Ambulanz informierten. Nach einem einwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus in Halberstadt wurde Herr Williams wieder zurück in das Ausreiselager verlegt.
Nach einigen Tagen - im Frühjahr 2004 - suchte Herr Williams das Gesundheitsamt in der ZASt Halberstadt auf und wurde wieder ins Krankenhaus überwiesen. Nach Aufenthalten in unterschiedlichen Krankenhäusern erreichte er das Krankenhaus Halle/Dölau im Koma. (Initiative zur Schließung des Abschiebelagers)
John Williams wurde stillschweigend – ohne den Versuch zu unternehmen, seine Verwandten und FreundInnen zu informieren - in Kleinwanzleben bei Magdeburg auf der Urnengemeinschaftsanlage - der so genannten Grünen Wiese - anonym bestattet.
Die Zielstellung des Lagers ist eindeutig. Die Flüchtlinge sollen solange sanktioniert werden, bis sie eine Identität annehmen, die sie abschiebefähig macht. Die Maßnahme ist nämlich im Gegensatz zur Abschiebehaft zeitlich unbefristet und unterliegt keiner "demokratischen" Kontrolle. Bezeichnend ist deshalb die Aussage des Innenministers von Sachsen-Anhalt, der am 18.01.04 stolz verlauten ließ, dass bereits "...bis zum Stichtag 52 Personen freiwillig ausgereist bzw. untergetaucht" seien. Über 50 % der eingewiesenen Flüchtlinge haben inzwischen ein Leben in der Illegalität begonnen, und das ist offensichtlich auch durch das Innenministerium so gewollt.
Sowohl die linke als auch bürgerliche Öffentlichkeit schweigt, ohne sich mit den Menschen in den Abschiebelagern zu solidarisieren. In Halberstadt sind diese Menschen isoliert. Widerstand leisten die Flüchtlinge selbst sowie einige wenige UnterstützerInnen, wie die Karawane aus Halle oder die Initiative für die Schließung des Abschiebelagers.
[i]Für die Schließung aller Abschiebelager!
Gegen rassistische Flüchtlingspolitik!
Hoch die internationale Solidarität!
zusammen kämpfen, 4.4.2008[i]
Dieser Text wurde zuerst auf :: de.indymedia.org veröffentlicht.