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Quellenangabe:
Für eine Gesellschaft frei von Mord und Todschlag (vom 08.04.2009),
URL: http://no-racism.net/article/2894/, besucht am 24.04.2024

[08. Apr 2009]

Für eine Gesellschaft frei von Mord und Todschlag

Am 14. April 2009 findet um 17:30 vor der Reinoldikirche in Dortmund eine Kundgebung in Gedenken an Dominique Koumadio statt. Dieser wurde am 14. April 2006 von der Dortmunder Polizei erschossen.

"...Wir haben erlebt, wie unser Land im
Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen
aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen,
dass das Recht mit dem Stärkeren ist.
Wir werden die Massaker nicht vergessen,
in denen so viele umgekommen sind,
und ebenso wenig die Zellen, in die
jene geworfen wurden, die sich einem Regime
der Unterdrückung und Ausbeutung
nicht unterwerfen wollten."

aus der :: Rede Patrice Lumumbas
am kongolesischen Unabhängigkeitstag

Ein Jahr, drei Monate und sieben Tage nach dem Tod Oury Jalloh starb Dominique Koumadio durch die Schüsse der Polizei in Dortmund. Dominique, 23 Jahre alt, musste in jungen Jahren Kongo verlassen. Kongos Menschen opferten unter der Herrschaft Leopolds acht Millionen Menschen für den Wohlstand der Herrschaftselite Europas. Die abgehakten Hände, die jeder Soldat für jeden verschossene Kugel bringen musste, werden heute in Belgien aus Schokolade vergossen als Spezialität verkauft. Nach der Befreiung von den Kolonialherrschern, wurde der von den Kongolesen demokratisch gewählte Präsident Patrice Lumumba ermordet. Danach geriet der Kongo zum Spielball der dominierenden Mächte der Welt und ihre Handlanger in der Region. Das ist das Land dem Dominique entfloh. Wäre er nach Deutschland gekommen, wenn in Kongo nicht Krieg mit modernsten Waffen für Coltan, Kupfer und Gold geführt würden?

Dominique kam als 15 jähriger nach Deutschland. Er beantragte in der Bundesrepublik Asyl. Sieben Jahre lang musste er warten bis er sicher war, dass er hier leben kann und sich ein Leben aufbauen kann. In der Zwischenzeit jedoch musste er durch die ganzen Mühlen der Bürokratie, durch die ganzen Erniedrigungen der Behörden, die Menschen nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit bewerten. Er war konfrontiert mit der ganzen Härte einer Gesetzgebung und Politik, die Menschen aus den dominierten Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas als minderwertig abstuft. In Gesetz gegossen ist der Rassismus, in dem Residenzpflicht und Duldung dich täglich zermürben, in dem du isoliert bist und nie weißt, wo du deine Ruhe findest. In dem du ständig Angst hast vor Abschiebung in den Horror, aus dem du geflohen bist, sei er Krieg, Folter, Hunger oder Krankheit. Am Rande des Existenzminimums hält das System der Ausgrenzung dich in Armut.

In solch einem Kontext lebte Dominique Koumadio mit der ganzen Hoffnung eines Jugendlichen, welche geschürt wird durch den Schein, den dir die Werbung und die Gesellschaft bieten. Er reimte und sang. Er war bekannt in der HipHop-Szene des Ruhrgebiets. Er hatte auch viele Freunde und Freundinnen, er war in einer Theatergruppe und ging zur Kirchengemeinde. Eine Lehrerin beschreibt ihn als sehr fleißigen und mitfühlenden Jungen. Eine Freundin, die mit ihm in der Theatergruppe war, nennt uns seine ganze Liebe. So lernten wir Dominique nach seinem Tode durch die Erzählungen seiner zahlreichen Freundinnen und Freunde kennen. Doch nie hatten wir die Chance ihm bei einem seiner Konzerte und Gigs zuzuhören. Sein kurzes Leben wurde beendet durch zwei Schüsse. Was war geschehen?

Nach dem Dominique schließlich das offiziell Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik bekam und seinen Schulabschluss machen wollte, damit er sich selbst ein Leben aufbauen kann, kam er eines Tages in finanzielle Schwierigkeiten. Das, was am 14. April 2006 in der Bayrischen Strasse in Dortmund geschah, können wir nur anhand der uns bekannten Zeugenaussagen konstruieren, letztendlich spielt der Verlauf aber keine Rolle, aber dazu später. Dominique ging zum Kiosk in der Nähe seiner Wohnung in Dortmund Eving, in der obengenannten Strasse. Er bat, den ihm bekannten Kioskbesitzer, ob er ihm Geld leihen kann. Dieser verweigert seine Bitte. Dominique zuckt ein Messer und sticht damit auf die Theke. Er selbst war auf der Strasse, der Kioskbesitzer im Kiosk. Letzterer schließt die Fenster und ruft die Polizei. Als der Streifenwagen eintrifft, besteht keine direkte Gefahr. Zwei Beamte sitzen vorne im wagen, eine Beamtin hinten. Der Fahrer steigt aus und fordert Dominique auf, das Messer fallen zu lassen. Laut einigen Zeugenaussagen hatte er bereits seine Pistole gezogen. Dominique rennt auf den Wagen zu und zerkratzt auf der anderen Seite den Wagen und läuft wieder einige Schritte zurück. Der andere Beamte steigt aus, geht um den Wagen und stellt sich neben dem anderen Beamten. Beide fordern Dominique auf das Messer fallen zu lassen. Er tut es nicht. Es fallen zwei Schüsse. Doch ist nicht klar warum. Die Zeugenaussagen widersprechen sich, aber in einem stimmen sie alle über ein: Es waren einige Meter Abstand zwischen Dominique und den Polizisten. Der eine Schuss trifft ihn am Bein, das andere geht ins Herz. Dominique stirbt.

Die Staatsanwaltschaft in Dortmund und später in Hamm eröffnen kein Verfahren gegen die beteiligten Polizisten, weil sie deren Tat als Notwehr einstufen. Jede und Jeder, die oder der die Geschichte hört, muss sich fragen, warum die Polizisten nicht alle zu ihnen stehende Mittel einsetzen, um Dominique zu beruhigen, oder ihn zu bewältigen und ihm das Messer zu entwenden. Der Beamte, der den Schuss abgab, war für solche Situationen ausgebildet. Er und der andere Beamte hätten nicht aussteigen müssen. Sie taten es, aber sie hatten andere Mittel: Schlagstöcke, Pfefferspray und eine Ausbildung, die sie für solche Situation vorbereitet. Doch einer der Beamten schießt. Nicht einmal und nicht nur ins Bein, nein er feuert auch einen zweiten Schuss aus einigen Metern in Dominiques Herz. Ist dies Selbstverteidigung?

Wir können nicht aufklären, warum Dominique starb und welche Motive der Polizist hatte, der seinen Tod billigend in Kauf nahm. Einige der Hauptzeugen wollten nicht mehr reden. Es wurde kein Verfahren eröffnet und alle rechtlichen Versuche der Schwester doch ein Verfahren zu fordern, scheiterten. Schon kurz nach dem Tode Dominiques wollte die Staatsanwaltschaft sie einschüchtern und zweifelte daran, dass sie Dominiques Schwester sei. In ihrer letzten Ablehnung, der Ablehnung des Antrages auf gerichtliche Entscheidung, verwirft das Oberlandesgericht Hamm nach Anhörung des Generalstaatsanwalts den Antrag als unzulässig. In langen Formulierungen wird in dem Beschluss des Gerichts erklärt, dass die Schwester ihre Verletzteneigenschaft nicht dargetan habe und es wird daran gezweifelt, dass sie Dominiques Schwester war und ist. Diese Taktik ist uns auch aus dem Fall Oury Jallohs bekannt. Damit die Familie Jalloh nicht als Nebenkläger auftreten kann, zweifelte die Staatsanwaltschaft Dessaus lange Zeit daran, ob die Mutter Jallohs tatsächlich seine Mutter sei. Sie hatten aber keine Probleme gehabt, seine in der Dessauer Polizeizelle Nr. 5 verbrannten Leiche der Familie nach Guinea zu schicken. Dass neben der Schwester von Dominique viele Menschen ein Interesse an der Aufklärung haben, spielt keine Rolle. Es geht darum, dass kein Mensch das Gewaltmonopol des Staates hinterfragt, auch wenn der Staatsapparat Jugendliche tötet, oder Menschen im Gewahrsam verbrennt, das Sterben der Menschen bei Abschiebungen bewusst hinnimmt oder wie im Hagener Polizeigewahrsam durch falsche Fesselung den Tod der Menschen in Kauf nimmt.

"Der Hagener Adem Özdamar starb im Februar 2008, nachdem Beamte ihn auf dem Bauch liegend mit Hand- und Fußfesseln fixiert hatten. Özdamar hatte die Polizei gerufen, weil er unter Angstzuständen litt. Der 26-Jährige stand unter Drogen und wurde statt in ein Krankenhaus zur Polizeiwache gebracht. Als er dort randalierte, überwältigten ihn die Polizisten und ließen ihn 20 Minuten gefesselt auf dem Bauch liegen. Ein klarer Fehler, denn eine Dienstanweisung der Polizei schreibt vor, unmittelbar nach der Fesselung den Gefangenen auf den Rücken zu drehen, um den so genannten 'lagebedingten Erstickungstod' zu vermeiden" [:: frontal 21]. Doch das, was uns nach dem Tod Özdamars noch weiter erschütterte, war die Meldung, das bereits in 2007 ein weitere Mensch auf der selben Art und Weise unter den Händen der Hagener Polizei starb. Der Oberstaatsanwalt Rolfes wird sofort in der Frankfurter Rundschau und anderen Nachrichtenagenturen zitiert, es gebe "keine Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Verhalten der Polizei". Später im Juli stellt derselbe Mensch fest [:: frankfurter rundschau]: "Die genaue Todesursache ist nach dem rechtsmedizinischen Gutachten nicht zu klären." Der Franzose entsprach, wie viele schon nach der ersten Meldung vermutet hatten, nicht dem typischen europäischen Bild, der französische Staatsbürger hatte schwarze Haut. Den Tod des Franzosen hatte die Staatsanwaltschaft ein Jahr lang der Öffentlichkeit vorenthalten. Er hatte nach Informationen der Frankfurter Rundschau [s.o.] keine Angehörigen und keinen Anwalt, die Fragen hätten stellen können. Sein Tod wurde von der Polizei zu den Akten gelegt. Genauso wie die Polizei den Tod des Obdachlosen Mario Bichtermann in der Dessauer Polizeizelle zu den Akten getan hatte. Er hatte ebenso wie Oury Jalloh Knochenbrüche im Kopfbereich und wurde vom selben Arzt untersucht, der auch Oury Jalloh untersucht hatte und er starb unter der Aufsicht desselben diensthabenden Polizisten.

Es sind viele Parallelen zwischen den einzelnen Fällen, bei denen Menschen Opfer der Polizeibrutalität wurden. Die meisten von Ihnen sind Migranten oder Afrikaner. Bei dem Versuch, den bulgarischen Asylbewerber Dr. Zdravko Nikolov Dimitrov am 10.12.99 in seiner Wohnung in Braunschweig in Abschiebehaft zu nehmen, wurden von einem Polizeibeamten des Sondereinsatzkommandos lebensgefährliche Schüsse auf Dr. Nikolov abgegeben, die am 21.12.99 zum Tode führten. Er hatte ein Messer und drohte sich selbst umzubringen, warum die Beamten schossen wurde nie geklärt. Der Abgeordnete Schwarzenholz aus Hannover fragte in einer kleinen Anfrage am 17.01.2000 unter anderem:
"Wie erklärt die Landesregierung, dass die angeblich in Notwehrsituation abgegebenen Schüsse nicht so abgegeben wurden, dass es lediglich zu leichteren nicht lebensgefährdenden Verletzungen des Asylbewerbers gekommen wäre? Gab es nach den Erkenntnissen der Landesregierung in der konkreten Situation für die Einsatzkräfte keine andere Möglichkeit, als den Asylbewerber durch Schußwaffeneinsatz tödlich zu verletzen?" [:: proasyl]

Bei all den Fällen, die uns bekannt sind, werden die zentralen Fragen ausgeschlossen und die Vernunft verbannt. Eines haben wir während der Jahre organisiert in der :: Initiative in Gedenken in Oury Jalloh gelernt: Das gesellschaftliche Schweigen zu diesen Fällen muss gebrochen werden, damit nicht wir oder unsere Mitmenschen Opfer werden, damit unsere Kinder nicht gejagt werden, weil sie schwarze Haut haben, oder weil sie arm sind und klauen müssen. Doch damit das Schweigen gebrochen wird, ist eine starke Solidarität notwendig, es ist notwendig, dass wir neugierig und stets fragen und nicht alles hinnehmen, was uns morgens in den Zeitungen präsentiert wird. Wir haben gelernt, dass es ein harter Kampf ist, aber dass er notwendigerweise geführt werden muss. Er muss geführt werden ohne den gesamtgesellschaftlichen Kontext außer Acht zu lassen. Wir müssen die Ursachen der Macht und Gewalt verstehen und die Funktion der Polizei und ihre Aufgaben. Wir müssen uns fragen, ob der Polizist etwas besonderes macht, wenn er einen Menschen tötet, oder ob er in der gleichen Linie handelt, wie ihm der Staat vorgibt, wenn er Menschen mit Brutalität fesselt, knebelt und in Kriegsgebieten abschiebt und sogar das Risiko in Kauf nimmt, das dieser Mensch schon während der Abschiebung stirbt wie im Falle von Aamir Ageeb [:: amir ageeb].

Wir müssen ständig fragen, damit die Morde aufhören. Damit unsere Kinder nicht klauen müssen und sich nicht gegenseitig bekriegen müssen. Und wenn wir fragend und miteinander vorwärtsgehen, vorwärts schreiten in Gedenken an all die uns bekannten Ermordeten und an all die uns nicht bekannten Opfer, und fragen, wie wir unser Leben gestalten müssten, damit wir in eine menschliche Welt leben, werden die Herrschenden zittern und ihre Macht bekommt die Risse und durch die Risse wird uns und anderen noch mehr das bestialische Gesicht offengelegt. Daher ist es wichtig am Falle Dominique Koumadios genauso wie am Falle Oury Jallohs entschlossen den Druck aufrecht zu erhalten, damit die Mörder und Unterstützer sich nicht sicher fühlen.

Eines der Ziele der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh und anderen Gruppen und Organisationen ist es, dass hier in der Bundesrepublik eine unabhängige Kommission entsteht, die sich einschaltet, wenn Menschen durch die Hände von Staatsbeamten umkommen. Eine solche Kommission, müsste ihre eigene kritische Sachverständige und Erfahrungen haben und auch wenn keine Verwandten oder Familienangehörige existieren, müsste sie in der Lage sein, als Nebenklage aufzutreten. Eine solche Kommission müsste logischerweise unabhängig von jeglichem staatlichem Einfluss sein und sie müsste die Opfer und ihre Familien repräsentieren. Für eine solche Kommission müssten wir die notwendigen Diskussionen von unten führen und unsere eigenen Selbstorganisationen stärken und miteinander verbinden. Die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" ist im Aufbau einer solchen unabhängigen Kommission und ruft alle interessierten und kritische Menschen und Organisationen auf, sich an der Arbeit der Kommission mitzuwirken.

Am dritten Todestag von Dominique Koumadio, am 14. April 2009, werden wir wie in den vergangenen Jahren in Dortmund vor der Reinoldikirche Dominique und allen anderen Opfern der Staatsgewalt gedenken. Wir klagen die Mörder in Dessau, Hamburg, Bremen, Aschaffenburg, Hannover und Dortmund an und werden nie aufhören für das Ende aller Morde zusammenzukommen.

B R E A K T H E S I L E N C E

Hoch lebe die Solidarität der Menschen für eine andere Welt
In Gedenken an all die Opfer der Polizeibrutalität
In Gedenken an all die Menschen, die ihr Leben für diese andere Welt opferten.
Kein Vergeben! Kein Vergessen!
Für Aufklärung, Gerechtigkeit in unseren eigenen Gerichte!


Kontakt:
KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen
c/o AZ Wuppertal, Markomannenstr. 3, 42105 Wuppertal
Telefon: 0049 -(0)160 - 2742444
E-Mail: wuppkarawane {ät] yahoo.de
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