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Quellenangabe:
Abdi Daud, 1968 - 2008: Todesursache Zwangsmassnahmen (vom 28.06.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2613/, besucht am 28.03.2024

[28. Jun 2008]

Abdi Daud, 1968 - 2008: Todesursache Zwangsmassnahmen

Abdi Daud starb nach monatelanger Krankheit und 10 Monaten Ausschaffungshaft am 23. März 2008 unter ungeklärten Umständen in einem Zürcher Spital. Er ist ein Opfer der SVP-Minimalmedizin.

Der Somalier Abdi Daud starb am 23. März 2008 im Universitätsspital Zürich. Niemand - weder seine Familie noch die somalische Community und auch nicht die Öffentlichkeit - wurde über seinen Tod informiert. Bevor er starb, war der 40 Jahre alte Mann mindestens sieben Monate im Ausschaffungsgefängnis II in Zürich Kloten inhaftiert. Warum starb Abdi Daud?

Am 11. April 2008 kam es zu einer kurzen Protestaktion im Flughafengefängnis II (FG II) in Zürich Kloten. Einige Gefangene vom 3. Stock weigerten sich, in ihre Zellen zurückzukehren. Sie verlangten Aufklärung über den Tod ihres Mitgefangenen Abdi Daud und forderten vor allem eines: eine bessere medizinische Versorgung. Ein Wärter bestätigte den Ausschaffungshäftlingen den Tod ihres Kollegen. Ihre Protestaktion nütze nichts mehr, sie schadeten nur sich selbst. Die Gefangenen gingen in ihre Zellen zurück und vereinbarten, am darauffolgenden Montag eine weitere Protestaktion durchzuführen.

Am nächsten Tag besuchte ein Kantonspolizist, so erzählten uns Gefangene, den dritten Stock. Er bestätigte den Tod von Abdi und sagte, er sei an einer Krankheit gestorben, die man vorher nicht erkannt hätte. Er warnte die Insassen vor weiteren Protesten. Sie kämen in den Bunker, wenn sie an ihren Plänen festhielten.

Am 16. April, auffallend kurz nach der Protestaktion im FG II, wurde Abdi Daud auf Veranlassung des Migrationsamts Zürich begraben. So viel wir wissen, unterrichteten die Behörden weder die Familie in Somalia noch die somalische Community in der Schweiz und auch nicht die Öffentlichkeit über die Beerdigung. Man hat sich Fragen, die teure Suche nach Angehörigen sowie die Rückschaffung der Leiche offenbar erspart. Nur die Behörden wissen, ob noch andere Ausschaffungshäftlinge still und leise auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich begraben sind.


Woran starb Abdi Daud?


Der 40-jährige Abdi Daud ist offenbar an einem offenen Abszess im Bauchbereich, an einer Blutvergiftung also, gestorben. Selbst eine dreiwöchige Behandlung im Universitätsspital konnte ihn nicht mehr retten. Wie kam es zu diesem Abszess? Weshalb hat man seine massiven gesundheitlichen Probleme nicht erkannt und schon gar nicht behandelt? Dr. Thomas Manhart, Vorsteher des Amts für Justizvollzug des Kantons Zürich, behauptete am 26. April gegenüber dem «Regionaljournal» Zürich/Schaffhausen von Radio DRS, Abdi sei sehr gut behandelt worden. Niemand habe eine Schuld an seinem Tod.

Abdi Daud war schon bei seiner Einlieferung ins FG II schwer krank. Er litt angeblich an «Rheuma» und war deshalb im Strafvollzug, wo er etwa drei Jahre gesessen hatte, mit hohen Dosen Kortison behandelt worden. Kortison setzt die Immunabwehr eines Menschen ausser Kraft. Im FG II hat man die Kortison-Dosen gesenkt, Abdi litt unter Schmerzen und hat - so berichteten uns Mitgefangene - deshalb laufend eine bessere Behandlung verlangt.

Nach seinem Tod stellte man offenbar Tuberkulose bei Abdi fest. Die Lungenliga kam ins Gefängnis und informierte die Angestellten über Tuberkulose, vom Direktor bis zu den Wärtern. Die Gefangenen informierte man nicht. Warum auch? Sie sollen ja ausreisen, egal wohin und in welchem Zustand. Ob Abdis Tod mit der Erkrankung an Tuberkulose zu tun hat, wissen wir nicht - die Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung wurden nicht veröffentlicht.


Minimalmedizin


Der Kanton Zürich hat die obligatorische Krankenversicherung für alle abgewiesenen Flüchtlinge und damit auch für Ausschaffungshäftlinge gekündigt. Der reiche Kanton bezahlt also die medizinische Behandlung von Flüchtlingen selbst, jedes eingesparte Medikament, jeder vermiedene Arztbesuch, spart dem Kanton bares Geld. An Flüchtlingen zu sparen, ist oberste Doktrin des SVP-dominierten Kantons.

Deshalb leistet der Kanton gegenüber Flüchtlingen nur «Nothilfe». Zähne werden, falls Erkrankungen überhaupt behandelt werden, einfach ausgerissen. Im Gefängnis gibt es Schmerz- und Schlafmittel als einzige Therapie. Er solle doch heimreisen und sich dort behandeln lassen, soll ein Anstaltsarzt einem kranken Flüchtling erklärt haben.

Abdi Daud ist diese «Minimalmedizin» offenbar zum Verhängnis geworden. Seine Gesundheit war durch Strafvollzug und Ausschaffungshaft ruiniert. Niemand hat seine Beschwerden richtig abgeklärt. Wie sonst ist es zu erklären, dass man eine Tuberkulose-Erkrankung nicht bemerkte? Selbst bei medizinischen Laien schrillen alle Alarmglocken, wenn sie von Kortison, Tuberkulose und einer tödlichen Blutvergiftung hören.

augenauf macht Druck


Am 27. Mai (nach Redaktionsschluss dieser Bulletin-Ausgabe) veranstalteten die somalische Community und augenauf eine öffentliche Abdankung auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich. augenauf stellte in einem offenen Brief, der einigen JournalistInnen und Medien zugestellt wurde, eine ganze Reihe von Fragen. Wir sind auf die Antworten gespannt. Die somalische Community ihrerseits sucht nach Verwandten von Abdi Daud und verlangt eine ordnungsgemässe Beerdigung nach muslimischen Regeln.

Das Migrationsamt des Kantons Zürich und die anderen beteiligten Behörden glaubten offenbar, alle Fragen bezüglich des Tods von Abdi Daud mit ihm begraben zu können. Hoffen wir, dass sie sich getäuscht haben.


So lebt es sich in Ausschaffungshaft


Wer in Ausschaffungshaft sitzt, hat nichts verbrochen. Ausschaffungshaft ist eine sogenannte Administrativhaft. Sie wird angeordnet, um die Ausreise von angeblich «renitenten», meist papierlosen Flüchtlingen zu erzwingen.

Die ersten Wochen im «FG II», wie das Zürcher Ausschafungsgefängnis im Beamtenjargon heisst, verbringt man im ersten Stock in einer Zelle. Wer sich gut verhält, kann in den driten Stock «aufsteigen», wo es Arbeit gibt und tagsüber die Zelentüren geöffnet werden.

Viele der Gefangenen - darunter auch Frauen, manchmal sogar mit Kindern - sind aufgrund der Haft und wegen des extrem harten Lebens als papierlose Flüchtlinge krank. Wer sich krank fühlt, kann einen so genannten «Hausbrief» schreiben und medizinische Versorgung anfordern. Dann können Häftlinge - immer dienstags und freitags - mit einer Krankenschwester sprechen. Diese ordnet nach eigenem Gutdünken den Arztbesuch an. Der Arzt ist ein Allgemeinpraktiker aus der Region. Er untersucht die Gefangenen kaum und verschreibt immer nur zwei «Therapien»: Schmerz- und Schlafmittel.

Gibt es Proteste, so wird die Kantonspolizei mit all ihren Zwangsmitteln (Schlagstöcke, Gas) eingesetzt. Wer nach Ansicht der Gefängnisleitung gegen die Gefängnisordnung verstösst, kann in den «Bunker» verlegt werden. Dies ist eine fensterlose Zelle mit einem Betonklotz als Bett und einer Decke. Man friere dort jämmerlich, berichten Gefangene.

Als einziges Privileg gegenüber Gefangenen im Strafvollzug haben Ausschaffungshäftlinge das Recht zu telefonieren und - bei «Wohlverhalten» - werden ihre Zellentüren tagsüber geöffnet. Ausserdem dürfen sie Besuch ohne Trennscheibe empfangen.

Das FG II liegt am Flughafen Zürich. Flugzeuge überfliegen laufend in geringer Höhe den Hochsicherheitsbau. Während der Direktor, die Wärter und Polizisten nach Ablauf ihrer Schicht heimgehen, sind die Gefangenen laufend dem infernalischen Lärm ausgesetzt. Die Ausschaffungshaft kann bis zu zwei Jahre dauern.

Quelle: augenauf Zürich, Bulletin Nr. 57, Juni 2008, :: augenauf.ch