Quellenangabe:
Was hat Gemüse mit Migration zu tun? (vom 10.05.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2548/,
besucht am 27.12.2024
[10. May 2008]
Die Broschüre "Peripherie & Plastikmeer. Globale Landwirtschaft - Migration - Widerstand" thematisiert die Lebens- und Arbeitsbedingungen von MigrantInnen in der europäischen Landwirtschaft.
Wie aus dem Titel hervorgeht, wird neben der Situation auf den Feldern der EU auch auf die Situation in den Herkunftsländern der MigrantInnen, wie Senegal, Rumänien ... geblickt.
"Ob Hungerrevolten im globalen Süden, wütende Proteste von Milchbauern und -bäuerinnen in Deutschland oder weltweiter Widerstand gegen gentechnologisch manipuliertes Saatgut - es liegt schon lange zurück, dass landwirtschaftspolitische Fragestellungen derart viel Beachtung in den (Massen-)Medien erfahren haben wie zur Zeit. Auf diese Weise wird der ebenso simple wie grundsätzliche Umstand in Erinnerung gerufen, dass im Kapitalismus selbst die Produktion von Nahrungsmitteln der schnöden Logik des Profits gehorcht. Einer der diesbezüglich markantesten Sachverhalte ist zweifelsohne das komplexe Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Migration - ihm soll in dieser Broschüre nachgegangen werden."
Die Broschüre wurde im April 2008 von NoLager Bremen und dem Europäisches BürgerInnenforum herausgegeben. Sie kann unter plastik.meer (at) reflex.at um 5 Euro bestellt oder :: hier als pdf runtergeladen (114 Seiten) werden.
Mit der Broschüre soll einerseits die Arbeit der LandarbeiterInnengewerkschaft SOC-SAT sichtbar und unterstützt werden:
"Die SOC-SAT ist eine andalusische LandarbeiterInnengewerkschaft. Sie setzt sich nicht nur für die sozialen Rechte von LandarbeiterInnen ein. Zu ihrer Agenda gehören auch antirassistische Aktivitäten, nicht zuletzt die offensive Unterstützung papierloser MigrantInnen in der agrarindustriellen Obst- und Gemüseproduktion Südspaniens. Diese doppelte Ausrichtung der SOC-SAT ist in Europa nahezu einzigartig."
In der Broschüre wird dazu aufgerufen, die Arbeit der SOC-SAT mit Spenden zu stärken:
Bankverbindung: Posojilnica-Bank Zelezna Kapla/Bad Eisenkappel BLZ: 39130
Konto: Verein Europäisches BürgerInnenforum/Österreich, Nr.: 8.055.451
IBAN: AT94 3913 0000 0805, BIC: VSGKAT2K130
Betreff: SOC-SAT Kampagne
Andererseits werden auch Möglichkeiten für Widerstand präsentiert:
NoLager Bremen plant zusammen mit mehreren Gruppen und Einzelpersonen aus dem antirassistischen, landwirtschaftlichen und klimapolitischen Spektrum eine Kampagne rund um das Thema "Supermärkte und globale soziale Rechte". Die Auftaktveranstaltung findet am 14. Mai 2008 in Bremen statt: "Supermärkte und Globalisierung. Vom Ausverkauf sozialer Rechte durch EU, Lidl & Co."
Im folgenden dokumentieren wir das Editorial der Broschüre:
ob Hungerrevolten im globalen Süden, wütende Proteste von Milchbauern und -bäuerinnen in Deutschland oder weltweiter Widerstand gegen gentechnologisch manipuliertes Saatgut - es liegt schon lange zurück, dass landwirtschaftspolitische Fragestellungen derart viel Beachtung in den (Massen-)Medien erfahren haben wie zur Zeit. Wir begrüßen das - bei aller Dramatik des Anlasses. Wird doch auf diese
Weise der ebenso simple wie grundsätzliche Umstand in Erinnerung gerufen, dass im Kapitalismus auch die Produktion von Nahrungsmitteln der schnöden Logik des Profits gehorcht. Einer der diesbezüglich markantesten Sachverhalte ist zweifelsohne das komplexe Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Migration. Ihm möchten wir im Rahmen dieser Broschüre auf drei Ebenen nachgehen:
a) Spätestens seit Anfang der 1990er Jahre ist es im weltweiten Einzelhandel zu enormen Konzentrationstendenzen gekommen. Hierdurch haben insbesondere Supermarktketten eine geradezu aberwitzig anmutende Marktmacht erlangt. Konkreter: Mittels Preisdiktaten werden ZuliefererInnen massiv unter Druck gesetzt
- wer nicht pariert, bleibt auf der Strecke. Eines der prominentesten Beispiele ist zweifelsohne die agrarindustrielle Obst- und Gemüseproduktion in Europa. Vor allem deshalb, weil sie ohne die billige und flexible Arbeitskraft von MigrantInnen
- viele von ihnen ohne Papiere - überhaupt nicht denkbar wäre. Wir haben deswegen im ersten Teil des Readers Texte zusammengestellt, die sich mit der Situation von migrantischen LandarbeiterInnen beschäftigen, und zwar vornehmlich in Italien und Spanien, woher ein beträchtlicher Teil des hiesigen Obstes und Gemüses stammt. Selbstredend ist dies nicht möglich, ohne das Modell landwirtschaftlicher Intensivproduktion als solches näher in den Blick zu nehmen - einschließlich der gezielten Rekrutierungsstrategien von MigrantInnen als SaisonarbeiterInnen bzw. TagelöhnerInnen.
b) Ist von Migration die Rede, stehen in aller Regel die Verhältnisse in den so genannten Aufnahmegesellschaften im Mittelpunkt - bisweilen auch die katastro- phalen, ja tödlichen Bedingungen auf den Flucht- bzw. Migrationsrouten. Demgegenüber bleibt weitgehend unbesprochen, weshalb MigrantInnen überhaupt aufbrechen und was dies mit jenen Prozessen zu tun hat, welche gemeinhin unter dem Schlagwort der Globalisierung firmieren. In diesem Sinne haben wir für den zweiten Teil des Readers Texte und Interviews ausgewählt, welche exemplarisch die gesellschaftlichen Hintergründe von Migration ausleuchten. Mit landwirtschaftlichen Perspektiven hängt all dies insofern zusammen, als in großen Teilen des globalen Südens Landwirtschaft und Migration die beiden Seiten derselben Medaille darstellen.
c) Die Arbeits- und Lebensbedingungen von LandarbeiterInnen in Europa sind zwar krass, mitunter auch verstörend. Dennoch regt sich schon seit langem Widerstand. Hervorgehoben sei insbesondere die andalusische LandarbeiterInnen-Gewerkschaft SOC-SAT, in welcher viele Hundert MigrantInnen - insbesondere aus afrikanischen Ländern - organisiert sind. Unterstützt wird die SOC-SAT seit vielen Jahren durch das Europäische BürgerInnenforum. So ist es etwa durch eine europaweite Spenden-Kampagne gelungen, zwei von der SOC-SAT betriebene soziale bzw. gewerkschaftliche Zentren mitten in den Gemüseanbaugebieten rund um Almeria zu finanzieren. Hierzulande ist dieser Impuls von unterschiedlicher Seite aufgenommen worden, unter anderem während der G8-Proteste vergangenes Jahr in Heiligendamm. Stellvertretend sei etwa eine Kundgebung vor einer Filiale der Discounter-Kette Lidl im Rahmen des Migrationsaktionstages am 4. Juni erwähnt - im übrigen unter Beteiligung eines Vertreters der SOC-SAT. Hierzu passt, dass aktuell mehrere Gruppen - darunter die HerausgeberInnen dieses Readers - mit der Frage befasst sind, wie eine längerfristig angelegte Kampagne zu Supermärkten aussehen könnte, auch in Hinblick auf die bereits laufende Lidl- Kampagne der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Kurzum: Im dritten Teil des Readers wird es um Widerstandspraxen gehen - aktuelle wie zukünftige.
In Sachen Supermarkt-Kampagne findet Mitte Mai 2008 in Bremen eine erste größere Veranstaltung statt - unter dem Motto "Supermärkte und Globalisierung. Vom Ausverkauf sozialer Rechte durch EU, Lidl & Co.". Neben einer Lidl-Kampagnerin von ver.di - sowie weiteren Gästen - wird an dieser Veranstaltung auch Spitou Mendy von der SOC-SAT teilnehmen. Das ist insofern bedeutsam, als sich erst vor diesem Hintergrund die konkreten Zielsetzungen benennen lassen, welche wir mit der Erstellung dieses Readers verbinden: Erstens möchten wir die Arbeit der SOC-SAT politisch und materiell unterstützen - der ausdrückliche Verweis auf das diesbezügliche Spendenkonto (vgl. Umschlaginnenseite) ist deshalb mehr als bloße Solidaritätsfolklore! Zweitens möchten wir uns für Kooperationsprojekte entlang so genannter Wertschöpfungsketten stark machen - etwa zwischen Lidl- Beschäftigten in Deutschland und papierlosen LandarbeiterInnen in Südspanien. Ein Unterfangen - so viel dürfte sich von selbst verstehen - welches nur gelingen wird, so denn Differenzen und Widersprüche offen angegangen werden: etwa die Debatte um die von antirassistischer Seite propagierte Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit (verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die Initiative www.globale-soziale-rechte.de). Drittens möchten wir einen Beitrag zur Forcierung transnationaler Organisierungsprozesse leisten. Exemplarisch sei das Interview mit dem kongolesischen Via Campesina-Aktivisten Victor Nzuzi hervorgehoben oder der Bericht einer transnational zusammengesetzten Gewerkschaftsreise nach Rumänien.
Der hier vorgelegte Reader ist keineswegs vom Himmel gefallen, er steht vielmehr in unmittelbarem Zusammenhang mit früheren, wärmstens empfohlenen Publikationen: Zum einen mit zwei vom Europäischen BürgerInnenforum herausgegeben Sammelbänden: "Bittere Ernte - Die moderne Sklaverei in der industriellen Landwirtschaft Europas/2004" und "Anatomie eines Pogroms - z.B. El Ejido: Bericht einer Delegation europäischer Bürgerinnen und Bürger über die rassistischen Ausschreitungen vom Februar 2000 in Andalusien". Zum anderen mit dem vom "Aktionsnetzwerk globale Landwirtschaft" anlässlich des G8-Gipfels erstellten Reader "Widerstand ist fruchtbar. Analysen und Perspektiven für eine nichtkapitalistische Landwirtschaft". Ihr findet genauere Angaben zu diesen und vielen anderen Publikationen und Links im letzten Teil der Broschüre.
Last but not least: Wir möchten all jenen InterviewpartnerInnen danken, die von ihren eigenen Erfahrungen in der Saisonarbeit berichtet haben! Denn meist sind es erst solche Berichte, welche überhaupt einen Zugang zu der in den reichen Industrieländern gemeinhin verdrängten Welt landwirtschaftlicher Produktion ermöglichen.
Wien/Bremen, im April 2008