Quellenangabe:
Gesetze der Grenzen entsorgen. Aufbruch. 10.10.'08 (vom 28.09.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2687/,
besucht am 21.11.2024
[28. Sep 2008]
"Bleiberecht"? Weg mit allen Fremden- gesetzen, weg mit diesen Grenzen! 10. Oktober 2008, Day of Action. Kein Friede mit der herrschenden Ordnung, für Bewegungsfreiheit und Bleibefreiheit. Die Realität ändern. Aufbruch.
Der 10. Oktober wurde von Bürgerlichen und NGO's bundesweit zum Tag des "Bleiberechts" ausgerufen. Daraufhin kam das Verlangen auf, genau jenen Tag zum Anlass zu nehmen, um die Gründe der Misere aufzuzeigen und endlich eine grundsätzliche Auseinandersetzung über das System von Migration, globalem Kapitalismus und Staat zu forcieren und dessen Überwindung zum Ausbruch zu verhelfen.
Die Fragen rund um den 10.Oktober lauten daher: Was heißt hier überhaupt "Bleiberecht"? Wollen wir tatsächlich ein BleibeRECHT?
Und schließlich: Mit welchen Inhalten und welchen Formen können wir am 10.Oktober das Verlangen nach einer grundsätzlichen Veränderung der gegebenen Situation thematisieren und in Aktion setzen?
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Angesichts der Massenschubhaft und Massenabschiebungen von Menschen, die wegen ihrer Herkunft aus Regionen ökonomischer Unmöglichkeiten, auf Grund politischer Verfolgung, (Männer)Gewalt und Diskriminierung - verdammt sind unter enormen gesetzlichen Schwierigkeiten in Österreich zu leben, angesichts dieser Situation liest sich die Nachricht eines "Tages für Bleiberecht" erfreulich. Bei genauerem Hinsehen jedoch schwindet die Freude, entsteht die Vermutung, dass es auch bei dieser Forderung um die Beibehaltung bestehender Verhältnisse geht, geschweige denn, dass diese Forderung die bestehende Ordnung zu verändern vermag.
Wie wird die Forderungen nach Bleiberecht oder noch schöner "Bleiberecht für alle" verstanden?
Die Forderung stützt sich auf die Funktion des Gesetztes, das für alle gelten soll. Bleiberecht heißt in der österreichischen Wirklichkeit "Aufenthaltsgesetz". Es ist jenes Gesetz, welches den Aufenthalt bzw. das Bleiben einer Person ist Österreich regelt. Die Forderung nach "Bleiberecht für Alle" scheint daher gar keine zu sein, weil das Geforderte bereits existiert: ein Bleiberecht (Aufenthaltsgesetz), das für Alle Menschen in Österreich gilt, allen Menschen in Österreich vorschreibt, wann sie/er hier sein kann und wann es diesen Ort zu verlassen hat - gegebenenfalls mit äußerster Gewalt.
So unterscheidet das Gesetz die Menschen danach 1.) welchen Pass sie besitzen 2.) wie ihre individuellen ökonomischen Verhältnisse aussehen. Beide Male richten sich Auflagen des Aufenthaltsrechts im Wesentlichen nach dem Zugang der Person zum Kapital, der entweder durch Staatsbürgerschaft eines Staates mit hohem Bruttosozialprodukt oder durch persönlichen Reichtum angezeigt ist. Verkürzt und verallgemeinert gesagt, sieht es so aus: Alle EU-StaatsbürgerInnen und StaatsbürgerInnen anderer imperialistischen Staaten (Weltmächte), wie Japan, Kanada, USA usw. haben ein Recht auf Aufenthalt in Österreich. Aus den übrigen Staaten kommend darf mensch nur dann in Österreich bleiben, sich hier aufhalten, wenn mensch den Zugriff auf ein eigenes Bankkonto mit beträchtlicher Summe nachweisen kann. Der Zugang zu bzw. der Nachweis von Kapital soll sicherstellen, dass die Person, die beabsichtigt hier zu bleiben, nicht am Reichtum Österreichs bzw. der EU Anteil haben will, sondern selbst zu den GewinnerInnen der globalen Ökonomie gehört. Die EU fürchtet zu verlieren, das heißt: teilen zu müssen, was sie weltweit über Jahrhunderte durch Ausbeutung von Natur und Mensch akkumuliert hat...
Ein andere Möglichkeit des Aufenthalts z.B. auf Grund von Asylanträgen, das heißt laut Genfer Flüchtlingskonvention für Menschen die vor Krieg und politischer Verfolgung flüchten, gibt es de facto nicht mehr, was durch einen simplen Trick gewährleistet wird: Und zwar müssen alle Menschen, die nach Österreich bzw. in die EU einreisen wollen, (weil es wegen der Sicherheitsvorkehrungen über Flughäfen fast unmöglich ist) zwangsläufig den Landweg nehmen. Da alle Nachbarstaaten von Österreich so genannte "sichere Drittstaaten" sind (sicher bedeutet hier, dass sie zu jenen ökonomisch mächtigen Staaten der EU gehören bzw. auf dem Weg dahin sind), werden sie in jene Länder wieder abgeschoben, von wo aus sie die "grüne Grenze" nach Österreich überschritten haben. Österreich ist somit nicht für Flüchtlinge zuständig...
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Nun haben Bürgerliche ("bürgerlich" meint hier die Position, die davon überzeugt ist, dass der bürgerliche Rechtsstaat Österreich eine Lösung für das "Aufenthaltsproblems" finden soll) und NGO's (wie SOS-Mitmensch, Caritas, Volkshilfe, Asylkoordination usw.) einen Tag für Bleiberecht angekündigt, fordern ein "Bleiberecht", das besagt, es soll ein "neues" Gesetz geben, das die rechtliche Situation von Menschen bestimmen soll, die Nicht-ÖsterreicherInnen sind und in Österreich bleiben wollen. Es wird also ein (humaneres) Gesetz für "Fremde", es wird ein neues Fremdengesetz gefordert.
Was hier rund um den Begriff des "Bleiberechts" als bürgerliche Humanität und christliches Mitleid zelebriert wird, stinkt gewaltig.
Zunächst kommt der ekelerregende Geruch aus der stillschweigenden Akzeptanz gegenüber einem Weltbild, dass den Menschen in "ÖsterreicherInnen" und "Fremde", das heißt in das "national/rassisch/kulturell Eigene" und das "national/rassisch/kulturell Andere" aufteilt und dem so Aufgeteilten einen geographischen Ort (Heimat) zuordnet.
Der Österreicher nun, dem Österreich gehört, zeigt dem Ausländer, der aus dem Ausland kommt, seine gönnerhaft humane Pose, indem er für diesen (Bleibe)Rechte an einem Ort fordert, wo er "ursprünglich nicht hingehört".
Dass bereits die Aufteilung und Zuordnung des Menschen in einen Blut-Boden-Recht-Zusammenhang einen fundamentalen Grund des Problems darstellt, den es zu verlassen gilt, wird nicht eingesehen oder gar ausgeblendet, weil es die eigene privilegierte Situation gefährden würde.
Das Übel solch einer Forderung nimmt seinen Lauf, indem es seine Forderung nach "Bleiberecht" ausgerechnet an jene Ordnung bittend richtet - an den Staat und die Herrschaft - welche nicht nur die globalen ökonomischen Verhältnisse befürworten, die Grund für den Umzug nach Europa sind, sondern diese wesentlich erzeugen und Unmengen daran profitieren. Um es ganz deutlich zu sagen: wenn der Staat und die Herrschaft eine Lösung für die Situation finden wollten, müssten sie sich selbst auflösen, weil es die ökonomischen, rassistischen, patriarchalen Herrschaftsverhältnisse, getragen und durchgesetzt von Institutionen der Staaten sind, die das Faktische des Problems ausmachen.
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Der Gedankengang, der die Forderung nach "Bleiberecht" in Hinblick auf seinen rassistischen Gehalt, sowie in Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Grundproblematik der globalen und lokalen Herrschaftsverhältnisse kritisiert, ist ansatzweise verständlich geworden.
Doch wie sieht die radikale Haltung dazu aus, das heißt eine Haltung, welches das Ganze der Situation zu überwinden vermag? Die Frage bleibt offen, denn sie fordert das Offene.
Eine Sehnsucht, die den globalen offenen Raum des Menschen zum Menschen will, jenseits der gegebenen Kategorien von Herrschaft, d.h. von Kapitalismus, Nationalstaaten, Rassismus (Hetero)Sexismus, usw. kann jedenfalls nicht gleichzeitig mit der Realität von Fremdengesetzen und Grenzen existieren, noch viel weniger solche fordern.
Die Änderung des Gegebenen als Ganzes, zusammengefasst unter dem Ruf "für Bewegungsfreiheit und Bleibefreiheit", gilt also nicht der Herrschaft, sondern den Menschen, die an beiden Seiten der selben Grenze stehen und gemeinsam tatsächlich vermögen, die bestehende Ordnung in Frage zu stellen, das Verhältnis zu kippen und zu überwinden.
Der Aufbruch zu einer tatsächlichen Veränderung kann daher keine "reale Forderung" bedeuten, denn es ist ja genau die Realität dessen, was geändert werden will! Egal welche Eigenschaften an dieser Ordnung verschoben werden mögen, die Sache selbst, dessen Substrat, wäre unberührt und somit keine tatsächliche Bewegung geschehen, sondern lediglich Augenwischerei, Nuancen des gleichen.
Dieses Verlangen nach einer tatsächlichen Veränderung, ist das Verlangen von Menschen, die bereits in Bewegung sind, die Grenzen des globalen Kapitalismus und der Nationalstaaten hinter sich lassen.
Die Freiheit der Bewegung und des Bleibens kennt keine Fremden, die hierher kommen (wollen), und ÖsterreicherIn, die hier Aufenthalt gönnen - die Parole lautet: Wir sind alle Flüchtlinge!..
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Was als "Tag für Bleiberecht" angekündigt war, ist nun zum "Day of Action" für Bewegungsfreiheit und Bleibefreiheit umbenannt. Alle, die eine Bewegung hierseits und jenseits der Grenzen sehen können bzw. die sehen möchten, sind dazu aufgerufen am 10. Oktober 2008 an allen Orten der Ausgrenzung durch Staat und Rassismus dem Ruf nach Bewegungsfreiheit und Bleibefreiheit Ausdruck und Ausbruch zu verleihen. Vielfältige, kreative und effektive Aktionen sind gefragt!
Eine größere Aktion am 10. Oktober wird eine :: Demonstration in Wien sein: 16:00 Ecke Mariahilferstraße/ Museumsquartier - beim Marcus Omofuma Stein.