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Quellenangabe:
Weniger Flüchtlinge, mehr Gas (vom 09.01.2009),
URL: http://no-racism.net/article/2777/, besucht am 24.11.2024

[09. Jan 2009]

Weniger Flüchtlinge, mehr Gas

Die EU-Grenzbehörde Frontex plant bekannterweise eine Kooperation mit Libyen, das bekannt ist für den skandalösen Umgang mit Flüchtlingen. Aufgrund Italiens 'Betroffenheit' (so der Innenminister) von Gestrandeten wird Frontex mit der Operation 'Nautilus' aktiv, um sie wieder nach Libyen zurück zu schieben. Laut Behörden ist es in den Wüsten-lagern 'schwierig', aber 'annehmbar'.

Nach Absprachen mit seinem deutschen Amtskollegen leitet der Außenminister Italiens neue Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr vor der libyschen Küste ein. Ziel ist es, die mit dem Boot nach Europa aufbrechenden Migranten zu ergreifen und wenn möglich ohne Ausnahme nach Libyen zurückzuschieben. Die EU-Grenzbehörde Frontex bereitet sich seit mehreren Jahren mit deutscher Beteiligung darauf vor, kann aber ihre Tätigkeit nicht nach Plan durchführen, da die libyschen Stellen noch nicht bedingungslos kooperieren. Dies will die Regierung Italiens jetzt mit Rückendeckung Berlins erzwingen und kündigt noch für Januar eine abschließende Übereinkunft mit Tripolis an. Diesem Vorhaben kommt besondere Bedeutung zu, da der Umgang der libyschen Behörden mit unerwünschten Migranten weithin als besonders skandalös beschrieben wird. Recherchen eines italienischen Journalisten zufolge zwängen die Behörden Flüchtlinge, die sie vor der Küste aufgreifen, zu Hunderten in Container und verfrachten sie in Lager mit menschenunwürdigen Internierungsbedingungen mitten in der Wüste. Nicht selten folgen Massendeportationen. Für Nachschub soll in diesem Jahr auch Frontex sorgen.

Wie der italienische Innenminister am gestrigen Donnerstag erklärte, will er noch in diesem Monat eine abschließende Vereinbarung mit Tripolis über die Bootsflüchtlinge treffen. Anlass der Ankündigung sind mehr als 2.000 Migranten, die in den Weihnachtstagen die italienische Insel Lampedusa erreichten. Er wolle durchsetzen, dass allenfalls Touristen, aber keine Bootsflüchtlinge mehr nach Lampedusa kämen, sagt Roberto Maroni (Lega Nord).[1] Der italienische Regierungschef Berlusconi hatte Ende August einen sogenannten Freundschaftspakt mit Libyen unterzeichnet, der libysche Entschädigungsansprüche wegen der italienischen Kolonialherrschaft begleichen soll. Italien zahlt fünf Milliarden US-Dollar und baut an der libyschen Küste eine Autobahn. Dafür öffnet Libyen seinen Markt für italienische Firmen und kauft bei einem italienischen Rüstungskonzern für 300 Millionen US-Dollar eine Radaranlage, um an der Küste Flüchtlinge aufzuspüren. Der Pakt sieht insbesondere auch vor, dass Libyen die Flüchtlinge auf seinem Territorium zurückhält, was es nach italienischer Ansicht aber nicht tut.

Von Flüchtlingen 'betroffen'


Der italienische Innenminister hat deswegen schon im Dezember mit seinem deutschen Amtskollegen konferiert. Italien sei 'in besonderer Weise von Armutsflüchtlingen' aus Afrika 'betroffen', erklärte Wolfgang Schäuble (CDU) nach dem Gespräch: Es sei 'für Deutschland selbstverständlich, dass wir Italien bei seinen Bemühungen um eine effektive und humanitäre Zuwanderungskontrolle unterstützen'.[2] Schäuble wies auf den Stellenwert hin, den die Bundesregierung der Flüchtlingsabwehr einräumt: "Deutschland kann als langjähriges Ziel- und Transitland osteuropäischer Migration die Notwendigkeit und Dringlichkeit wirksamer Grenzschutzkapazitäten besonders gut beurteilen." Kurz darauf teilte Maroni mit, er werde nun in Tripolis auf entschlossene Schritte gegen die Migranten dringen. Vordringliches Ziel sind gemeinsame Küstenpatrouillen libyscher und italienischer Grenztrupps.


Nautilus


Mit der Abwehr aus Libyen kommender Flüchtlinge ist schon lange die EU-Grenzbehörde Frontex befasst. Frontex, per EU-Verordnung vom 26. Oktober 2004 gegründet und mit einem rasant wachsenden Jahresetat ausgestattet [3], führt seit 2006 jedes Jahr Operationen unter anderem vor Malta und Lampedusa durch ('Nautilus'). Deutschland nahm an allen dreien teil. Auf Malta und Lampedusa landen meist Flüchtlinge an, die in Libyen in See gestochen sind. Im letzten Jahr griffen Frontex-Trupps während der Operation 'Nautilus 2008' laut Statistik 18.419 Migranten auf. Ziel war es zunächst, sie in libyschen Gewässern festzusetzen und in libysche Häfen zu verbringen, wo sie den Behörden übergeben worden wären.[4] Der Beschluss blieb noch folgenlos, da die libyschen Behörden nicht kooperierten. Das soll sich in diesem Jahr nach der nun bevorstehenden italienischen Intervention in Tripolis ändern.


'Schwierig, aber annehmbar'


Dabei war der Beschluss, Flüchtlinge an die libyschen Behörden auszuliefern, selbst innerhalb von Frontex umstritten und konnte erst mit Verspätung durchgesetzt werden. Grund ist der skandalöse Umgang Libyens mit unerwünschten Migranten. Über deren Situation liegen inzwischen ausführliche Berichte vor, darunter Reportagen des italienischen Journalisten Gabriele Del Grande. Del Grande beschreibt, wie die Flüchtlinge, die auf der lebensgefährlichen Seereise nach Lampedusa ergriffen wurden, zu Hunderten in Container gezwängt und in Lager mitten in der Wüste verbracht werden. Dort herrschen menschenunwürdige Internierungsbedingungen. 'Wir schliefen zu 78 in einer Zelle von sechs mal acht Metern', zitiert Del Grande aus einem seiner Interviews mit ehemaligen Internierten: 'Sie ließen uns hungern. Einen Teller Reis konnten wir auch unter acht Personen aufteilen'.[5] Der Journalist berichtet von Misshandlungen, Vergewaltigungen und Menschenhandel durch die Repressionsbehörden. Einen Ausschnitt aus einer seiner Reportagen dokumentiert german-foreign-policy.com hier. Zu einer abweichenden Beurteilung der Lage in Libyen kommen nur europäische Behörden. So hieß es 2004 in einem Bericht der Europäischen Kommission, die Situation der Inhaftierten in den libyschen Lagern sei 'schwierig', aber mit Blick auf den 'allgemeinen Rahmen' letztlich 'annehmbar'.[6]


Nachschub


Für Nachschub in den libyschen Internierungslagern soll in diesem Jahr endlich auch Frontex sorgen - mit tatkräftiger deutscher Unterstützung. Nach dem Abschluss des italienisch-libyschen 'Freundschaftspakts' dürfe dem nichts mehr im Wege stehen, heißt es auch in Berlin. Besonders stolz ist die Regierung in Rom darauf, dass das Abkommen nicht nur die europäische Flüchtlingsabwehr voranbringt, sondern auch die Erdgaslieferungen Libyens in die EU über Jahre sichert. Der Pakt, resümiert Ministerpräsident Silvio Berlusconi, bringt 'weniger illegale Einwanderer und mehr Erdgas'.[7]



[1] Maroni: 'Basta con le carrette del mare. A Lampedusa sbarcheranno i turisti'; Quotidiano.net 08.01.2009
[2] Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble spricht mit seinem italienischen Amtskollegen Roberto Maroni über Fragen der Integration; Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern 16.12.2008
[3] Frontex verfügte im Jahr 2005 über sechs Millionen Euro, 2006 über 19 Millionen Euro, 2007 über 35 Millionen Euro und 2008 über 70 Millionen Euro. Zu Frontex s. auch Die Herren der Meere, Lagebilder, Zur Ausnahme werden, Auf Leben und Tod und Komplize
[4] Go ahead for Nautilus 2008; Frontex Press Release 07.05.2008
[5], [6] Gabriele Del Grande: Grenze Sahara. Die Inhaftierungslager in der libyschen Wüste, fortresseurope.blogspot.com. S. auch Wie Hunde
[7] Notstand auf Lampedusa; Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.12.2008