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Quellenangabe:
Hintergrundwissen zu §278a StGB (vom 29.05.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2577/, besucht am 20.04.2024

[29. May 2008]

Hintergrundwissen zu §278a StGB

Dabei sein ist alles - Informationen zum § 278a StGB in Österreich - Eine Info der Rechtshilfe, 28. 05. 2008

Als am 21. Mai 2008 23 Wohnungen, Büros und Häuser von TierrechtsaktivistInnen in Wien, Niederösterreich, der Steiermark, Salzburg und Tirol durch Sondereinheiten der Polizei gestürmt und durchsucht wurden, sowie zeitgleich Haftbefehle gegen 10 der Betroffenen ergingen, stellte sich schnell heraus, was als Begründung für dieses massive Repression gegen linke AktivistInnen herhalten muss. Den Inhaftierten wird die Bildung einer kriminellen Organisation nach § 278a StGB vorgeworfen.

Dieser Paragraph wurde ursprünglich 1993 gemeinsam mit dem § 165 StGB gegen Geldwäsche eingeführt, um bei der Bekämpfung der organisierte Kriminalität bereits die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation unter Strafe zu stellen, ohne das von dieser kriminellen Organisation bzw. deren Mitgliedern bereits konkrete Taten begangen worden sind. Der Straftatbestand ist ein sogenanntes "Vorbereitungsdelikt", das heißt, dass der Tatbestand der kriminellen Organisation ein im Vorfeld zukünftiger verbrecherischer Aktivitäten liegendes Verhalten erfasst, das für sich alleine gesehen straflos wäre.

Mehrere Voraussetzungen müssen gleichzeitig vorliegen, um den Tatbestand der kriminellen Organisation zu erfüllen; im weiteren folgen nun Erläuterungen zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen.

Die kriminelle Organisation muss auf längere Zeit angelegt sein, das heißt auf unbestimmte Zeit oder mindestens auf mehrere Wochen. Die Judikatur spricht konkret von ca. 3 Monaten. Weiters muss der Zusammenschluss "unternehmensähnlich" aufgebaut sein, was sich zusammenfassend erklären lässt mit dem Vorliegen von Arbeitsteilung (zB Planung und Ausführung), hierarchischem Aufbau (Weisungsbefugnisse bzw -gebundenheit), und einer bestimmten vorhandenen Infrastruktur (zB Organisationsvermögen). Eine größere Anzahl von Personen ist als weiteres Merkmal einer kriminellen Organisation erforderlich - hier hat die Rechtsprechung einen Richtwert von zehn Personen entwickelt - was für ein Zufall, dass nun genau 10 wahllos zusammengewürfelte TierrechtsaktivistInnen in Untersuchungshaft sitzen. Eine kriminelle Organisation benötigt natürlich auch eine Zielsetzung - die strafrechtlichen Möglichkeiten diesbezüglich finden sich im den Ziffern 1 bis 3. Jeweils eine Alternative aus jeder einzelnen Ziffer muss gemeinsam vorliegen, damit der Tatbestand erfüllt ist. Die Gesetzgebung hatte bei der Einführung des Delikts der kriminellen Organisation klare Vorstellungen, welche Bereiche der organisierten Kriminalität damit pönalisiert werden sollen, weswegen im Absatz zur Ziffer 1 des § 278a StGB z.B. Suchtmittelhandel, Schlepperei oder Waffenhandel dezidiert erwähnt werden.

Geschützte Rechtsgüter sind jedenfalls Leib, Leben, Gesundheit oder Eigentum - die kriminelle Organisation muss es sich zum Ziel gesetzt haben wiederkehrend und geplant schwerwiegende strafbare Handlungen gegen diese Rechtsgüter zu begehen.

Die Ziffer 2 behandelt das Streben der kriminellen Organisation nach massiven finanziellen Vorteilen (> 50.000 Euro) oder einem großen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft - dieser angestrebter Einfluss muss ein erheblicher sein, das bedeutet, dass grundsätzliche Entscheidungen politisch oder wirtschaftlich Verantwortlicher dadurch massiv beeinflusst werden sollen. Die Beeinflussung einzelner Unternehmen ist nicht ausreichend - der angestrebte Einfluss bezieht sich auf Wirtschaft oder Politik als Ganzes.

Die Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnamen oder alternativ die Bestechung und Einschüchterung anderer sind die Strafbestandsmerkmale der Ziffer 3. Was genau unter Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnahmen zu verstehen ist, wurde von Lehre und Rechtsprechung entwickelt. Es müssen jedenfalls Mittel sein, die zum Schutz der kriminellen Organisation vor Strafverfolgung gegen die Behörden ergriffen werden und über die ohnedies üblichen Vorsichtsmaßnamen bei der Verwirklichung verbrecherischer Vorhaben hinausgehen, wie z.B. die Gründung von Scheinfirmen zu Tarnzwecken, der häufige Wechsel von Wertkartenhandys, Verwendung von Codes bei der internen Kommunikation, die Anmietung von konspirativen Wohnungen oder andere Strategien, die die Strafverfolgung erschweren oder unmöglich machen sollen. Es gibt aber auch abweichende Lehrmeinungen, die im häufigen Wechsel von Wertkartenhandys und dem Verwenden von Codewörtern noch keine Abschirmung in besonderer Weise sehen

Diese erwähnten Merkmale einer kriminellen Organisation nach § 278a StGB sind dann erfüllt, wenn eine solche Organisation gegründet wird oder wenn sich wer an einer solchen als Mitglied beteiligt. Das Delikt benötigt als weiteres Element Vorsatz hinsichtlich aller Organisationsmerkmale.

Das alles klingt nicht neu, sondern wohl bekannt. Alle, die sich mit dem deutschen §129a StGB - der Bildung einer terroristischen Vereinigung - auseinandergesetzt haben, kennen die konstruierten Vorwürfe im Kontext der Kriminalisierung linker Strukturen - unabhängig von Tierrechten, antifaschistischen Aktionen oder G8-Mobilisierungen, die offenbar einzig und allein dazu dienen, mittels der Delikte der terroristischen Vereinigung dem Staat Einblick in linke Gruppierungen bzw. Arbeit zu ermöglichen. Ganz allgemein führen in Deutschland nur 1% (!!!) der eingeleiteten Strafverfahren wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung zu tatsächlichen Verurteilungen.

Das österreichische Strafrecht kennt neben dem §278a auch noch die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 278 StGB, die sich - abgesehen von der niedrigeren Strafandrohung (drei statt fünf Jahre Freiheitsstrafe) nur durch den weniger bis gar nicht ausgeprägten Organisationsgrad und die geringere Personenanzahl (ab 3 kann mensch Teil einer kriminellen Vereinigung sein) von der kriminellen Organisation unterscheidet.

Der Versuch der Behörden politisch aktive Menschen als kriminelle Organisation zu werten, Ermittlungen gegen sie einzuleiten, breite Überwachungsmaßnahmen einzusetzen und in Haft zu nehmen aufgrund vollkommen haltloser und unbegründeter Phantasien des Verfassungsschutzes und/oder einer Staatsanwaltschaft, ist in der Geschichte der österreichischen Justiz sowie der Linken ein absolutes Novum. Noch nie zuvor kam es in Österreich zu einer dermaßen groß angelegten Repressionwelle gegen linke AktivistInnen, die in der Verhaftung von 10 und der Hausdurchsuchung von 23 Wohnungen vergangenen Mittwoch gipfelte. Dies muss auch als Versuch gewertet werden linke widerständige Praxen einzuschüchtern und im Lichte der medialen Öffentlichkeit zu diskreditieren bzw zu kriminalisieren.

Beim Durchlesen der Anordnung der Festnahmen sowie der Durchsuchungen finden sich die genauen Textstellen des Gesetzes wieder, die angelasteten Delikte wurden - wage umschrieben, ohne offensichtlich begründetem Tatverdacht, ohne genaue Vorwürfe - einfach eingefügt. Außerdem sind Hinweise auf massive Telefon- und Computerüberwachung zu finden - wie weit die Ausmaße diesbezüglich gehen, ist nicht einschätzbar. Durch die Änderungen im Sicherheitspolizeigesetz mit 01. 01. 2008 wurde der Exekutive für die Telefonüberwachung - via Rufdatenerfassung ohne richterliche Genehmigung und durch die Anschaffung von sogenannten IMSI-Catchern auch den einfachen Zugang zur Gesprächserfassung - Tür und Tor für eine breite Überwachung x-beliebiger Personen geöffnet. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese Möglichkeiten zur flächendeckenden Überwachung via Telefon auch großzügig genutzt werden, genügt doch ein Fax der Polizei an die Provider.

Wie bereits erwähnt, ist die Bildung einer kriminellen Organisation ein Vorbereitungsdelikt, das heißt, es genügt bereits die Gründung bzw. Mitgliedschaft in einer solchen Organisation ohne das deren Mitglieder bereits konkrete Straftaten verübt hätten.
Die Vorbereitung und Bildung einer kriminellen Organisation - wenn denn dem Staat der Nachweis, dass tatsächlich eine vorliegt, gelingt - ist bereits strafbar. Warum die Staatsanwaltschaft jahrelang ermittelt und untätig bleibt, ist eines der großen Fragen, die sich derzeit alle stellen. Offensichtlich sind aber weder angebliche Beweise oder Indizien gegen die Betroffenen vorhanden, sodass nun zu dermassen drastischen Mitteln gegriffen wird.

Wir fordern die sofortige Freilassung aller Betroffenen, die Einstellung aller Verfahren bezüglich der kriminellen Organisation bzw. eventuellen anderen und die Löschung sämtlicher erfasster Daten!

Politisches Engagement ist kein Verbrechen!
Eure Repression kriegt uns nicht nicht klein - wir sind alle § 278a!


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