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Quellenangabe:
Abschiebeanhörungen mit EU-Geldern finanziert (vom 17.02.2009),
URL: http://no-racism.net/article/2822/, besucht am 21.11.2024

[17. Feb 2009]

Abschiebeanhörungen mit EU-Geldern finanziert

Wenn es ohnehin nicht möglich ist, auf legalem Weg hierher zu flüchten, wozu benötigen Flüchtlinge dann Ausweispapiere? Über die Rolle Deutschlands bei Sammelanhörungen.

Die fehlenden Identitätsnachweise sind tatsächlich ein Problem - allerdings für die deutschen Behörden (ebenso wie die anderer EU-Staaten, Anm. no-racism.net). Wenn nach einiger Zeit die Abschiebung angedroht werden soll, ist sie ohne Dokumente nicht möglich: Welcher Staat nimmt jemanden ohne jegliche Papiere auf? Daher muss Flüchtlingen und Migrant_innen zunächst eine Identität verschafft werden. Mehrtägige Veranstaltungen, bei denen Flüchtlinge zu diesem Zweck zwangsweise Vertreter_innen ihrer (vermeintlichen) Herkunftsstaaten vorgeführt werden, sind keine Seltenheit.

Aufgaben wie die Beschaffung von Passersatzpapieren oder Abschiebungen sind von den Bundesländern nach und nach zentralen Behörden übertragen worden. Um Passersatzpapiere für Abschiebungen zu beschaffen, haben diese zentralen Stellen - in Nordrhein-Westfalen und einigen anderen Bundesländern die Zentralen Ausländerbehörden - in den letzten Jahren immer häufiger so genannte Sammelanhörungen organisiert.

Bei solchen Abschiebeanhörungen werden Flüchtlinge und Migrant_innen aus dem gesamten Bundesgebiet zwangsweise Botschaftsangehörigen oder Delegationen aus ihren (angeblichen) Herkunftsländern vorgeführt. Diese bestätigen dann gegen stattliche Geldsummen, es handele sich um "ihre" Staatsangehörigen, und stellen Papiere für die Abschiebung aus. Auch Flüchtlinge, die während ihrer Anhörung schweigen oder aus einem anderen Land stammen, werden so schon einmal zu Mitbürger_innen der Botschaftsangehörigen oder Delegationsmitglieder.

Für Aufsehen sorgte dabei unter anderem das Treiben einer - aus Mitarbeiter_innen verschiedener Ministerien zusammengesetzten - dubiosen Delegation aus Guinea, die Anhörungen in mehreren Städten durchführte. Über den ersten Auftritt der Delegation in Hamburg berichtete 2005 der dortige Flüchtlingsrat: "Die Delegation (z.T. versteckt hinter dunklen Sonnenbrillen) weigerte sich, sich vorzustellen, Flüchtlinge wurden von bewaffneter Polizei bis auf die Unterhose durchsucht, und Rechtsanwälte erhielten Redeverbot." Wie nach Anhörungen in Dortmund im Jahr 2006 von Flüchtlingen aus Guinea erklärt wurde, war der Leiter der Delegation in Guinea selbst als Schleuser bekannt. Er beschaffte ihnen dort gefälschte Papiere, brachte sie nach Europa und nahm ihnen die Papiere wieder ab, sobald der "Zielort" erreicht war. Dieser Vorwurf, der normalerweise ein sicherer Anlass für die Hochstilisierung zum Skandal und die Behauptung einer Nähe zur organisierten Kriminalität wäre, führte jedoch nicht dazu, dass die deutschen Behörden die Gültigkeit der von der Delegation ausgestellten Papiere infrage gestellt hätten. Allerdings hat Guinea selbst nach den Skandalen der Vergangenheit zunächst einen Rücknahmestopp verhängt.

Da die Behörden jedoch auf ihre guten Abschiebekontakte nicht verzichten wollten, reisten Mitarbeiter der Dortmunder und Hamburger Ausländerbehörden im Sommer eigens nach Guinea, um die Kooperation mit den dortigen Stellen wieder zu verbessern. Dort haben sie offenbar auch Dokumente für Abschiebungen gekauft. Der Leiter der Zentralen Ausländerbehörde Dortmund bestätigte schließlich gegenüber der Zeitung Jungle World, dass es in Guinea die "Möglichkeit gegeben" habe, gegen Bezahlung entsprechende Papiere zu beschaffen. Die Dokumente seien von zwei Beamten der guineischen Einreisebehörde ausgestellt worden, die zuvor auch an Flüchtlingsanhörungen in Deutschland beteiligt waren.(1)


Bundespolizei "innovativ" bei Abschiebungen


Bei der Europäisierung dieses Verfahrens, Flüchtlinge von Vertreter_innen der Herkunftsländer "identifizieren" zu lassen, versucht nun die deutsche Bundespolizei, eine wichtige Rolle übernehmen. Das von ihr initiierte Projekt "Identifizierung und Rückführung" zielt auf die Einladung weiterer Delegationen aus einer Reihe von Herkunftsländern; am Ende soll die Organisierung von Sammelabschiebungen der bei den entsprechenden Anhörungen Identifizierten stehen. 3,3 Mio. Euro sind - bei einer relativ kurzen Laufzeit bis Anfang 2009 - für das Projekt veranschlagt. Davon werden ungefähr 1,9 Mio. Euro im Rahmen des so genannten RETURN-Programms für "vorbereitende Maßnahmen der Rückkehr" von der EU getragen. Daher sitzt nun bei dem aktuellen "Rückführungsprojekt" der Bundespolizei nicht nur eine Reihe anderer europäischer Länder mit am Tisch, sondern auch die EU-Agentur Frontex, Koordinatorin der europaweiten Flüchtlingsabwehr, ist "aktiv in das Projekt eingebunden".(2)

Offenbar beweist die mögliche europaweite Verankerung von Vorführungen vor dubiosen Vertreter_innen der Herkunftsstaaten Innovationsgeist: Nach den Kriterien für die Mittelvergabe unter dem RETURN-Programm wird verlangt, dass die Maßnahmen "vom Konzept und der Durchführung her innovativ" sind. Die Bundespolizei erhielt mehr Geld als jeder andere Antragsteller.

Auch die Ausländerbehörden arbeiten hier gern Hand in Hand mit der Bundespolizei: Die im Rahmen des Projekts vorgesehene "Bereisung von Zielstaaten" bescherte dem Leiter der Dortmunder Zentralen Ausländerbehörde bereits eine Dienstreise nach Ghana.


Europäischer Druck und Geld für die Botschaften


Die Herkunftsländer stehen dabei längst unter starkem europäischem Druck: Schon 2002 forderte der Europäische Rat (also das Treffen der Staats- und Regierungschefs, das im Allgemeinen als "EU-Gipfel" bezeichnet wird), "dass in alle künftigen Kooperations- oder Assoziationsabkommen bzw. vergleichbaren Abkommen, die die Europäische Union oder die Europäische Gemeinschaft mit gleich welchem Land schließt, eine Klausel über die gemeinsame Kontrolle der Migrationsströme sowie über die obligatorische Rückübernahme ... aufgenommen wird. ... Eine unzureichende Zusammenarbeit seitens eines Landes könnte einer Intensivierung der Beziehungen zwischen dem betreffenden Land und der Union abträglich sein."

So arbeiten die Botschaften der Herkunftsländer teilweise mit den deutschen Behörden zusammen, um die Abschiebung ihrer (vermeintlichen) Staatsangehörigen zu ermöglichen. Auch finanzielle Interessen der Botschaftsangehörigen an den Geldern, die für solche Dienstleistungen gezahlt werden, spielen dabei sicherlich eine Rolle. Bundesweit bekannt geworden sind mittlerweile die Wanderabschiebeanhörungen durch Angehörige der Botschaft Nigerias, die fast jeden Monat jeweils in einem anderen Bundesland stattfinden: Regelmäßig kommt eine Vielzahl der Vorgeführten nach eigenen Angaben aus anderen afrikanischen Staaten. Erst kürzlich machte ein politischer Flüchtling aus Benin öffentlich, dass die deutschen Behörden offenbar die Absicht haben, ihn nach Nigeria abzuschieben: Er sei zu einer Anhörung durch Angehörige der nigerianischen Botschaft vorgeladen, obwohl er weder aus Nigeria komme noch dort Verwandtschaft habe.(3)

Solche Abschiebeanhörungen sind allerdings auch immer wieder Anlass für Protest und Widerstand gewesen; viele Betroffene boykottieren solche Termine trotz der Androhung von Sanktionen. Über die Proteste gegen Anhörungen durch eine Delegation aus Sierra-Leone, die im September in Hamburg stattfanden, wurde selbst in der sierra-leonischen Presse ausführlich berichtet.(4)




Anmerkungen:


(1) http://jungle-world.com/artikel/2008/43/27229.html
(2)www.bundespolizei.de/nn_251822/DE/Home/06__Presse/BUNDESPOLIZEI/2007__04__pdf,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/2007_04_pdf.pdf
(3) http://thevoiceforum.org/node/978
(4) http://www.fluechtlingsrat-hamburg.de/content/ab_150908_Abschiebeanhoerung_Sierra_Leone.html

Dieser Bericht erschien zuerst am 26. Nov 2008 auf :: de.indymedia.org