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Quellenangabe:
Prozessbericht vom Mo, 04. März 2002 (vom 04.03.2002),
URL: http://no-racism.net/article/263/, besucht am 20.04.2024

[04. Mar 2002]

Prozessbericht vom Mo, 04. März 2002

Teil 1: Verlesung der Anklageschrift und Vernehmung der Angeklagten

Die Anwesenden:

Richter Fiala, Zweitrichter, 2 SchÌffen, 2 ErsatzschÌffInnen, Staatsanwalt, Rechtanwalt Zanger als Vertreter der Kinder und der Verlassenschaft von Marcus Omofuma, Rechtanwalt Rifaat, Rechtanwalt Ofner, die Angeklagten B., R., und K. sowie Presse und Publikum mit ZÀhlkarten.

Den Angeklagten wurde das besondere Privileg zu Teil, durch das Richterzimmer, unbehelligt von den im Foyer wartenden Kameras, in den Gerichtssaal geführt zu werden.
Nach Vereidigung der Geschworenen und Kontrolle der Daten der 3 Angeklagten wurde mit der Verlesung der Anklageschrift durch den Staatanwalt begonnen.


Der Staatsanwalt

Die Anklage lautet auf "Quälen eines Gefangenen mit Todesfolge" gemäß § 312 StGB (Strafmaß: 1 - 10 Jahre Freiheitsstrafe):
Die Begründung der Anklageschrift hört sich über weite Strecken wie ein PlÀdoyer der Verteidigung an: Die bisherigen Aussagen der Polizei über den Tathergang werden unhinterfragt als Grundlage genommen. Marcus Omofuma habe angekündigt, dass er sich nicht freiwillig abschieben lassen werde, daher sei schon am 26.4.1999 ein Erlass des Innenministeriums ergangen, dass ihn 3 Beamte begleiten sollen, und er sei zurecht schon zu Beginn der Abschiebung an den Händen gefesselt worden. Nachdem er auf der Fahrt zum Flughafen ruhig war, habe er dann - um die Abschiebung zu verhindern - bei der Ticketkontrolle plötzlich einen Versuch der Selbstverletzung unternommen, indem er seinen Kopf gegen die Scheibe des VW gestoßen habe. Den angeblichen Selbstverletzungsversuch erklärt die Staatsanwaltschaft damit, dass ein Verletzter nicht transportiert worden wäre. Dabei sei es auch zu Beissversuchen und Treten gegen die Beamten gekommen, die Marcus Omofuma an der Selbstverletzung hindern und ihn ruhigstellen wollten. Dass der Angeklagte K von Marcus Omofuma im Zuge dieser Auseinandersetzung in die Hand gebissen wurde, nimmt die Staatsanwaltschaft ebenfalls bereits als erwiesen an. Das kurzfristige Mundverkleben wird somit von der Staatsanwaltschaft "wenn sie auch nicht der Menschenwürde entsprechen" als gerechtfertigt und maßhaltend wie bei Notwehr dargestellt (obwohl es eigentlich eine gegenteilige UVS-Entscheidung gibt). In einem nicht korrigierten Versprecher bezeichnete die Staatsanwaltschaft Marcus Omofuma als Angeklagten. Im Flugzeug habe Marcus Omofuma einen weiteren Selbstverletzungsversuch unternommen und sei schließlich in der vorletzten Sitzreihe mit erheblichem Kraftaufwand über den Brustkorb an den Sitz festgeschnallt worden, sodass er in seiner Atmung behindert war. (Hier kratzt die Anklageschrift erstmals die Kurve in Richtung gegen die Angeklagten). Wegen des lauten StÃŒhnens des Marcus Omofuma sei er weiter mit Leukoplast über dem Mund und unter den Kinn bis hinten über dem Kopf verklebt worden. Dabei sei auch ein Teil der rechten Nasenöffnung verklebt worden. Von einem Crewmitglied der Balkan Air sei Omofuma fest geohrfeigt worden, weil er mit den FÃŒssen gegen den Vordersitz geschlagen habe. Daraufhin seien ihm noch Fußfesseln angelegt worden. spätestens ab diesem Zeitpunkt diente die Verklebung nicht mehr der Abwehr von Angriffen sondern nur mehr der Ruhigstellung und der Ungestörtheit der Passagiere und war deshalb nicht mehr maßhaltend und nicht mehr gerechtfertigt. Die großen Qualen, die dem Marcus Omofuma dadurch entstanden, mussten den Angeklagten bewusst sein. Die Fesselung wurde während des gesamten Fluges aufrecht erhalten, obwohl laut Meinung der Staatsanwaltschaft kurz nach dem Abflug jeder Widerstand beendet war. Passagiere hätten die Angeklagten aufgefordert, zu prüfen, ob Marcus Omofuma noch lebt. Dies hätten sie nur geprüft, indem sie ihm die Hand unter die Nase gehalten haben. Der Todeskampf habe laut medizinischen Gutachten zwischen 20 und 60 Minuten gedauert. Laut Staatsanwaltschaft sind die Angeklagten im wesentlichen geständig, was sie schon jetzt als Milderungsgrund wertet. Die Angeklagten hätten die Abschiebung abbrechen können und müssen. Damit reduzierte die Staatsanwaltschaft das Quälen konkret auf die Dauer des Mundverklebens und das völlige Fixieren durch VerschnÃŒren und Verkleben.


Verteidiger Rifaat

Der Verteidiger der beiden ersten angeklagten Polizisten, Rifaat, lobt zunächst die Staatsanwaltschaft für ihre "Sachlichkeit" und plädiert auf "nicht schuldig" im Sinne der Anklage. Beweis für die Unschuld sei, dass die Polizisten nicht sofort, sondern erst nach Anlaufen einer "medialen und politischen" Kampagne suspendiert wurden. Das zeige, dass die 3 Polizisten nach Ansicht ihrer Vorgesetzten nicht gesetzwidrig gehandelt hätten. Er betonte, dass sich die Beamten über die möglichen Konsequenzen ihres Handelns nicht bewußt gewesen Wären und dass ein Unrechtsbewußtsein am 1. Mai 1999 noch nicht gegeben war. Das längere Munverkleben sei zur Sicherheit der Passagiere und zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Flugbetriebes erfolgt und sei deshalb sehr wohl maßhaltend gewesen.

Weiters versucht Rifaat die Verantwortung auf die bulgarische Fluglinie abzuwÀlzen, da der Pilot das letztes Wort hätte und einer der Flugbediensteten das Mundverkleben als Lösung für den Fall des Widerstands durch Gestik angedeutet hätte.

außerdem sei das Vorgehen der Polizisten ja nicht aus Jux und Tollerei passiert, sondern aufgrund der Agressionshandlungen des Marcus Omofuma, der den Angeklagten K. in die Hand gebissen habe. Marcus Omofuma habe ein typisches Verhalten an den Tag gelegt, um die Abschiebung zu verhindern. Wenn die 3 Polizisten in einem solchen Fall einfach die Abschiebung abbrechen, taumle der Staat in eine Vollzugsunfähigkeit.

Der qualvolle Zustand des Marcus Omofuma sei für die Beamten nicht erkennbar gewesen, weshalb der Vorsatz bezüglich des Quälens fehle. Ohne Vorsatz könne aber der Tatbestand des § 312 StGB nicht verwirklicht sein.

Angeblich wurde Marcus Omofuma von einem der Fluglinienbediensteten geschlagen, was Rifaat zu einem Gleichnis inspirierte: Wenn 2 Jugendliche in einem Park einen Dackel an den Ohren und am Schwanz festhalten und ihn rotierend herumschwenken, dann wäre es denkbar, dass der Richter dem eine oder andern Jugendlichen eine Watschen verpasse, aber doch sicher nicht dem Dackel. Mit diesem Vergleich will Rifaat nahelegen, dass Marcus Omofuma in den Augen Dritter nicht der Gequälte war. Er habe die Watsche bekommen, weil er sich so renitent verhalten hat. Der Schlag beweise, daß Omofuma nicht gequält wurde, sondern die begleitetenden Beamten durch seinen Widerstand quälte. Durch sein Verhalten habe Omofuma außerdem eine mitfliegende Kindergruppe in Panik versetzt. Noch 3 Tage vor dem 1. Mai 1999 sei ein ähnlicher Fall dokumentiert, wo ein Schubhäftling randaliert geschrien habe, er werden gekidnappt und wolle zum KapitÀn. Man könne ja nicht wissen, was alles hätte passieren können, denn es war eine Gruppe von 28 Kindern zwischen 10 und 14 Jahren an Bord, die Omofuma hätte als Geisel nehmen können und schließlich könne man ja mit Flugzeugen auch das World Trade Center anfliegen. Durch seine NÃŒtigungshandlungen habe Marcus Omofuma den Flugbetrieb jedenfalls gestört.

Von den 3 medizinischen Gutachten gehen auch nur 2 von Erstickung aus. Das österreischiche Gutachten von Prof. Reiter zieht auch einen Tod aufgrund eines Herzleidens in Betracht. International gebe es nur eine Methode um Erstickung wirklich eindeutig festzustellen. Diese Blutgas-Methode sei in Sophia nicht zur Anwendung gekommen und war später nicht mehr möglich. Insgesamt könne also nicht mit der für ein Strafverfahren notwendigen Sicherheit von einem Erstickungstod ausgegangen werden. "Wenn sich 3 Kapazunder von Ärzten nicht einig sind, ob er erstickt ist, wie hätten die Polizisten das erkennen können". Wenn eine Gesundheitsgefährdung anzunehmen war, dann sei jedenfalls der KapitÀn des Flugzeuges verantwortlich zu machen. Die gesamte Crew habe den Zustand des Marcus Omofuma gesehen und hätte gegebenenfalls entsprechend agieren müssen.


Verteidiger Ofner

Der Verteidiger des angeblich gebissenen Polizisten, FP-Mandatar Ofner, beginnt mit Hintergrundinformation: Allein 1998 habe es 10.400 Abschiebungen gegeben, davon 2.849 per Flugzeug. Das sei ein gefährlicher Vorgang für alle Beteiligten. Die gefürchtetste Destination unter den Abschiebenden sei Lagos in Nigeria. Dort seien Österreichische Kriminalbeamten schon einmal festgehalten und entführt worden und nur nach LÃŒsegeldzahlung durch die Republik Österreich wieder freigekommen. Noch immer sei es für Österreichische Beamte niht ratsam, sich über die VIP-Lounge hinauszuwagen. Ein Schubhäftling habe einem Polizisten einmal einen Finger abgebissen und das Wieder-Annähen sei nicht gelungen. Dazu komme die Gefahr, dass manche Schubhäftlinge HIV-positiv seien. Ofner stellte die Situation auf den Kopf, sodass der gefesselte und geknebelte Marcus Omofuma zum agressiven Täter und die abschiebenden Beamten zu verängstigten Opfern wurden.
In anderen Staaten gebe es da Vorschriften und Mittel. Die Abschiebungen in vollbesetzten Linienmaschinen sei heikel, überall sonst würden Abschiebungen normalerweise in Militär-, Charter- oder Staatsmaschinen durchgeführt. Vorbildlich sei die DurchFührung des Transports der Gefangenen aus Afghanistan nach Guantanamo auf Cuba, wo Knebel, Augenbinden und Ohrenklappen verwendet worden seien, um ein Risiko zu vermeiden. In Österreich wurde bis zum 1. Mai 1999 nach dem Motto verfahren: Wird schon nix passieren. Den Beamten wurde nicht gesagt, was sein muss und was sein darf. Es gab keine Schulungen, keine Erlässe und Weisungen. Hauptsache die Abzuschiebenden seien weg. Da es keine Erlässe und Weisungen gegeben hätte, könnten die "kleinen Polizisten" nicht zur Verantwortung gezogen werden. Bis zum 1. Mai gab es zu Flugabschiebungen nur einen einzigen Erlass, der bezeichnenderweise die Beschaffung von Flugtickets regelte.
Nach dem 1. Mai 1999 habe es dann ein Feuerwerk an Regelungen, Statistiken und auch Schulungen gegeben. Ofner benutzt zur Rechtfertigung auch den Bericht des Menschenrechtsbeirates: Dieser billige auch sogenannte Problemabscheibungen und bezeichne Gewalt in diesem Rahmen als zulässig. Die Reformen nach dem 1. Mai 1999 seien als Schritte in die richtige Richtung zu betrachten. Michael Sika habe dazu gemeint, es müssen Fehler gemacht werden, um Schwachstellen zu erkennen.

In untergriffigen Exkursen zog Ofner die Identität von Marcus Omofuma in Zweifel. Ein Mann namens Marcus Bangurari mit denselben Fingerabdrücken wie Marcus Omofuma habe gleich mehrere Asylanträge gestellt und in Deutschland noch am 8.9.1999, also Monate nach dessen Tod finanzielle Unterstützung bezogen.

Auf die den AusFührungen der Verteidigung folgende Frage des Richters bekennen sich alle 3 Angeklagten nicht schuldig. Die Vernehmung der Beschuldigten beginnt mit dem Hinweis des Richters, dass es sich auch für die Angeklagten empfiehlt, die Wahrheit zu sagen. (Angeklagte dürfen lügen).


Der Angeklagte Josef B. - "Der Profi"

Jener Polizist, der am ersten Vormittag einvernommen wurde, stellt sich selbst als erfahrener Abschieber dar. Er sei bei der historisch ersten Abschiebung aus Österreich, bei der eine Begleitung notwendig war, dabeigewesen und habe seither 30 bis 40 "Problemabschiebungen" durchgeführt. Die Idee mit dem Mundverkleben sei irgendwann in der Abschiebepraxis entstanden. Alle Vorgesetzten hätten das gewußt. Es sei auch in der Presse darüber geschrieben worden, aber nie habe jemand gegen diese Praxis Einspruch erhoben. Jahrelang sei ein Bild von einem Schubhäftling mit verklebtem Mund im fremdenpolizeilichen Büro gehangen, das sogar einem Innenminister bei einem Besuch stolz gezeigt worden sei. Die Mundverklebung sei meist nach dem Abflug wieder aufgehoben worden, weil die Schubhäftlinge spätestens dann erkannt haben, dass der Widerstand nichts nutze.
B. selbst sei einmal bei einer Abschiebung am Flughafen Rom verletzt worden und er habe auch von einem wilden Kampf von Kollegen mit einem abzuschiebenden Schwarzafrikaner in Sophia gehört. In den offiziellen Berichten seien solche Gefahren und die angewendeten Zwangsmaßnahmen allerdings nicht geschildert worden. Die Frage des Richters, warum sich angesichts der Gefahren kein Widerstand seitens der Beamten geregt hat und warum sie nicht auf diese unhaltbaren Zustände aufmerksam gemacht haben, bleibt unbeantwortet. Jedenfalls habe es laut B. nicht einmal implizit die Anweisung gegeben, in den Berichten die Darstellung der tatsächlichen Praxis zu unterlassen. Es sei halt einfach nicht berichtet worden. Und es hätte auch keine Anweisung gegeben, die Abschiebung unter allen Umständen durchzuführen.

Dann schildert B den Tathergang. Auf Krankheiten des Marcus Omofuma sei im Akt kein Hinweis gewesen. Ein Klettverschlussband sei ihm von Beginn an angelegt worden, weil er gesagt habe, er werde sich widersetzen. B. habe probiert, ein Gespräch mit Marcus Omofuma anzufangen. Dies sei seine übliche Taktik gewesen, um die Situation zu entspannen. Das habe aber nichts gefruchtet. Marcus Omofuma habe nur zum Wagenfenster hinausgeschaut. Bis zum Flughafen habe er sich aber ruhig verhalten. Am Flughafen habe er den Wagen verlassen, um mit Herrn Kostov von der Balkan Air die Formalitäten zu regeln. Dieser habe mit einer Handbewegung die Möglichkeit des Mundverklebens im Fall des Widerstands angedeutet. Dies sei bei jedem Flug so gehandhabt worden, wenn einer geschrien hat. Als er sich umgedreht habe, habe er schon den Kampf im Fahrzeug gesehen. Insgesamt 7 Beamte waren notwendig, um den mit Händen und Füßen sich wehrenden Marcus Omofuma zu "fixieren". Nachdem der Mitangeklagte K. gerufen habe "Au, der beißt", sei dem Marcus Omofuma der Mund verklebt worden, und zwar zuerst mit einem einfachen Leukoplaststreifen über die Wange. Durch Mundbewegungen habe sich dieser Leukoplaststreifen jedoch alsbald gelöst, sodass eine weitere Lage Leukoplast angebracht wurde. Marcus Omofuma habe sich dann so sehr im Wagen verspreizt, dass er nur mit einiger Gewalt aus dem VW-Bus gebracht und dann ins Flugzeug getragen werden konnte. Zunächst wurde Marcus Omofuma in die letzte Reihe gesetzt, aber nachdem er dort mit dem Kopf gegen die Hinterwand gestoßen habe, sei er in die vorletzte Reihe gesetzt worden.

Nachdem er ausfÃŒhrlich die Fesselungen und Knebelungen geschildert hatte (mehrere Lagen Klebeband über den Mund bis hinter den Kopf, Verhinderung der Bewegung des Kinns durch Klebeband über den Kopf, Hand - und Fußfesseln, Sitzgurt über den im Schoß liegenden Unterarmen Fixierung des Kopfes an der Nackenstütze des Sitzes, Fixierung des Brustkorbs mit Klebeband am Sitz, Fixierung der zusammengebundenen Beine durch ein Klettband, das von dem dahintersitzenden Mitangeklagten K gehalten wurde) bezeichnete er diesen Zustand als "unangenehm, aber nicht als qualvoll". Er betonte mehrmals, dass Marcus Omofuma bei Schmerzen oder körperlichen Bedürfnissen "nur was sagen hätte müssen". Auf den Einwand des Richters, dass ihm dies in seiner Lage schwerlich möglich gewesen wäre, verteidigte sich B. damit, dass er den Unterschied zwischen "Agressivität und flehentlichen Bitten" aufgrund seiner Berufserfahrung an einem Augenzwinkern hätte ablesen können. Ob B. jedoch ausdrücklich und auf Englisch den Marcus Omofuma darauf hingewiesen hat, dass er mit den Augen zwinkern soll, wenn er bereit ist, seinen Widerstand aufzugeben, das konnte B. nicht mehr sagen. Stattdessen habe Marcus Omofuma immer wieder zornig aggressiv herumgezerrt. Vor der Fixierung der Füße habe er gegen den Sitz vor ihm geschlagen, sodass zuerst ein dort sitzender Passagier mit einem Crewmitgleid Platz tauschte und das Crewmitglied dem Marcus Omofuma wegen dessen Tritten gegen den Vordersitz eine Ohrfeige gegeben habe. B. sei von der Ohrfeige überrascht worden und habe dem Crewmitglied durch eine Geste zu verstehen gegeben, dass dies zu unterlassen sei.

Es habe zwar in der Vergangenheit schon viele Zwischenfälle gegeben, aber meist hätten sich die Abzuschiebenden nach dem Abflug beruhigt. Diesmal sei es zum ersten mal nicht so gewesen. Es habe aber bis dahin auch noch nie einen Abbruch einer Abschiebung gegeben. Jedenfalls mussten alle 3 Beamten dauernd beim Ruhighalten des Marcus Omofuma mitwirken. B. habe neben Marcus Omofuma gesessen, die beiden anderen Angeklagten saßen hinter ihm. Nach ruhigen Phasen sei es immer wieder plötzlich und unvermutet zu Befreiungsversuchen gekommen. Die Versuche des B., auf Marcus Omofuma einzureden, seien von diesem fortlaufend ignoriert worden. Vorgehaltene Aussagen, wonach Marcus Omofuma schon früh keine Anzeichen des Widerstands mehr gezeigt habe, weist B. als falsch zurück. Erst zu Beginn der Sinkflugphase 10 bis 20 Minuten vor der Landung sei Marcus Omofuma dann endgültig ruhig geworden. Da habe er mit seinen Kollegen beratschlagt, ob die Verklebung aufzuheben sei. Sie hätten sich jedoch gemeinsam dagegen entschieden. Einmal sei er von einem Crewmitglied aufgefordert worden, zu prüfen, ob mit Marcus Omofuma alles in Ordnung wäre. Seine Nase sei jedenfalls frei und keinen Millimeter verklebt gewesen. B. habe auch mehrmals die Nasenatmung geprüft und zwei mal den Puls getastet. Die Atmung sei ruhig und der Puls spÃŒrbar gewesen. Auf den Vorhalt des Zweitrichters, dass damit in Kauf genommen wurde, dass sich Marcus Omofuma in die Hose macht, was auch tatsächlich passiert sei, meint B., dass er das nicht bemerkt habe. B. gibt an, dass der Brustkorb durch die Klebebänder nicht eingeengt gewesen sei. Dem hält der Zweitrichter entgegen, dass er sich eine Fixierung ohne Einengung nicht vorstellen könne. Der Staatsanwalt fragt, warum dem Marcus Omofuma denn nicht in einer Ruhephase wenigstens kurzfristig der Mund geöffnet worden sei. Diesfalls, so meint B., hätte Marcus Omofuma wieder mit dem Kopf um sich schlagen oder durch Schreie Panik auslösen können.

Bezüglich der Herkunft von Leukoplast, Klebebändern und Klettverschlussbändern führt der Angeklagte aus, dass diese von Kollegen selbst auf eigene Kosten gekauft, und als "Set" jeweils von einer Abschiebung zur nächsten unter den Fremdenpolistzen weitergegeben wurden. Auf den Vorhalt des Staatsanwalts, dass bei 2.800 Abschiebungen im Jahr, bei denen immer ein solches "Set" mitgeführt wird, doch einiges an Ausgaben entsteht und warum dennoch niemals vesucht wurde, diese Ausgaben dem Dienstgeber zu verrechnen, weicht B. aus. Alles sei auf "halbprivater Ebene" geschehen, die unmittelbaren Vorgesetzten waren jedoch von dieser Praxis informiert und es habe auch Gespräche mit Juristen darüber gegeben. Bis 1. Mai 1999 sei B. jedenfalls davon ausgegangen, dass Mundverklebungen rechtens seien. Auf den Vorhalt des Staatsanwalts, dass der UVS bereits 1996 entschieden habe, dass eine Verklebung des Mundes rechtswidrig sei, antwortet B., dass er von dieser Entscheidung nie gehört habe. "Im Idealfall" habe eine Verklebung auch nicht länger als 45 Minuten gedauert.

Nach einer Mittagspause von 12.10-13.15h hatte Verteidiger Ofner sein Handy verloren und erfolgte die Vernehmung der beiden anderen Angeklagten.


Der Angeklagte R. - "Der Packer"

R. beginnt seine Schilderung des Tathergangs am Flughafen. Der Kollege B. habe die SeitenTüre offengelassen, als er zum Herrn Kostov von der Balkan Air gegangen ist. Marcus Omofuma wollte daraufhin flüchten. Er wurde allerdings festgehalten und habe sich dann mit dem Kopf an die Seitenscheibe des Wagens gestoßen. Es sei zu einem Handgemenge gekommen und als der Angekalgte K. gerufen hat "Vorsicht, der beißt", da sei dem Marcus Omofuma der Mund mit zwei Klebestreifen verklebt worden. Es sei nur möglich gewesen, ihn überhaupt zu bändigen, indem ein Kollege durch die Heckklappe des VW-Busses eingestiegen ist und den Kopf des Marcus Omofuma "fixiert" hat. R. selbst habe durch die Gewalt im Fahrzeug selbst eine "Blessur am Unterarm, einen Kratzer" erlitten. Er sei schon unter erheblichem Stress gestanden. Sie hätten dem Marcus Omofuma schließlich die Knie zusammengebunden und ihn zu zweit ins Flugzeug getragen.

R. selbst habe bis dahin bereits bei 5 Abschiebungen mitgewirkt, 4 davon "Problemfälle". Die schriftlichen Berichte darüber seien als Vorlage immer von den anderen Kollegen übernommen worden und enthielten daher keine besonderen Details über die mit den Abschiebungen verbundenen Probleme. Auch das Klebeband und das Leukoplast sei von den anderen Kollegen übernommen worden. Der Gedanke, dass das möglicherweise nicht ganz rechtens sei, ist R. schon gekommen, aber es sei nie irgendwas an Vorgesetzte herangetragen worden. Sie hätten sich halt nix dabei gedacht und bis zum konkreten Fall sei ja auch nix passiert. Der Gedanke, dass die Fixierung nicht sehr angenehm sein wird, ist ihm schon gekommen, aber dass so etwas passieren kann, habe er nicht gewußt. Er habe keine medizinische Ausbildung außer einem Erste-Hilfe-Kurs in der Fahrschule absolviert.

Im Flugzeug sei der Marcus Omofuma mit 2 bis 4 Schleifen Klebeband um den körper an den Flugzeugsitz gebunden worden. Das Klebeband reichte um den ganzen Kopf. Rund um das Kinn wurde ein Klebeband mit der Nackenstütze verbunden, sodass auch der Kopf fixiert war. Der Kopf sei leicht bewegbar gewesen, soweit die Rückenlehne halt nachgegeben habe. R. sei schrÀg hinter Marcus Omofuma gesessen. Sein Part war es, die Sitzbanklehne des Marcus Omofuma festzuhalten. Die Arretierung des Sitzes sei so ausgeleiert gewesen, dass Marcus Omofuma die Sitzlehne nach hinten drücken konnte. Zum Festhalten der Lehne vor ihm, habe sich R. mit dem Knien gegen den Vordersitz verkeilt. Ein Gummiseil zum zusätzlichen Festzurren sei nie verwendet worden. Sie hätten ein Festzurren nur einige Sekunden mit einem Klettband probiert, aber das habe für die Fixierung nichts gebracht, deshalb hätten sie unmittelbar davon Abstand genommen auch der Gurt des Flugzeugsitzes sei locker gewesen und "habe nichts gebracht". Die bänder seien auch nicht fester angezogen worden, weil das mit Klebebändern nicht möglich sei. Der Richter hält R. vor, dass er ja Schwergewichtsweltmeister sein müsse, wenn er es schaffe, eine Stunde lang die Sitzlehne festzuhalten.

Als Rechtsanwalt Zanger aus dem Gutachten des Prof. Brinkmann zitiert, dass Marcus Omofuma wohl aufgrund des angezogenen Gurts langsam in Atemnot geraten sei, wird ihm das Wort vom Richter mit dem Hinweis abgeschnitten, dass die beiden Sachverständigen aus Bulgarien und Deutschland dazu neigen, ihre Kompetenz zu überschreiten und Dinge schon zu Fakten erklären, die noch der Beweiswürdigung des Gerichts unterliegen.

Auf den Vorhalt des Richters, dass die Angeklagten ja gar nicht hätten feststellen können, ob Marcus Omofuma sich ruhig verhalten wollte, meinte R., andere Abschiebungen seien ähnlich verlaufen und Schubhäftlinge haben bei anderen Abschiebungen immer eingelenkt. Das Augenzwinkern sei immer das Zeichen gewesen. Von hinten habe er aber nichts mitbekommen.

Der Zweitrichter fragt, ob es einen Vorgesetzten unter den 3 Angeklagten gegeben habe. R. meint, sie hätten alle den gleichen Rang, aber B. sei schon Gruppenführer. Die Entscheidungen seien teilweise spontan getroffen und manchmal abgesprochen worden und sie seien immer einer Meinung gewesen. Daraufhin hält der Zweitrichter fest, dass es sich also um ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken gehandelt hat. Auf die Frage, ob R. glaubt, dass Marcus Omofuma körperliche Qualen erlitten hat, erhält der zweitrichter ebensowenig eine direkte Antwort wie der Staatsanwalt auf den Vorhalt: Sie wollen uns glauben machen, dass ihnen laut medizinischen Gutachten eine halbe Stunde lang nicht aufgefallen ist, dass Marcus Omofuma stirbt? Rechtsanwalt Zanger fragt nach der Dauer der Auseinandersetzung im Wagen. Diese habe laut R. eine halbe Stunde gedauert und es seien 7 Polizisten notwendig gewesen, um den Marcus Omofuma aus dem Auto herauszubringen. Zanger fragt, ob R. keine Anzeichen dafür bemerkt habe, dass Marcus Omofuma nach dieser Anstrengung schwer atme? R. erwidert, dass Marcus Omofuma wohl sehr durchtrainiert war und Fußballer gewesen sei. Er habe sich damals keine Gedanken über die Anstrengung und eine daraus folgende Atemnot gemacht. Man könne auch sehr wohl hören, wenn jemand schwer durch die Nase atmet (Anmerkung: In einem fliegenden Flugzeug?).

Verteidiger Ofner stellt die Frage, ob die 3 Polizisten in Hinblick auf das angenommene Sicherheitsrisiko und die Kinder an Board überhaupt ohne Rücksprache mit dem KapitÀn berechtigt gewesen Wären, eine Lockerung der Fesselung vorzunehmen? R. antwortet, dass sie dies bei anderen Abschiebungen sehr wohl eigenständig entschieden haben. Es gab allerdings für die 3 Polizisten und offenbar auch für die Crewmitglieder keinen Grund, an der Fixierung von Marcus Omofuma irgendetwas zu verändern oder den Mund freizumachen. Die Kinder seien sehr verängstigt und es sei eine Paniksituation zu erwarten gewesen, wenn Marcus Omofuma hätte schreien können. Dazu merkt der Staatsanwalt an, dass in einer fliegenden Maschine vom Typ Tupulev jemand brÃŒllen muss wie ein Stier, damit es nur 2 Reihen weiter vorne gehört wird. Der Zeitrichter stellt demgemäß die erklärungsvariante "Sicherheitsrisiko" in Abrede. Es sei wohl eher so gewesen, dass es für die Beamten einfach angenehmer war, die Verklebung zu belassen und kein zusätzliches Aufsehen zu erregen. Rechtsanwalt Zanger fragt, was eigentlich die Ursache für die Panik der Kinder war, die laut R. immer wieder über die Sitze zu ihnen nach hinten geschaut haben. R. antwortet, dass das wohl dadurch bedingt sei, dass Marcus Omofuma immer wieder aggressiv gewesen sei.


Der Angeklagte K. - "Der Gebissene"

Nach einer 10-minötigen Pause beginnt die Vernehmung des dritten Angeklagten. Er habe Marcus Omofuma vor der Abfahrt über die Abschiebung aufgeklärt und habe dessen Verhalten von Anbeginn an als Trotzhaltung erlebt. Marcus Omofuma wollte sich selbst verletzen, indem er den Kopf gegen die Scheibe des Wagens geschlagen hat. Von einem Fluchtversuch erwähnt K. nichts. Marcus Omofuma habe ihn bei der Auseinandersetzung im Wagen in den rechten Handrücken gebissen. Die Wunde habe leicht geblutet. Die Bissspuren seien noch im Sommer zu sehen gewesen. (Anmerkung: Von Dr. Isima kam dazu eine Frage, die im Prozess niemand gestellt hat: Von Menschen zugefügte Bissverletzungen sind aufgrund der Infektionsgefahr gefährliche Wunden. Warum hat K. die vermeintliche Wunde nicht einmal desinfizieren oder sonstwie versorgen lassen?). Von dem Biss habe er auch den vernehmenden BeamtInnen in Sofia erzählt, aber die hätten das nicht zu Protokoll nehmen wollen. Jedenfalls habe laut K. aufgrund des Verhaltens des Marcus Omofuma von Anfang an die "Gefahr" bestanden, dass die Abschiebung verhindert werden würde. Auf die Frage, was denn eigentlich gewesen wäre, wenn die Abschiebung beendet worden wäre, antwortet K.: "Wahrscheinlich nix, eine Woche später Wären halt 4 Kollegen mitgeflogen".

Während B. auf die Hände und R. auf den Oberkörper aufzupassen gehabt hätte, sei es seine Aufgabe gewesen, die Füße zu fixieren. Dafür habe er das letzte Klettband unter dem Sitz um die Beine des Marcus Omofuma geschlungen und hinten festgehalten, damit er nicht nach vorne schlagen kann. K. selber habe eine solche Abschiebung noch nie erlebt. Früher habe immer die Androhung der Verklebung ausgereicht, um die Abzuschiebenden ruhigzustellen. Er habe nur von anderen Kollegen über Problemabschiebungen gehört. Bei einer Dienstbesprechung, auf der dieses Thema laut Aussagen eines Vorgesetzten behandelt wurde, sei er nicht dabei gewesen. Es habe allerdings im Jahr 1995 einen Fall mit einem bereits im Schubgefängnis "renitenten Schwarzafrikaner" gegeben, woraufhin ein Mayor auf Anfrage gemeint haben soll: "Probierts die Abschiebung, ihr werdet eh sehen, was der KapitÀn dazu sagt." Die Abschiebungen seien damals durchwegs mit der Balkan Air durchgeführt worden.

Offenbar habe der vorne sitzende B. keine Vertrauensbasis zu Marcus Omofuma herstellen können, worüber er den hintensitzenden Kollegen regelmäßig Bericht erstattet hat. Die Watsche durch das Crewmitglied sei nicht erst 35 Minuten vor der Landung sondern eher früher erfolgt. Es habe Ruhepausen im WÃŒten des Marcus Omofuma gegeben und K. habe dabei immer den Eindruck gehabt, dass Marcus Omofuma Kraft tanke und versuche abzuchecken, ob die Beamten noch aufpassen. Er habe nie den Eindruck gehabt, dass Marcus Omofuma erschÃŒpft sein könne. Jedenfalls habe Marcu Omofuma nicht aufgegeben. körperliche Qualen habe Marcus Omofuma seiner Meinung nach nicht erlitten und es wäre auch an Marcus Omofuma gelegen, die Situation zu bereinigen.

K. habe sich deshalb freiwillig zur DurchFührung der Abschiebung gemeldet, weil ein Auslandseinsatz eine Extragage bringt.
Nach der Landung seien zuerst die Passagiere aus der Maschine rausgelassen worden. Dann erst sei die Fixierung gelöst worden. Dabei habe Marcus Omofuma "passiven Widerstand" geleistet. Auf die Frage von Rechtsanwalt Zanger, worin denn dieser passive Widerstand bestanden hätte, antwortet K., sie seien nicht zu den Knoten gekommen. (Anmerkung: Knoten in Klebebändern?). Ob sie hätten weiter nach Lagos fliegen können, sei für K. und seine Kollegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen, denn die eine Stunde nach Sophia sei schon sehr anstrengend gewesen und die Aussicht auf 6 Stunden flug nach Lagos hätte vielleicht dazu geführt, dass sie entschieden hätten, die Abschiebung abzubrechen und mit Marcus Omofuma wieder nach Österreich zu fliegen. Als sie bemerkt hätten, dass mit Marcus Omofuma etwas nicht in Ordnung sei, hätten sie eine Stewardess gerufen und diese habe dann den Puls des Marcus Omofuma gemessen, der zu diesem Zeitpunkt noch vorhanden gewesen sei. Dennoch habe man einen Arzt gerufen, der dann den Tod des Marcus Omofuma festgestellt hat.

Der Staatsanwalt hält dem K. vor, es sei unlogisch, was die 3 Angeklagten geschildert haben, denn anstatt gefesselt zu wÃŒten, hätte Marcus Omofuma seine Abschiebung viel effektiver verhindern können, indem er mit einem Augenzwinkern seine Entfesselung erreicht hätte, um dann "loszuschlagen". Laut Staatsanwalt habe kein Zeuge gesehen, dass irgendwelche Beruhigungsversuche seitens der 3 Beamten unternommen wurden.

Rechtsanwalt Zanger hält dem K. einen Widerspruch in dessen Aussagen vor. Anläßlich einer früheren Vernehmung habe K. angegeben, Marcus Omofuma habe sich die meiste Zeit zur Wehr gesetzt. Nun habe er behauptet, Marcus Omofuma sei die meiste Zeit ruhig gewesen. K. bleibt bei der Version, dass Marcus Omofuma die meiste Zeit ruhig war.

Wegen des Widerspruchs zu vorhandenen Aussagen von ZeugInnen stellt der Staatsanwalt den Antrag auf Vernehmung zweier holländischer Passagiere, die laut Protokoll das Festzurren des Marcus Omofuma mittels eines Gurtes angegeben und dabei einen erheblichen Kraftaufwand gesehen haben. Die beiden Verteidiger sprechen sich gegen die zusätzlichen ZeugInnen aus. Die beiden Richter ziehen sich zusammen mit den beiden SchÃŒffen kurz zur Beratung zurück. Danach erfolgt der Beschluss auf zusätzliche Vernehmung der beiden ZeugInnen aus Holland am 8. April.


Ende des ersten Prozesstages: ca. 16h