Quellenangabe:
Kampagne 'Finger weg von meiner DNA' (vom 16.01.2009),
URL: http://no-racism.net/article/2786/,
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[16. Jan 2009]
DNA-Tests wurden in den letzten Jahren halblegal für die Einreise und für den Pass verlangt. Nun soll die verpflichtende Abgabe diese sensiblen Daten legalisiert werden. DNA-Tests sind zum Instrument staatlicher Migrationskontrolle geworden. Protestbriefaktion des deutschen Gen-ethischen Netzwerks unterzeichnen!
DNA-Tests sind zum Instrument staatlicher Migrationskontrolle geworden. Deutsche Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen verlangen immer häufiger DNA-Tests, um ein Verwandtschaftsverhältnis nachzuweisen, sei es für ein Visum zum Familiennachzug, sei es für einen deutschen Pass. Das Gendiagnostik-Gesetz (GenDG), das derzeit im Bundestag beraten wird, schränkt diesen Zugriff auf höchst sensible Daten nicht ein, sondern legalisiert ihn.
Das GeN hat deshalb die Kampagne "Finger weg von meiner DNA!" initiiert. Unterstützen Sie uns in einer Protestbriefaktion.
Ende August 2008 hat das Bundeskabinett einem Entwurf für ein Gendiagnostik-Gesetz zugestimmt, das nun seinen parlamentarischen Weg geht. Das Gen-ethische Netzwerk ruft zum Protest gegen den § 17, Absatz 8 auf, der Gentests bei Visa- und Passanträgen erstmals regelt und somit legalisiert. Wir finden: Eine Politik mit zweierlei Maß. Menschen ohne deutschen Pass erhalten hier nicht die Schutzrechte, wie sie das Gesetz für andere vorsieht.
„Ne touche pas à mon ADN!“- „Finger weg von meiner DNA!“ - so bezogen Menschenrechtsorganisationen und antirassistische Gruppen in Frankreich im Herbst 2007 Stellung gegen Gentests bei Anträgen zum Familiennachzug. Der neu gewählte Präsident Nicolas Sarkozy hatte als einen seiner ersten Amtsakte eine Verschärfung der Ausländergesetze in Angriff genommen und wollte Gentests zum Nachweis von Verwandtschaftsverhältnissen etablieren. Die öffentliche Entrüstung war groß: 300.000 Unterschriften für eine Petition gegen das Gesetz kamen schnell zusammen. Die oppositionellen Sozialisten riefen den Verfassungsrat an. Der Erfolg der Proteste war begrenzt - diese Gentests sind nun legal. Gewisse Einschränkungen konnten aber durchgesetzt werden: Voraussetzung für einen Gentest ist eine richterliche Anordnung und der Nachweis, dass alle anderen Möglichkeiten, die Familienverhältnisse zu klären, ausgeschöpft wurden. Und: Der französische Staat muss den DNA-Test bezahlen.
Sarkozy begründete sein Gesetz damit, diese Gentests seien in Nachbarländern wie Deutschland längst gang und gäbe. Weitgehend unbeanstandet von der deutschen Öffentlichkeit verlangen deutsche Ausländerbehörden und Botschaften seit Jahren genetische Abstammungstests zum Beweis eines Verwandtschaftsverhältnisses, wenn ihnen die vorgelegten Dokumente nicht ausreichen. In 41 Ländern, von Äquatorialguinea bis Zentralafrikanische Republik, so eine Stellungnahme der Bundesregierung, halten die deutschen Behörden die dort ausgestellten Urkunden generell für fragwürdig und legalisieren sie nicht. Es sei für die Antragsteller „schneller, kostengünstiger und daher zielführender, die Abstammung zu ihren Kindern direkt durch ein DNA-Gutachten zu belegen“, so Staatsminister Gernot Erler über das Vorgehen in Afghanistan. In Kabul rege die deutsche Botschaft diese Tests meist unmittelbar an. Medienberichten zufolge geraten in Deutschland jährlich mehrere hundert Menschen in die Zwangslage, „freiwillig“ eine DNA-Probe abgeben zu müssen, wenn sie mit ihren Eltern oder Kindern in Deutschland zusammenleben wollen.
Bisher operieren die deutschen Behörden, wenn sie Abstammungs-Gentests verlangen, in einer gesetzlichen Grauzone. Sie berufen sich darauf, dass AntragstellerInnen für Visa eine Mitwir-kungspflicht nach § 82 des Aufenthaltsgesetzes und bei Pass-Anträgen eine Nachweispflicht nach § 6 des Passgesetzes haben. Von Gentests ist dort aber keine Rede.
Jetzt schlägt die Bundesregierung in ihrem Entwurf eines Gendiagnostik-Gesetzes, dem das Kabinett am 27. August zustimmte, eine explizite Regelung dieser Gentests vor. Ganz en passant versucht die Bundesregierung hier - ähnlich wie bei anderen Sondergesetzen in der Ausländerpolitik - eine Politik mit zweierlei Maß festzuschreiben.
Grundsätzlich ist es Anliegen des Gendiagnostik-Gesetzes, die individuellen Grundrechte auf Schutz der genetischen Daten und Proben zu garantieren. Im Zentrum des Gesetzes steht das Ziel, Menschen in Situationen der Abhängigkeit wie am Arbeitsplatz oder beim Abschluss einer Versicherung davor zu schützen, dass Dritte - also ArbeitgeberInnen oder Versicherungen - einen Zugriff auf diese sehr sensiblen persönlichen Daten bekommen.
Umso empörender ist es, dass Paragraph 17, Absatz 8, des Gesetzentwurfes genau diesen grundsätzlichen Schutz für Menschen ohne deutschen Pass, die sich ebenfalls in einer abhängigen Situation befinden, - diesmal von Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen des deutschen Staates - nicht bietet. Ganz im Gegenteil: Zu allem Überfluss setzt der aktuelle Gesetzentwurf sogar in diesen Fällen Rechte außer Kraft, die bei Gentests sonst gelten sollen: So wird AntragstellerInnen von Pässen und Visa kein Recht zugestanden, das Testergebnis jederzeit wieder vernichten lassen zu können. Und: Die Behörden können laut Gesetz diese Testergebnisse sogar zur Strafverfolgung weiterleiten. Eine an das Gesetz angehängte Begründung legt nahe: Ein negatives Testergebnis könnte als der strafbare Versuch gewertet werden, „sich oder anderen durch unrichtige Angaben einen Aufenthaltstitel zu verschaffen“.
Diese Argumentation widerspricht fundamental der gesellschaftlichen Realität von Familien, wie sie für Deutsche längst anerkannt ist. Die Vorstellung, Familien setzten sich immer aus genetisch verwandten Mitgliedern zusammen, ist auch mit Blick auf die deutsche Gesetzgebung überholt. So ermöglicht es das am 1. April 2008 in Kraft getretene „Gesetz zur Klärung von Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren“ gerade, dass die Vaterschaft auch anerkannt bleiben kann, wenn eine genetische Untersuchung ergibt, dass ein Vater nicht biologisch mit seinem Kind verwandt ist.
Das Gen-ethische Netzwerk hat Flüchtlingsräte und AnwältInnenvereinigungen auf das Gendiagnostik-Gesetz aufmerksam gemacht und ruft dazu auf, gegen den § 17, Abs. 8 zu protestieren.
Keine Sonderregelungen bei Gentests für MigrantInnen!