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Quellenangabe:
Prozessbericht vom Do, 14. März 2002 (vom 14.03.2002),
URL: http://no-racism.net/article/286/, besucht am 23.12.2024

[14. Mar 2002]

Prozessbericht vom Do, 14. März 2002

Teil 6: Vernehmung des ehemaligen Innenministers Einem

Die Anwesenden:
Richter Fiala, Zweitrichter, 2 SchÌffen, 2 ErsatzschÌffInnen, Staatsanwalt, Rechtsanwalt Zanger als Vertreter der Kinder und der Verlassenschaft von Marcus Omofuma, die RechtsanwÀlte der Angeklagten Rifaat und Ofner, die Angeklagten B., R., und K. sowie Presse und Publikum mit ZÀhlkarten.


Ex-Innenminister Caspar Einem

Nach Ex-Innenminister Franz Löschnak (SPÖ), ist an diesem 6. Prozesstag ein weiterer ehemaliger Innenminister als Zeuge geladen: Caspar Einem (ebenfalls SPÖ). Er war von April 1995 bis Ende Jänner 1997 Innenminister Österreichs.

Schwerpunkt der Befragung war, inwieweit Einem von der Praxis des Mundverklebens bei sogenannten "Problemabschiebungen" wusste.
Auf die Frage des Richters, wann er zum ersten Mal gehört habe, dass es bei "Problemabschiebungen" zum Mundverkleben komme, sagte Einem, dass er dies 1995 aus einem Bericht des Antifolterkommitees beim Europarat erfahren hatte. In diesem Bericht wurden Misshandlungsvorwürfe gegen Österreichische Beamte aus dem Jahre 1993 behandelt. Im Innenministerium wurde recherchiert, nach Angaben Einems konnten die Vorwürfe jedoch nicht bestätigt werden. 1997 beschäftigte sich der Unabhängige Verwaltungssenat Steiermark mit der Abschiebepraxis, er hätte jedoch nie eine schriftliche Stellungnahme erhalten.

Laut Einem wurde der Bericht des Antifolterkommitees auch im Innenministerium besprochen. Seiner Meinung nach war die Benützung von Klebebändern zum Fesseln erlaubt, jedoch nicht zum Mundverkleben. "Ich hätte es nicht als Notwehrmaßnahme akzeptiert". Es erfolgten keine Handlungen, da der einzige konkrete Fall aus dem Jahr 1993 stammte. "Man ist als Herr über 33.000 Beamte nicht in der Lage, alles zu recherchieren". Einem räumte ein, dass während seiner Amtszeit keine Vorschriften für "Problemabschiebungen" existierten. "Mir war das nicht bewusst" (gemeint war die Praxis des Mundverklebens). Es wäre nötig gewesen, Vorschriften aufzustellen, in der Grundausbildung seien auch Hinweise auf die Menschenrechtskonvention notwendig. "Polizisten haben kein Handbuch bei sich, dass für alle Eventualfälle gilt". Die innere Kultur der jeweiligen Fachbereiche sei unterschiedlich. Ein weiteres Grundproblem sei das Alleingelassen-Werden. Bei Problemlösungen könnten maßnahmen auf die einzelnen Beamten zurückfallen.

Ein Beamter der Fremdenpolizei hatte ausgesagt, dass Einem Anfang 95 ein Bild vorgelegt worden war, das einen Schwarzafrikaner mit verklebtem Mund zeigte. Einem konnte dies nicht bestätigen.

Zur Rechtssprechung der Bundesasylämter meinte Einem: "Die Frage ist, wie man überhaupt zu Abschiebungen steht - eine falsche Asylentscheidung kann zum Tod führen. Das Bundesasylamt muss sachgerecht und sensibel entscheiden". Er gab an, dass er dies durch Personalentscheidungen zu unterstützen versucht hatte.
Zur allgemeinen Vorgangsweise der Fremdenpolizei: "Es konnte nicht darum gehen, dass um jeden Preis abgeschoben wird". Die Mittel müssten ausgewogen sein. Der Job der Fremdenpolizisten sei "undankbar und schwierig".
Anfang der 90er Jahre kam nach Angaben Einems im Innenministerium Angst vor einer starken Einwanderung nach Österreich auf.
Bei einem Besuch während seiner Amtszeit im Fremdenpolizeilichen Büro in der Wiener Wasagasse sei ihm eine "merkwürdige Einstellung" gegenüber Rechtsanwältinnen und Menschenrechtsorganisationen aufgefallen. Es versuchte dies zu ändern - das gestaltete sich schwierig. Auch sogenannte "Problemabschiebungen" wurden besprochen - nach Angaben der Beamten wurden Menschen, die sich im Flugzeug gegen die Abschiebung zur Wehr setzen, nicht abgeschoben.

Rechtsanwalt Zanger fragte den Zeugen, ob es Schwierigkeiten beim Informationsfluss im Innenministerium gegeben hatte. Einem gab an, dass manche im Innenressort Schwierigkeiten hatten, sich auf ihn umzustellen, ein Hauptproblem sei der "Umgang mit Ausländern" gewesen. Weiters sei politisches Bewusstsein im Land wichtig, dass nicht jedeR der/die komme "ein Gauner" sei. Abschiebungen müssten bei StraffÀlligkeit oder Ablehnung des Asylantrages durchgeführt werden. Erst nach seiner Amtszeit hätte er erfahren, dass ihm wegen seiner anderen Amtsauffassung einige Informationen nicht zugeführt worden waren.

Rechtsanwalt Rifaat: "Wann sind sie zum ersten Mal mit dem Begriff Problemabschiebung in BerÃŒhrung gekommen?". Einem: den Begriff "Problemabschiebung" hätte es damals noch nicht gegeben. Frage: "Was waren schwierige Abschiebungen für Sie?". Einem: wenn Staaten ihre StaatsbürgerInnen nicht "zurücknehmen", wenn Dokumente verweigert würden. "Gegenwehr, Handgreiflichkeiten, Bisse, Kratzen, Spucken".
Auf die Frage, was er sich zur technischen und praktischen DurchFührung von Abschiebungen gedacht hätte, meine Einem, dass diese Frage nicht an den Minister herangetragen wurde.
Rifaat: "Hat es konkrete Anhaltspunkte gegeben, dass es falsche Entscheidungen der Bundesasylämter gegeben hat?". Einem: Er hätte danach getrachtet, dass die Behörde ausgewogen entscheidet, sie sollte nicht Agent derjenigen sein, "die niemanden reinlassen wollen".

Rechtsanwalt Ofner zitierte aus dem Bericht des Menschenrechtsbeirats zu sogenannten "Problemabschiebungen". Darin wurde die Frage gestellt, warum es keine Richtlinien für Abschiebungen gegeben hatte.
Einem sagte, dass er maßnahmen im Ausbildungsbereich, wie beispielsweise gemeinsame Seminare von Polizei und afro-asiatischem Institut ins Leben gerufen hatte. Auch die Arbeitssituation in den Schubgefängnissen (Polizeigefangenenhäusern) sei schlecht gewesen. Er trat für neue Formen der Betreuung ein.
Es wäre auch möglich, dass sich die Änderung der Einstellung zum Amt des Innenministers zwischen Löschnak und Einem nicht bis in die unteren Etagen im Innenministerium durchgesprochen habe.

Ofner wollte dann wieder seine Diffamierungsversuche gegen Marcus Omofuma loswerden ("zwei Identitäten, unterschiedliche Angaben zur Staatsbürgerschaft"), Richter Fiala ließ ihn nicht zu Wort kommen.

Zum Schluss gab der Richter die durchschnittlichen Kosten für Abschiebungen bekannt: ca. 4.400,-- Euro für "normale" Abschiebungen, ca. 47.000 Euro für sogenannte "Problemabschiebungen".

Ende des Prozesstages: 10 Uhr 30