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Quellenangabe:
Protest gegen ORF Serie (vom 28.06.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2619/, besucht am 18.04.2024

[28. Jun 2008]

Protest gegen ORF Serie

... in der jener Sanitäter zum Held stilisiert wird, unter dessen Füssen Seibane Wague im Juli 2003 im Stadtpark starb.

Im Juli läuft eine neue 'Doku-soap' über Rettungsfahrer im ORF an. Einer der Rettungmänner, der beim Erstickungstod von Seibane Wague dabei und beteiligt war, ist unter den Hauptdarstellern. Im aktuellen Falter liest sich folgendes darüber:

Der Unerschrockene.
Der Sanitäter Andreas Weiss wird in einer neuen ORF-Doku-Soap als 'Held der Wiener Rettung' gefeiert. Unter seinen Füßen erstickte der Afrikaner Cheibani Wague.



'Diese drei Männer sind wahre Helden des Alltags', sagt Dodo Roscic, Leiterin der ORF-Programmentwicklung, 'ich bin stolz, dass wir sie und ihre harte Arbeit ins Rampenlicht bringen können, genau wie ihre unerschrockenen Persönlichkeiten und ihren unermüdlichen Schmäh.'
Kommenden Mittwoch startet der ORF seine Doku-Soap 'Wiener Blut - die 3 von 144'. In Trailern und Zeitungsinterviews wird die von der Produktionsfirma Mediavilm produzierte Serie schon jetzt beworben. 'Reale Geschichten aus dem spannenden Alltag dreier Rettungsfahrer' soll das Publikum zu sehen bekommen. Die Hauptdarsteller der TV-Serie sind tatsächlich Sanitäter der Wiener Berufsrettung: Andy, Georg und Ernst, ein ehemaliger Fiakerfahrer, ein Ex-Kfz-Mechaniker und ein Exrauchfangkehrer sind 'super Typen', die 'ihre Bestimmung zum Retten von Leben entdeckt' haben. Durch ihre langjährige Erfahrung seien sie 'Vollprofis'. Mal retten sie in der Serie einen zu Boden gestürzten Pensionisten, dann mampfen sie wieder eine Burenwurst oder rasen zum Opfer eines Schusswechsels.

Eines bleibt in den PR-Berichten von ORF und Rettung unerwähnt: Einer der drei heldenhaften Rettungsfahrer war schon einmal im Fernsehen zu sehen. Im Juli 2003 sah man Andy Weiss, 45, zwar nicht im Unterhaltungsprogramm, dafür aber in den Nachrichten. Der ORF-'Report' sendete ein verwackeltes Schwarz-Weiß-Amateurvideo, das der Falter bei einem Anrainer des Wiener Stadtparks aufgetrieben hatte. Was auf dem Band zu sehen war, erschütterte die Spitzen von Polizei, Rettung und Politik. Im Scheinwerfer eines Einsatzfahrzeugs lag ein Mann regungslos am Bauch. Die Person wurde von Sanitätern und Polizisten zu Boden gedrückt, während ein Amtsarzt mit den Händen im Hosensack daneben stand, als ob ihn das Schicksal des Patienten nichts anginge.
Der Mann, der da gerade starb, war Cheibani Wague. Der 33-jährige Physikstudent und Krankenpfleger aus Mauretanien schnappte, wie man heute weiß, vergeblich nach Luft, weil er mit dem Bauch nach unten gegen den Asphalt gedrückt wurde.

Eine Person stand während des Todeskampfes sogar mit seinem Bein auf dem Afrikaner: Andy Weiss, 45, jener 'ehemalige Fiakerfahrer', der sich nun als TV-Star in Szene setzt. Weiss ist nach wie vor bei der Rettung tätig, denn das Gericht hatte ihn vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Die Rettung hob seine Suspendierung auf. Die Rettung findet - ebenso wie der ORF - heute, fünf Jahre später, nichts mehr dabei, ihn nun als Helden zu vermarkten. Er sei, so eine Sprecherin der Rettung, ein Sanitäter wie alle anderen auch.
Weiss absolvierte eine Lehre im Gastgewerbe, vor 20 Jahren kutschierte er Touristen als Fiakerfahrer durch die Stadt. Dann ließ sich der Hobbytaucher zum Notfallsanitäter ausbilden und heuerte bei der Berufsrettung an. Der Fall Wague, so sagt der Sanitäter heute im Gespräch mit dem Falter, sei ein 'menschliches Drama' gewesen, das 'auf meiner Festplatte eingebrannt ist'. Weiss sagt, er bekomme 'Ganslhaut', wenn er an jene Nacht im Juli 2003 zurückdenke. Man wollte Wague doch nur ins Spital bringen, ihm helfen. Er sei ein Retter und kein 'Rassist und Menschenhasser', zu dem ihn manche Medien gestempelt hätten. Eine Hatz sei da im Gange gewesen. Auch er habe nun das Recht, in ein normales Leben zurückzufinden.

Das ist richtig, dennoch klingt es ein wenig befremdend, wenn sich Weiss nun als Held inszeniert, noch dazu in einer Serie namens 'Wiener Blut' - vor allem wenn man bedenkt, wie stümperhaft und chaotisch die Einsatzkräfte bei jenem tödlichen Einsatz agierten, wie überfordert sie alle mit einer Situation waren, die in Metropolen oder psychiatrischen Stationen jede Nacht vorkommen können. Ein junger, kräftiger Mensch randaliert, sollte beruhigt und auf die Psychiatrie gebracht werden. Stattdessen starb er am Asphalt des Wiener Heumarkts. Mehr noch: sein Tod sollte nachträglich als Unfall, als 'Tod durch Herzversagen' vertuscht werden.

Vor allem einem Anrainer des Stadtparks ist zu verdanken, dass der Fall vor Gericht und Menschenrechtsbeirat landete - und Reformen im Polizeiapparat nach sich zog. Er filmte das nächtliche Geschehen und übergab das Video dem Falter.
Wague hatte in jener Nacht heftigen Streit mit einem Arbeitskollegen, der Rettung und Polizei zu Hilfe rief. Der Mauretanier tobte im sogenannten 'Afrika-Dorf', das im Stadtpark Kindern den Kontinent näherbringen sollte. Die Einsatzkräfte waren schnell vor Ort, anfangs beruhigten die Polizisten die Situation, sie brachten Wague dazu in den Notarztwagen einzusteigen. Als der Mauretanier aber hörte, dass er auf die Psychiatrie gebracht werden sollte, sprang er aus dem Wagen, rempelte Beamte und Sanitäter nieder, entkleidete sich, sang wirre Lieder, warf Steine.

Die Einsatzkräfte sagten vor Gericht, sie hätten es mit der Angst zu tun bekommen. 'Hier am grünen Tisch', erzählte einer vor Gericht, könne sich keiner vorstellen, dass Menschen 'wie Elefanten brüllen und toben' können. Sie alle fixierten ihn am Boden, auch aus Selbstschutz - und wussten offenbar nicht, wie lebensbedrohend sie agierten. Selbst als Wagues Kopf bewusstlos zur Seite fiel, geschah nichts. 'Ich will hier Sanitäter in Hektik sehen', sagte Alfred Kaff, der Chefarzt der Rettung im Jahr 2003, als der Falter ihm das Band vorspielte. Ein Gerichtsmediziner schrieb später: 'Es ist davon auszugehen, dass eine sofortige lebensrettende Maßnahme entsprechend einer Laienschulung zumindest mit Herzmassage auch außerhalb des Rettungswagens möglich und sinnvoll gewesen wäre.'

Andreas Weiss hatte - so wie all die anderen Einsatzkräfte - nichts dergleichen getan. Seine Begründung findet sich in einem Polizeiprotokoll: 'Bei einer Person mit weißer Hautfarbe sind die Symptome für Sauerstoffmangel visuell gut wahrnehmbar. Im gegenständlichen Fall handelte es sich jedoch um eine Person mit dunkler Hautfarbe, sprich um einen Schwarzafrikaner.'
Die Staatsanwaltschaft klagte Weiss an. Aber das Gericht sah die strafrechtliche Verantwortung nur beim Notarzt - und bei jenem Polizisten, der Wague das Knie in den Rücken presste.

Der Arzt wurde zu sieben, der Polizist zu vier Monaten bedingter Haft verurteilt. Weiss blieb unbescholten. Er fährt nun weiter mit der Rettung. Und, das ist wichtig zu betonen, er rettet weiter das Leben von in Not geratenen WienerInnen. Aber ein Fernsehstar?
Nadja Lorenz, die Anwältin von Cheibani Wagues Witwe, sagt: 'Das ist pietätlos.' Im ORF beteuert Konzernsprecher Pius Strobl: 'Die Rettung hat uns von der Vorgeschichte ihres Mitarbeiters nicht informiert. Doch wir nehmen zur Kenntnis, dass er unschuldig ist.' Als Strobl das sagt, wirkt er nicht sonderlich erfreut. Auch er kennt schließlich das Video aus dem Stadtpark.

Artikel aus Falter 26/2008 vom 25.6.2008
http://www.falter.at/web/print/detail.php?id=719