Quellenangabe:
Proteste gegen Internierungslager in Europa (vom 18.07.2009),
URL: http://no-racism.net/article/3022/,
besucht am 22.12.2024
[18. Jul 2009]
Auf dem Noborder Camp in Calais fand ein Workshop zum Widerstand gegen Internierungslager statt, in dem Aktivist_innen über die Situation in verschiedenen Ländern berichteten.
Auffallend sind die Ähnlichkeiten, obwohl es in allen Ländern unterschiedliche Lager gibt und die gesetzliche Höchstdauer der Inhaftierung unterschiedlich ist. Teilweise werden die Lager von privaten Firmen betrieben, doch gemeinsam ist, dass überall schlechte Bedingungen den Alltag bestimmen: Keine rechtliche Unterstützung, kaum medizinische Versorgung und Rassismus sind Kennzeichen der Internierung. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass es überall dort, wo Menschen in Lagern oder Abschiebefängnissen eingesperrt werden, Widerstand auf der Tagesordnung steht. Und auffallend ist, dass der Widerstand in den Lagern, der meist vollkommen isoliert von der Außenwelt stattfindet, viel wirkungsvoller ist als Proteste von Unterstützungsgruppen, deren Aktivitäten meist einen symbolischen Charakter haben. So wurde von Aktivist_innen aus GB berichtet, dass diese in der Szene lange nicht wahrgenommen worden. Denn der Großteil der Aktivist_innen aus dem linksradikalen und anarchistischen Spektrum weiss darüber kaum bescheid - oder ignoriert dies.
Aus Großbritannien wurde über die bereits seit 15 Jahren andauernde Kampagne zur Schließung des Campsfield Detention Center berichtet. Eine Aktivistin bezeichnete die Situation in den Internierungslagern in GB als "die schlimmste Situation in Europa", da es keine Möglichkeit zur rechtlichen Unterstützung und kaum wer eine_n Anwält_in bekommt. Jedoch sollte erwähnt werden, dass die Bedingungen in allen Ländern schlecht sind und die Aussage "bei uns ist es am schlimmsten" oft mit fehlendem Wissen über die Situation in anderen Ländern zu tun hat. Von Aktivist_innen aus London wurde berichtet, dass sie mehrere Aktionen gegen Lager in und um London organisierten bzw. zur Unterstützung von Leuten, die wegen Protesten in Internierungslagern angeklagt wurden.
Die meisten Internierungslager in GB werden von privaten Firmen betreut und Rassismus unter dem Wachpersonal ist weit verbreitet. Derzeit werden mehrere neue Lager gebaut, um eine "Kapazität" von 4.500 Plätzen permanenten zu schaffen. Es gibt in GB keine Beschränkung für Abschiebehaft, da Fälle bekannt sind, in denen Leute bis zu 2 Jahren eingesperrt waren.
In den Lagern kommt es fast permanent zu Hungerstreiks, manchmal auch zu Aufständen. Mehrmals wurden im Rahmen dieser die Lager angezündet und somit unbrauchbar gemacht. Doch geht der Staat mit massiver Repression gegen Aktivist_innen vor und jene Leute, die die Behörden für die Aufstände verantwortlich machen, haben mit Prozessen und langen Haftstrafen zu rechnen.
In Holland kam es in den vergangen Jahren zu zahlreichen Aktionen gegen Abschiebungen und Internierung. Ein Aktivist aus Utrecht berichtete von Kampagnen zur Informierung der Öffentlichkeit über die Situation in den Lagern. Insbesondere Leute, die in der Nähe von diesen wohnen, wissen oft nicht, unter welchen Bedingungen Menschen dort eingesperrt werden. Blockaden und direkte Aktionen wurden organisiert, oder die Besetzung von Dächern der Lager, vor allem um mit den Gefangenen in Kontakt zu kommen und auf deren Situation aufmerksam zu machen. Als weiterer wichtiger wurde die Kontaktierung von Firmen genannt, damit diese nicht mit den Internierungslagern kooperieren, wie zB die lokalen Bäckereien und viele andere.
In Belgien gibt es derzeit 4 Lager, ein 5tes ist in Bau. Es gibt zwar internationale Konventionen, die die Rechte der Gefangenen festschreiben, doch werden diese in der Praxis meist ignoriert. So hat kaum wer rechtliche Unterstützung und schon gar keine_n Anwält_in. Es gibt keine ausreichende medizinische Versorgung und Besuche werden kaum zugelassen und der Kontakt mit den Gefangenen kaum möglich. Die Repression innerhalb der Lager ist sehr groß - insbesondere dann, wenn es zu Aufständen kommt. Die Dauer der Internierung ist zwar auf 8 Monate beschränkt, doch kann diese bei Ablehnung eines Ansuchens auf Aufenthalt oder angeordneter Abschiebung verlängert werden. Bekannt ist, dass manche Menschen 2 Jahre eingesperrt werden. Darüber hinaus kommt es immer wieder zu gewalttätigen Abschiebungen. Das Wachpersonal und die abschiebenden Behörden wurden als sehr rassistisch bezeichnet.
In allen Städten, in denen Abschiebelager existieren, gibt es Gruppen, die Proteste von außen organisieren. Manche Gruppen versuchen, an Informationen in den Lagern zu kommen und diese der Öffentlichkeit zugängig zu machen.
Hier wurde insbesondere über den Aufstand gegen das Abschiebelager in Vincennes berichtet. Dieses bis dahin größte Abschiebelager Frankreichs mit einer "Kapazität" von 290 Plätzen wurde im Juni 2008 vollkommen zerstört und in der Folge einige der Gefangenen mit massiven Anklagen konfrontiert.
Ein Aktivist berichtete von koordinierten Aktionen drinnen und draußen sowie gegen Lager, die gerade neu errichtet werden, die unter anderem die durch den Aufstand von Vicennes zerstörten Plätze wieder zu errichten.
In Österreich unterscheidet sich die Situation insbesondere dadurch von anderen Ländern, da es dort keine Abschiebelager wie in den meisten EU-Ländern gibt, sondern die Leute in Polizeianhaltezentren (PAZ) bis zu 10 Monate festgehalten werden (diese Haft wird als Schubhaft bezeichnet). Die Flüchtlingslager, die existieren, sind zum Großteil offene Lager. Derzeit gibt es Pläne der Regierung, ein eigenes Schubhaftzentrum zu errichten, wobei sich am vorgesehenen Ort insbesondere rechtsextreme und faschistische Parteien dagegen aussprechen und mit einer Steigerung der Kriminalität argumentieren.
Einige NGO's versuchen, Leute in Schubhaft rechtlich zu unterstützen. Gruppen, die regelmäßig direkte Aktionen organisieren, gibt es derzeit keine, jedoch wurde auf Proteste vor mehreren Jahren verwiesen, bei denen mehrere Demonstrationen zu Schubhaftgefängnissen organisiert wurden, um die Leute drinnen zu unterstützen und die Bewohner_innen in der Umgebung der Gefängnisse über die Zustände dort zu informieren. In Einzelfällen waren die Proteste erfolgreich und Leute wurden aus der Schubhaft entlassen. Derzeit gibt es Versuche, wieder eine bessere Vernetzung zu organisieren.
Wie in anderen Ländern haben die Gefangenen kaum Zugang zu rechtlicher Unterstützung und es gibt nur beschränkte Möglichkeiten, über rechtlichen Weg aus der Schubhaft zu kommen. Deshalb sind Hungerstreiks oder Selbstverletzungen die häufigste Widerstandsform, um Haftuntauglichkeit zu erreichen. Viele Leute haben dies bereits mehrere male gemacht, was jedoch mit massiven gesundheitlichen Problemen verbunden ist.
Aktivist_innen aus Barcelona organisieren im Oktober 2009 eine Konferenz, bei der sie Leute aus allen Teilen Europas einladen, um den Widerstand gegen Grenzen und Internierungslager besser zu vernetzen und Informationen auszutauschen. Ein Tag wird sich insbesondere dem Widerstand in Internierungslagern widmen. Der Aufruf in verschiedenen Sprachen und weitere Informationen finden sich bei den unten angegebenen Links.
Die anschließende Diskussion war sehr interessant, wurde jedoch ständig von Leuten gestört, die dachten, dass das noborder Camp von der Polizei gestürmt wird - was sich später als reine Paranoia herausstellte. So wurde nur kurz diskutiert. Kritisiert wurde, dass viele Organisationen vor allem die Inhaftierung von Kindern anprangern, die Inhaftierung allgemein jedoch nicht in Frage stellen.
Darauf anschließend kam es zu einer Diskussion über die Verbindung von Protesten gegen die Internierung von Flüchtlingen und Migrant_innen und genereller Kritik an Gefängnissen. Eingewendet wurde, dass viele Menschen, die Proteste gegen Internierungslager unterstützen nicht verstehen würden, wo der Zusammenhang mit Gefängnissen besteht. Selbstkritisch wurde von Aktivist_innen der Close Campsfield Kampagne erwähnt, dass sie seit 15 Jahren mit dem Slogan "Migration ist kein Verbrechen" argumentieren, dies jedoch mit einer allgemeinen Kritik an Gefängnissen nicht vereinbar ist, da diese dadurch nicht in Frage gestellt werden. Angeregt wurde jedenfalls, dass es wichtig wäre, sich andere Slogans zu überlegen und bessere Kontakte zu Gruppen herzustellen, die Gefängnisse grundsätzlich in Frage stellen.
Ein weitere Punkt der Diskussion war die schlechte Vernetzung einerseits unter Aktivist_innen sowohl innerhalb der einzelnen Länder als auch zwischen den einzelnen Ländern bzw. Städten. Außerdem wissen viele Migrant_innen nicht über die Aktivitäten gegen Lager bescheid, was es erschwert, gemeinsame Strategien zu entwickeln. Weitgehende Einigkeit bestand darüber, dass dem Widerstand innerhalb der Lager viel mehr Aufmerksamkeit zuteil werden muss und das System der Internierung und Abschiebung grundsätzlich in Frage gestellt werden muss, was jedoch nicht von heute auf morgen gelingen wird.
Der Workshop wurde schließlich aufgrund der andauernden Störungen unterbrochen und dann nicht mehr fortgesetzt. Deshalb sei hier noch mal auf die Konferenz von 1. bis 4. Oktober 2009 in Barcelona verwiesen, die die Möglichkeit für Austausch und Vernetzung bietet.
Großbritannien
http://noborders.org.uk
http://london.noborders.org.uk
http://www.closecampsfield.org.uk
http://www.indymedia.org.uk/en/topics/migration
Frankreich:
http://migreurop.org
Kontakt Vicennes Support:
liberte-sans-papiers (at) riseup.net
Österreich:
http://no-racism.net
Holland:
http://indymedia.nl
Italien:
http://www.meltingpot.org
Konferenz in Barcelona:
http://antilager.entodaspartes.net
Artikel von noborder campers, zuerst erschienen am 26. Juni 2009 auf :: at.indymedia.org.