Quellenangabe:
Wieder Misshandlungsvorwürfe gegen Wiener Polizisten (vom 19.11.2008),
URL: http://no-racism.net/article/2719/,
besucht am 21.11.2024
[19. Nov 2008]
Ein Verkäufer des Augustin gibt an, am 22. Oktober 2008 auf der Polizeistation Karlsplatz misshandelt worden sein. Laut Gedächtnisprotokoll musste sich der Mann aus der Slowakei nackt ausziehen und von einem Beamten demütigen lassen.
Zwei slowakische StaatsbürgerInnen protokollierten Polizei-O-Ton am Karlsplatz.
Eine Kolporteurin und ein Kolporteur des Augustin erheben schwere Vorwürfe gegen Polizisten der Wachstube am Karlsplatz. Er sei u. a. gezwungen worden, sich nackt niederzuknien und die wiederholte Feststellung des Beamten, dass "Zigeuner stinken", laut zu bejahen, gibt einer der Betroffenen zu Protokoll. Der Augustin wandte sich an die Pressestelle der Polizei, diese übermittelte die Beschwerde an Oberst Christian Stella, den Leiter der Stabsabteilung. "Die Vorhalte nehmen wir sehr ernst. Sie werden Gegenstand von internen Erhebungen. Das Büro für Interne Ermittlungen wurde mit den weiteren Erhebungen betraut", so die rasche Reaktion Stellas.
Jaro und Zuza (Name von der Redaktion geändert) kommen aus einem mehrheitlich ungarischsprachigen Gebiet der Slowakei. Wie Dutzende weitere Augustin-VerkäuferInnen aus dieser Region gehören sie der Roma-Minderheit an. Ihre Deutschkenntnisse sind fortgeschritten, doch den Begriff "Antiziganismus" lernten sie erst in den Gesprächen in der Augustin-Redaktion kennen. Die Anspielung auf den Begriff "Antisemitismus" ist gewollt: Beides steht für tief verwurzeltes, von Generation zu Generation übertragenes Ressentiment. Spätestens seit dem 22. Oktober 2008, seit einer alarmierend unzivilisierten "Amtshandlung" in der Wachstube Karlsplatz, ahnen Jaro und Zuza, wie sehr auch Teile des Exekutivbeamtentums einer demokratischen Republik mit diesem Zigeunerhass infiziert sind.
Die traumatische Erfahrung des 22. Oktober hat in Jaro und Zuza etwas ausgelöst, wovor Landsleute mit ähnlichen Erlebnissen aufgrund eines ausgeprägten Ohnmachtgefühls zurückschrecken: den Impetus, die Maschinerie der Erniedrigungen, die gegen die Roma auch im Westen wie geschmiert funktioniert, zu stören. Jaro und Zuza haben sich bereit erklärt, in Hinkunft alles niederzuschreiben, was sie selbst erfahren und was sie von LeidgenossInen zu hören bekommen. Sie wissen um die strukturelle Unterlegenheit von Beschwerdeführern Bescheid: Täter verwandeln sich in Opfer von Verleumdungskampagnen. Umso größeren Respekt verdient Jaros Gedächtnisprotokoll über den Karlsplatz-Vorfall. Mit dieser Dokumentation einer rassistischen Amtshandlung wollten Jaro und Zuza ihre "eigene" Zeitung, den Augustin, die Slowakische Botschaft in Wien und die Menschenrechts-NGO Zara informieren:
"Am 22. Oktober 2008 kam ich von Deutschland mit meinem Sohn Jaroslaw (18 Jahre) um ca. 1 Uhr morgens in Wien Westbahnhof an. Meine Frau Zuza holte uns vom Bahnhof ab. Wir sind dann alle drei nach Hause gefahren und schlafen gegangen. Um ca. 10 Uhr vormittags gingen meine Frau und ich zum Augustin, um Zeitungen einzukaufen. Anschließend fuhren wir mit meinem Sohn zum Karlsplatz, um den Augustin zu verkaufen. Mein Sohn und ich gingen dann zum "Spar" am Karlsplatz, um Schokolade für meine Kinder in der Slowakei einzukaufen. Dann kehrten wir zu Zuza zurück, die mit dem Gepäck auf uns wartete, weil wir alle drei in die Slowakei fahren wollten. Ich ging im Internet Café am Karlsplatz auf die Toilette. Als ich zurückkam, kontrollierte ein Polizist mit dunklen, kurzen Haaren die Ausweispapiere meiner Frau und ein anderer die Papiere meines Sohnes."
Die Ausweiskontrollen zählen zum Preis, den Roma zahlen müssen, wenn sie sich in "zivilisierten" Ländern aufhalten. Sie sind für Roma so selbstverständlich, dass sie kaum erwähnt werden, wenn man sie nach Diskriminierungs-Erfahrungen fragt. Ausweiskontrollen sind die simpelsten Einübungen in bestehende Machtverhältnisse. Trotz allen psychologischen Schulungen scheint es in der Polizei keine Selbstreflexion über diese Routine der Deklassierung der ohnehin schon Deklassierten zu geben. Nicht überall ist der Umgang Polizisten gegenüber Roma autoritär und menschenverachtend. Nicht überall wird das Herrschaftsverhältnis, das in einer Amtshandlung steckt, hervorgekehrt. Jaro, der oft in Deutschland arbeitet, erzählt dem Augustin: Bei einer Routine-Ausweiskontrolle am Münchner Bahnhof sei es üblich, dass der Beamte sich mit "Grüß Gott, darf ich Sie um Ihre Ausweise bitten" vorstellt und am Ende "Gute Reise!" wünscht. In Wien sei er noch nie von einem Polizisten in Uniform so begrüßt worden - dabei seien solche Kontrollen Alltag für Menschen, die "wie Roma aussehen". Die Polizisten verkehren mit Roma ausschließlich von oben herab.
Gibt es Polizisten mit korrektem Benehmen in Wien?, fragen wir ihn. Jaro denkt lang nach, das ist auch eine Antwort. Ich kenne nur die, die mich kontrolliert haben, sagt er schließlich. Man merkt die Spannung zwischen Kopf und Bauch. Gefühlsmäßig drängt es ihn zu einem Pauschalurteil, das er bei rationaler Betrachtung verwirft. Es war nicht leicht, rational zu bleiben, wie man aus dem Folgenden erkennen kann:
"Dann sagte der Polizist, der die Papiere meiner Frau kontrollierte, in einem harten Ton zu mir: "Du auch!" Ich musste alles, was ich in der Jacken- und Hosentasche hatte, auf die Bank legen. Während der andere Polizist noch meinen Sohn kontrollierte, stieß der Polizist, der mich und meine Frau kontrolliert hatte, meinen Sohn mit beiden Händen gegen die Brust und sagte zu ihm: "Du auch, leg alles auf die Bank." Danach gab man meinem Sohn den Ausweis zurück, und der Polizist mit Vornamen Stefan (diesen Namen kennen wir, weil wir später auf der Wachstube waren) sagte auf Tschechisch: "Di Domu-zmizni." Auf Deutsch heißt das: Geh nach Hause, verschwinde. Während mein Sohn auf der Bank saß und meine Frau zuschaute, fragte ich den Polizisten Stefan, was mit meinem Ausweis sei.
Er antwortete nicht, sondern befahl meinem Sohn, dass er von der Bank aufstehen und verschwinden solle. Da mein Sohn nicht auf die Aufforderung reagierte, weil er kein Deutsch versteht, schrie der Polizist Stefan ihn an: Aufstehen und verschwinden! Mein Sohn reagierte noch immer nicht, daraufhin nahm der Polizist Stefan seinen Gummiknüppel und stieß ihn meinem Sohn in die rechte Seite. Ich sagte zum anderen Polizisten: "Entschuldigung, mein Sohn versteht nicht gut Deutsch." Daraufhin sagte der Polizist Stefan, dass ihn das nicht interessiere. Er sagte weiters: "Wenn man nach Österreich kommt, muss man Deutsch verstehen." Zu mir sagte er: "Ich werde dir garantieren, dass du das letzte Mal in Österreich bist."
Meine Frau Anna fragte ihn, warum es verboten sei, in Österreich zu sein, wir seien doch in Österreich gemeldet. Polizist Stefan erwiderte, der Meldezettel interessiere ihn nicht, da der falsch sei. Er drehte sich um und sagte nochmals zu meinem Sohn, er solle verschwinden und das ganze Gepäck mitnehmen. Meine Frau fragte den Polizisten, wie mein Sohn alles alleine tragen könne. Er bekräftigte, es interessiere ihn nicht und der Sohn solle verschwinden. Meine Frau und ich nahmen einen Rucksack und eine Tasche an uns, das andere Gepäck und unseren Hund nahm mein Sohn und ging weg. Mein Sohn fragte mich noch, wo wir uns treffen sollten. Ich meinte, am Südbahnhof. Polizist Stefan zu mir: "Sei ruhig, Depperter."
Meine Frau und ich gingen mit den zwei Polizisten in die Wachstube am Karlsplatz. Wir unterhielten uns auf Ungarisch. Daraufhin der Polizist Stefan: "Deutsch sprechen!" Meine Frau und ich mussten alles, was wir in den Jacken- und Hosentaschen hatten, in zwei Kartons legen. Ich musste dann mit dem Polizisten Stefan und dem anderen Polizisten in ein kleines Zimmer gehen. Herr Stefan sagte zu mir, ich müsse mich auf den Boden knien.
Ich kniete mich auf den Boden. Der Polizist Stefan sagte zu mir, ich sei ein schmutziger Zigeuner. Er hat mich nicht geschlagen, aber er deutete mir immer eine so genannte "Faustwatschn" ins Gesicht an. Immer wenn er mir die Faust zum Gesicht hinhielt, drehte ich meinen Kopf zur Seite. Er sagte zu mir: "Hast du Angst, du dreckiger Zigeuner?" Polizist Stefan sagte zu seinem Kollegen, er solle ihm helfen. Der andere Polizist hielt mich fest. Polizist Stefan hob mein Kinn und drückte mit der Faust auf meine Nase. Er sagte, er habe mit einem slowakischen Kollegen gesprochen, die schlagen die Leute auch. Er sagte, ich solle ihm in die Augen schauen. Er wiederholte, ich sei ein schmutziger Zigeuner. Polizist Stefan lachte und sagte: "Schau, so musst du betteln." Ich musste aufstehen und mich nackt ausziehen.
Als ich nackt vor ihm stand, sagte Polizist Stefan zu mir: "Pfui, du stinkst, du dreckiger Zigeuner!" Ich musste darauf immer mit "Ja!" antworten. Er meinte auch, ich dürfe nicht mehr nach Österreich kommen - auch diesen Satz musste ich bejahen. Dann musste ich mich wieder nackt hinknien, und er provozierte mich weiter, indem er wiederholte, dass ich ein schmutziger Zigeuner sei. Er fragte mich, warum ich so einen großen Bauch habe. Dies alles sagte er zu mir in einem sehr abwertenden Ton. Er stieß mir mit der Faust mehrmals in den Bauch. Ich versuchte mich nicht provozieren zu lassen.
Daraufhin gingen die Polizisten aus dem Zimmer. Polizist Stefan kam zurück und sagte zu mir, dass ich mich anziehen solle. Ich zog mich an. Polizist Stefan: "Ich bin Polizist, was ich sage, musst du machen! Ich sage zu dir, sei ruhig, also sei ruhig. Ich sage zu dir, verschwinde, also verschwinde!" Polizist Stefan ging dann weg. Ich hörte, wie der Polizist Stefan zu meiner Frau sagte: "Bettelgeld". Sie meinten mein Geld, das ich in der Brieftasche hatte, es waren ca. 800 Euro. Polizist Stefan kam zu mir ins Zimmer zurück und fragte, woher ich das Geld habe. Ich sagte ihm, vom Arbeiten in Deutschland."
Die 800 Euro waren der Lohn für eine legale Arbeit. Jaro zeigte uns in der Redaktion die Bestätigung dafür. Selbst wenn es sich um Bettelgeld gehandelt hätte, wäre es kein illegal eingenommenes Geld. Betteln ist nämlich in Wien nicht generell verboten. Bettelgeld ist das Geld jener BürgerInnen, die es höchst anständig finden, Arme mit Geldbeträgen zu unterstützen, und die dies ganz freiwillig tun. Exekutivbeamte, die Bettelgelder pauschal als unrechtmäßig erworben klassifizieren (und diese laut Aussagen von Betroffenen oft auch ohne Bestätigung kassieren), verletzen damit indirekt die Rechte und Interessen dieser BürgerInnen.
"Er fragte mich, warum ich lüge. Er ging wieder weg. Nach ca. 5 Minuten kam er zurück und sagte, dass ich 168 Euro Strafe zahlen müsse. Ich wurde aus dem Zimmer begleitet. Auch meine Frau wurde durchsucht und musste sich im Beisein einer Polizistin ausziehen. Unsere Sachen waren alle auf dem Boden verstreut. Ich räumte die Sachen auf und bezahlte die Strafe. Meine Frau kam zurück. Ich bekam acht Organstrafverfügungen. Drei für mich, drei für meinen Sohn und zwei für meine Frau Anna. Die Organstrafverfügungen belaufen sich insgesamt auf 168 Euro. Die Organstrafverfügungen haben verschiedene Angaben: Rauchverbotsübertretung, Lärmbelästigung, Ordnungsstörung und Anstandsverletzung. Alle acht "Delikte" sind nach diesen Verfügungen um 12.55 Uhr passiert. Ich fragte, warum sogar mein Sohn Organstrafverfügungen bekommen habe, obwohl er um diese Zeit nicht mehr im Wachzimmer war. Polizist Stefan sagte, der Sohn wisse schon, warum. Ich bezahlte die 168 Euro bar.
Wir gingen weg mit vielen offenen Fragen. Wie kann es in einem demokratischen Rechtsstaat möglich sein, dass sich Polizisten derart diskriminierend gegen Menschen aus einem anderen Land verhalten können? Ich ersuche Sie, die Angelegenheit zu prüfen und das Gedächtnisprotokoll an die zuständigen Stellen weiterzuleiten. Ich danke für ihre Hilfe und verbleibe mit freundlichen Grüßen."
Jaro meint im Augustin-Gespräch, es gäbe drei Hauptgründe, warum es slowakische Roma nach Wien zieht. Der erste Grund ist die hohe Arbeitslosigkeit und die katastrophale soziale Lage (inklusive Bildungsausschluss) der Roma in seinem Land; der zweite Grund ist die Einladung von Verwandten, die schon in Wien wohnen, oder die Heirat mit der/dem in Wien lebenden Partner/in; der dritte Grund ist die Flucht vor einer bevorstehenden Gefängnisstrafe in der Slowakei. Für ihn treffe das alles nicht zu. Ihm sei es gut gegangen in der Slowakei. Aber als seine erste Ehe gescheitert sei, habe er mit seiner neuen Partnerin eine neues Leben anfangen wollen: "Ich habe Wien gewählt, weil es zwei Vorzüge hat: Ich bin nicht in der Slowakei, aber auch nicht weg von dem Land, wo meine Kinder aus erster Ehe wohnen." An jenem 22. Oktober am Karlsplatz stellte er seine Ortswahl für das neue Leben zum ersten Mal in Frage.