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Quellenangabe:
Folteropfer in der Schubhaft misshandelt - Protestbriefe erwünscht! (vom 20.09.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2684/, besucht am 29.03.2024

[20. Sep 2008]

Folteropfer in der Schubhaft misshandelt - Protestbriefe erwünscht!

Familienvater aus Tschetschenien wurde in der Wiener Schubhaft misshandelt, er sollte nach Polen abgeschoben werden. Asyl in Not bringt Beschwerden ein und bereitet Strafanzeige wegen Körperverletzung und wegen Quälens eines Gefangenen vor.

Rahman, 24 Jahre, ist mit seiner Frau und seinem zweijährigen Kind aus Tschetschenien nach Österreich geflüchtet; ein zweites Kind kam hier zur Welt und ist jetzt 3 Monate alt. Seine Tante, bei der er aufgewachsen ist, lebt hier als anerkannter Flüchtling.

In der Heimat war Rahman gefoltert worden; Erwin Klasek, Psychotherapeut, hat bei ihm eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung und (damals noch latente) Suizidalität festgestellt.

Am 10.09.2008 wurden Rahman, seine Frau und die zwei Kinder gegen 6.30 Uhr in der Früh in Traiskirchen verhaftet und zum Zweck der Abschiebung nach Polen ins Polizeigefängnis Rossauer Lände gebracht. Der Bitte, ihre Habseligkeiten einpacken zu dürfen, wurde nicht nachgekommen.

Rahman wurde in der Haft trotz eindringlichen Bitten von seiner Familie getrennt und in eine Zelle mit einem Afrikaner gesperrt. Gegen Mittag hielt er es nicht mehr aus, er begann mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen, bis er zu bluten begann. Er biß sich selbst in die Arme; die Bisswunden sind jetzt noch zu sehen.

Dann schnitt er sich mit einer Metallkapsel die Innenseiten der Handgelenke auf, um die Pulsadern zu durchtrennen. Die Wachbeamten bemerkten das, legten ihm Handschellen an. Er forderte weiterhin, zu seiner Familie verlegt zu werden.

Der Dolmetscher sagte ihm, er solle eine Tablette nehmen, dann bekomme er keine Spritze. Er leistete dem Folge. Die Lage schien sich zu beruhigen. Dann kamen sechs Wachebeamte auf ihn zu, um ihn eine Einzelzelle zu bringen.

Rahman verlor nun völlig die Nerven, schlug und biß um sich, dabei wurde angeblich ein Polizist leicht verletzt. Rahman wurde zu Boden gedrückt, einer der Wachebeamten fixierte ihn mit dem Knie im Nacken, dann bekam er – entgegen dem Versprechen des Dolmetschers – eine Spritze und verlor das Bewusstsein.

Am Abend wachte er in der Einzelzelle auf. Man hatte ihm (ohne ersichtlichen Grund) Hose und Unterhose ausgezogen. Jetzt sollte eine Untersuchung seiner Flugtauglichkeit durchgeführt werden. Eine Amtsärztin wollte ihm Blut abnehmen, um zu prüfen, ob er an einer ansteckenden Krankheit leide – um eine Ansteckung des, wie es hieß, verletzten Polizisten auszuschließen.

Rahman, immer noch am Unterleib nackt, verweigerte die Blutabnahme und bat, seine Hose anziehen zu dürfen. Das wurde von den Beamten abgelehnt, mit der Begründung, in der Zelle sei es ohnehin warm. Die Ärztin erklärte, gegen seinen Willen kein Blut abzunehmen, und ging.

Am nächsten Tag sollte die Abschiebung durchgeführt werden. Als ihm dies bewusst wurde, legte er sich auf den Boden. Daraufhin kamen vier Wachebeamte auf ihn zu, einer davon trat ihm auf der rechten Seite in die Rippen, sodass er kurze Zeit keine Luft mehr bekam. Danach hoben ihn vier Beamte hoch, trugen ihn in den Polizeiwagen und fuhren zum Flughafen.

Was dort genau geschah, wissen wir nicht; er widersetzte sich seiner Abschiebung nach Polen und wurde wieder ins Polizeigefängnis Rossauer Lände gebracht, wo er sich seither wieder in einer Einzelzelle befindet.

Am Nachmittag des 11.09.2008 begann er plötzlich zu zittern, schlug mit dem Kopf gegen die Zellentüre und verlor vorübergehend das Bewusstsein. Wieder stürmten Beamte in die Zelle, legten ihm Handschellen an und zwangen ihn, eine Tablette zu schlucken.

Sein psychischer Zustand ist nach wie vor schlecht, er beschädigt sich weiterhin selbst und befindet seit Beginn der Schubhaft im Hungerstreik. Obwohl er offenbar haftunfähig und suizidgefährdet ist, weigert sich die Behörde, ihn freizulassen. Frau und Kinder hingegen wurden mittlerweile wieder nach Traiskirchen gebracht.

Schon die Inhaftierung eines Folteropfers, umso mehr noch die Trennung von der Familie, die Einzelhaft, die Misshandlungen durch die Wachebeamten sind Folter im Sinne des Artikels 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Asyl in Not hat eine Schubhaftbeschwerde eingebracht. Eine Maßnahmenbeschwerde gegen das Fixieren mit dem Knie am Nacken, das Verabreichen der Spritze gegen seinen Willen und das Ausziehen der Hosen bereiten wir vor; eine Strafanzeige wegen Körperverletzung und wegen Quälens eines Gefangenen ebenso.

Mag. Judith Ruderstaller, Rechtsberaterin
Michael Genner, Obmann von Asyl in Not
Währingerstraße 59
1090 Wien