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Quellenangabe:
Libyen: Was wurde aus den Zurückgeschobenen? (vom 19.05.2009),
URL: http://no-racism.net/article/2946/, besucht am 24.11.2024

[19. May 2009]

Libyen: Was wurde aus den Zurückgeschobenen?

Auslagerung der Grenzen gleich Auslagerung des Asyls? Macchi, Smalto und Buoncore. Merkt Euch diese drei Namen. So heißen die Schiffe der Guardia di Finanza, die diesen Morgen aus dem Hafen von Gaeta Richtung Tripolis ausgelaufen sind.

Es gab 2 Wochen Übungen mit libyschen Militärs an Bord. Die Schiffe haben 90 Bruttoregistertonnen und sind 27 Meter lang, erreichen eine Geschwindigkeit von 43 Knoten und sind hochseetauglich. Bald werden weitere folgen.

Sie sind der libyschen Marine übergeben worden und dienen zum Rücktransport aller auf See aufgehaltenen MigrantInnen und Flüchtlinge nach Tripolis. Die Mission, für 3 Jahre ausgelegt, hat ihren Sitz in Zuwarah. Dorthin wurden 10 italienische Offiziere entsandt, um die Schiffe in Ordnung zu halten. Cosimo D'Arrigo, Kommandant der Guardia di Finanza, versichert, dass die Einsätze immer "im vollen Respekt der Gesetze und des europäischen und internationalen Rechts" durchgeführt werden. Schade nur, dass gerade im Namen des internationalen Rechts die kollektiven Abschiebungen nach Libyen aus dem Jahr 2005 vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verurteilt wurden. Die Abschiebungen verletzen das Asylrecht und das Verbot der kollektiven Abschiebung in Länder, in denen die Gefahr der Folter besteht, hieß es damals. Und im Namen dieses internationalen Rechts haben sich viele gegen die Zurückweisungen positioniert: der UNCHR, der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nichtregierungsorganisationen, und auch der Vatikan. Leider ohne die Unterstützung der Europäischen Union. Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Jacques Barrot, hat sogar behauptet, dass die Praxis der Zurückweisung auf See in Europa üblich sei. Das Europäische Parlament scheint sich schon voll dem Wahlkampf hingegeben zu haben und ging nicht über eine dringende Anfrage von Gerard Deprez, Präsident des Ausschusses für die Grundfreiheiten, an Barrot. Auch von einer Demokratischen Partei ist wenig zu erwarten, Fassino spricht von der Legitimität der Abschiebungen. Was den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof betrifft bleibt abzuwarten was passiert. Die AntragstellerInnen, die nach Libyen zurückgewiesen wurden, sind dort im Gefängnis und haben keinen Zugang zu AnwältInnen. Trotzdem hat es Anwalt Anton Giulio Lana, Mitglied einer italienischen Vereinigung mit Namen Unità Forense und Gründungmitglied des Italienischen Flüchtlingsrat bekannt gegeben, dass er 24 Fälle der Zurückgeschobenen vertritt, und dass er Klage vorm Europäischen Gerichtshof in Straßburg einreichen wird.

Inzwischen sind aber schon 557 MigrantInnen zwischen dem 7. und dem 10. Mai nach Libyen geschafft worden. Nach der ersten Zurückweisung von 227 Personnen am 7. Mai wurden weitere 77 von einem Schlepper einer Ölplattform der italienischen Firma ENI am 8. Mai nach Tripolis gebracht, weitere 213 wurden am Sonntag, den 10. Mai zurückgebracht. Die meisten von ihnen kommen aus Mali, der Elfenbeinküste, Ghana, Bangladesh, Marokko und Tunesien. Darunter sind 89 Frauen, drei von ihnen schwanger, und 2 Kinder. Mindestens 20 sind politische Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia.

Die Frauen wurden ins Frauenlager nach Zawiyah, im Osten von Tripolis, gebracht, gemeinsam mit ihren Ehemännern, so wie es die IOM von den libyschen Behörden gefordert hat. Eine Frau wurde in Tripolis ins Krankenhaus gebracht. Die Männer hingegen wurden zum Teil nach El Qwaa und zum Teil nach Tuaisha südlich von Tripolis gebracht. Guido Ruotolo, Korrespondent der Zeitung "La Stampa" durfte das Lager Tuaisha besuchen, das sich noch im Bau befindet. Es soll das alte und berüchtigte Gefängnis Fellah ersetzen, das abgerissen wurde, um Tripolis einen neuen architektonischen Style zu geben. Die Forografien (siehe :: fortresseurope.blogspot.com) zeigen die gute Seite. Aber sie lassen die unwürdige Situation, in der die MigrantInnen in anderen Lagern leben müssen, nicht erkennen, denn deren Tore werden nicht für die ausländische Presse geöffnet.

Aber nicht nur der Putz in Tuaisha scheint neu. Das Innere des Lagers entwickelt sich ebenso. Libyen hat italienische und europäische Mittel für die neuen Lager und für die Abschiebungsflüge akzeptiert. Und nicht nur das. Zum ersten Mal haben es libysche Behörden zugelassen, dass die VertreterInnen von IOM und UNHCR, die seit einigen Jahren in Libyen arbeiten, und jene des Italienischen Flüchtlingsrats CIR bei Ankunft auf der Mole zugegen waren. Der CIR wird Ende Mai mit einem Rechercheprojekt in Libyen beginnen. Dazu könnte sich bald noch der Libysche rote Halbmond (wie Rotes Kreuz) gesellen, um eine gesundheitliche Versorgung an der Mole zu garantieren. Die Auslagerung der Grenzkontrollen ist längst Realität. Und der nächste Schritt wird die Auslagerung des Asylrechts sein.

Der libysche Botschafter in Italien, Hafed Gaddur, hat es klar geagt: Libyen überlegt, ob es die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, das wäre der erste Schritt. Vor einigen Tagen hat der UNCHR Italien angefragt, zurückgewiesene Flüchtlinge aus Libyen aufzunehmen. Der Vorsitzende der Kammer Gianfranco Fini schlug daraufhin vor, die Identifizierung doch in libyschen Lagern vorzunehmen. Die Idee scheint auch Innenminister Maroni nicht zu missfallen, der das Ganze jedoch auf europäischen Niveau hebt: "Ich möchte die Mechanismen genau festlegen, nicht dass man in Libyen das Asyl anerkennt und ganz Europa muss sich dann darum kümmern." Oder die ganze Europäische Union nimmt an einem Resettlement-Programm teil, also der Aufnahme von in Libyen anerkannten Flüchtlingen, wie schon einmal in 2008 mit Flüchtlingen aus Misratha praktiziert. Darüber wird man am 14. Mai in Rom mit der UNCHR-Vertreterin in Italien, Laurence Jolles, diskutieren. Ein wichtiges, aber nicht ausreichendes Ergebnis. Ein gefährliches.

Einerseits öffnet es einen humanitären Weg für die Flüchtlinge, die bis heute gezwungen sind, ihr Leben auf dem Meer zu riskieren, um in Europa Asyl zu beantragen. Andererseits ist es nicht zu akzeptieren, dass die Wartezeit bis zur Anerkennung Jahre dauern könnte und man diese in Haftzentren unter unwürdigen Bedingungen verbringt. Und sicher mit einem niedrigeren Schutzstandard als in Europa.

Aus Misratha erreicht uns aber eine wirklich wichtige Neuigkeit: Im März 2009 wurden ca. 200 der 700 dort inhaftierten EritreerInnen freigelassen, nachdem sie vom UNCHR Tripolis als Flüchtlinge anerkannt wurden. Das ist ein wichtiges Zeichen! Aber auch ein nicht ausreichendes, denn jedeR von ihnen riskiert nun erneut, bei einer Razzia in Tripolis oder vielleicht auf See verhaftet zu werden.

Der Hohe Flüchtlingskommissar Guterres hat klar gesagt: Das Asylrecht gilt auch in iternationalen Gewässern. Die Vereinigung der juristischen Studien zur Immigration ASGI meint dazu, dass die KommandantInnen der Patrouillenboote also nun gewzungen sein müssten, Asylanträge auf See entgegen zu nehmen und die Flüchtlinge nach Italien zu bringen.

Dass die Frage der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes keine Marginalfrage ist, belegen die Zahlen: 75% von den 36.952 in 2008 über See Angelandeten haben einen Asylantrag gestellt. 50% haben einen Schutz erhalten.

Artikel von Gabriele del Grande, in italienischer Sprache auf :: fortresseurope.blogspot.com veröffentlicht (dort mit weiterführenden Links); Übersetzung von Judith Gleitze übernommen von :: borderline-europe.de (15. Mai 2009).