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Quellenangabe:
Sexarbeit in Deutschland: Razzien und drohende Abschiebungen nach Rumänien (vom 29.07.2009),
URL: http://no-racism.net/article/3054/, besucht am 29.03.2024

[29. Jul 2009]

Sexarbeit in Deutschland: Razzien und drohende Abschiebungen nach Rumänien

In Deutschland wird derzeit ein heißes Thema diskutiert: Flatrate-Bordelle. Der Diskussion folgten Razzien, angeblich um die unter "menschen- unwürdigen Zuständen" arbeitenden Frauen zu schützen. Nun teilte die Polizei mit, dass dreißig Sexarbeiter_innen abgeschoben werden sollen.

Am Sonntag, 26. Juli 2009, gab es eine deutschlandweite Razzia gegen sogenannten "Flat-Rate-Bordelle". Um die 700 Polizist_innen und zehn Staatsanwält_innen durchsuchten vier Bordelle, in denen sexuelle Dienstleistungen zum Fixpreis angeboten werden, daher auch der Name. Die Durchsuchungen fanden in in Schönefeld bei Berlin, Wuppertal, Fellbach und Heidelberg statt. In Fellbach und Heidelberg wurden die Betriebe mit Verweis auf hygienische Mängel geschlossen worden. Als Grund für die Durchsuchungen wurde vom Oberstaatsanwalt der Verdacht angegeben, dass die Betreiber_innen ausländische Sexarbeiter_innen beschäftigt und Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen hätten.

Im kleinen Fellbach nahe Stuttgart wurden im Zuge der Razzia zwölf Personen fest und in der Folge die Betreiberin, ein Mitglied der Geschäftsleitung und zwei Beschäftigte in Untersuchungshaft genommen. Die Staatsanwält_innenschaft ermittelt gegen sie wegen "Sozialversicherungsbetrug". Bei der Durchsuchung wurden 200.000 Euro Bargeld sichergestellt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Oberstaatsanwalt Andreas Thul-Epperlein davon spricht, dass alleine in Fellbach ein "Schaden" von rund 200.000 Euro für die Sozialkassen entstanden sei. Ob es sich hier um eine Geldbeschaffungsaktion der Repressionsbehörden handelt?


Die Dopperlmoral der Politiker_innen


In Deutschland wurde vor einigen Jahren die Sittenwidrigkeit aus den Prostitutionsgesetzen gestrichen. Seit damals sollte Sexarbeit mit anderen Berufen gleichgestellt sein, doch trotz Verbesserungen für die Sexarbeiter_innen hat wurde ihre Gleichstellung in der Praxis nie vollzogen. Ein Grund ist die Doppelmoral, die einerseits Sexarbeit akzeptiert und als "notwendiges Übel" begreift, andererseits die Sexarbeiter_innen kriminalisiert und ihrer Rechte beraubt. Einer, bei dem dieses Denken ganz offensichtlich wird, ist der CDU-Politiker und Oberbürger_innenmeister von Fellach, Christoph Palm. Er argumentierte (aus eigener Erfahrung?) gegenüber Medien über Flatrate-Bordelle: "Das Konzept, ein Mal zu bezahlen, dafür unbegrenzte sexuelle Dienstleistungen einzufordern, kann nur auf Basis menschenverachtenden Denkens funktionieren." Es gehe um einen Menschenhandel, diese Form der Sexarbeit dürfe nicht zugelassen werden. Palm fordert deshalb ein Verbot der laut seiner Angabe derzeit 40 bis 50 in Deutschland existierenden "Flatrate"-Bordelle. Dies liegt jedoch nicht unter seinem Einflussbereich.

Sehr wohl hat der CDU Politiker Einfluss auf das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen. Und hier beweist er seinen Einsatz für Menschen- und Frauenrechte. Das Bürger_innenamt hat unter seiner Feder Ausreiseaufforderungen an die Frauen ausgegeben. Sie sollen aus Deutschland ausgewiesen werden. Wie so oft wird das Thema Menschen- bzw. Frauenhandel dazu genutzt, um Sexarbeiter_innen zu kriminalisieren. Es ist offensichtlich, dass es nicht darum geht, Betroffenen von Menschen- bzw. Frauenhandel die notwendigen Rechte zuzugestehen, die ihren Status verbessern und Ausbeutung erschweren bzw. verunmöglichen. Stattdessen wird die Entrechtung fortgesetzt und die plötzlich nicht mehr als "Opfer" angesehenen Frauen sollen außer Landes geschafft werden. Rassismus und Sexismus dienen dazu, um einer scheinheiligen und doppelzüngigen Moralvorstellung Durchbruch zu verschaffen.


'Schluss mit dem Kesseltreiben'


Für Entrüstung sorgte laut Medienberichten vor allem das Angebot von "billigem Sex" und die Werbeslogans der Flatrate-Bordelle, wie: "Sex mit allen Frauen, solange Du willst, so oft Du willst und wie Du willst". Während jene, die ein Verbot dieser Angebote fordern, sich vorgeblich Gedanken über die Frauen machen, die lediglich als Opfer von "Menschenhändler_innen", "Schleuser_innen" und "Zuhälter_innen" wahrgenommen werden, sind es vor allem Sexarbeiter_innen und Betreiber_innen, die die Moralritter_innen auf den Boden der Realität zurückholen.

Mehr als 77 in Flatrate-Bordellen arbeitende Frauen gingen angesichts seit längerer Zeit bestehender Hetze gegen ihre Arbeitsplätze an die Öffentlichkeit und schalteten unter anderem Inserate in der 'Süddeutschen Zeitung' und der 'Frankfurter Rundschau', in denen sie forderten: "Schluss mit dem Kesseltreiben - Kein Verbot von Bordellen / ob mit oder ohne Flatrate". Weiter ist im geschalteten Text zu lesen: "Man bezeichnet und ausländische Prostituierte als 'unbedarfte Frauen', so als seien wir Menschen zweiter Klasse. Niemand von denen, die vorgeben, Frauenrechte zu verteidigen, hat es für notwendig erachtet, gegen solche frauenfeindlichen und rassistischen Äußerungen zu protestieren. Deshalb ergreifen wir in eigener Sache das Wort und erklären: Wir sind sehr wohl in der Lage selbst zu entscheiden, was, wo und wie lange wir unter welchen Bedingungen arbeiten. Wir brauchen weder Belehrungen noch Stimmungsmache, sondern fordern eine sachliche Aueinandersetzung."

Um diese Auseinandersetzung zu führen, wurden zuständige Politiker_innen, Vertreter_innen von Behörden, des "Aktionsbündnisses gegen Sex-Flatrate" und der katholischen Kirche für September 2009 in den "Pussy Club Fellbach" eingeladen. Doch anstatt die Einladung anzunehmen und den Dialog mit den Frauen zu suchen, wie dies beispielsweise eine Sexworkerin und Moderator_in bei sexworker.at machte und einen :: Bericht darüber verfasste, in dem die anmerkt, dass "Flatrate Clubs durchaus eine Berechtigung haben", entschieden sich die selbst ernannten Verteidigerer_innen der Moral für den sog. Holzhammer und die Anwendung von Gewalt - es folgte die oben beschriebene Razzia.

Mittlerweile hat sich eine Initiative "Pro Pussy Club" gegründet und "kämpft für die Erhaltung das Pussy-Clubs, denn es kann nicht sein, dass so etwas verboten werden soll, nur weil einige Leute dagegen sind." Auf dem Blog der Initiative kann eine Unterstützungserklärung für den Pussy Club abgegeben werden, in Zukunft soll es dort weitere Informationen, wie Interviews mit Angestellten und Meinungen von Besucher_innen geben, siehe :: pro-pussy-club.ch.vu.

Laut einer Information im Forum auf sexworker.at haben alle betroffenen Clubs wieder geöffnet. Ebenfalls wird dort eine Presseaussendung der Polizei zitiert: "Der Verdacht der Zwangsprostitution, der gestern noch im Raum stand, hat sich nach den durchgeführten Vernehmungen bislang nicht bestätigt."


Im folgenden dokumentieren wir eine :: Pressemitteilung von Doña Carmen vom 27. Juli 2009:

Sofortige Freilassung der bei Flatrate-Bordellrazzien inhaftierten Personen


Sofortige Freilassung der bei Flatrate-Bordellrazzien inhaftierten Personen

Dona Carmen protestiert gegen das martialische Aufgebot von ueber 700 Polizeibeamten zur Schliessung von zwei Flatratebordellen.

Die weit ueberzogene staatliche Machtdemonstration der Polizeirazzien zielt auf die Einschuechterung des gesamten Prostitutionsgewerbes. Unter dem billigen Vorwand hygienischer Maengel, die in jedem Schwimmbad bei laufendem Betrieb haetten behoben werden koennen, werden im Prostitutionsgewerbe politisch gewollte Betriebsschliessungen verfuegt. Das ist die Existenzvernichtung, die die betroffenen Frauen und Dona Carmen in den geschalteten Zeitungsanzeigen befuerchtet und kritisiert hatten.

Nach unserer Kenntnis sind die Frauen im Pussy-Club Fellbach nicht russischer Nationalitaet; sondern EU-Buergerinnen, die hierzulande per se eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zur selbstaendigen Ausuebung der Prostitution haben.

Die als weiterer Vorwand vorgebrachte Unterstellung einer Hinterziehung von Sozialversicherungsabgaben widerspricht der Tatsache, dass die Finanzbehoerden ueber die Flatrate-Bordellbetreiber Steuerzahlungen fuer selbstaendige Taetigkeit der Frauen nach dem Duesseldorfer Verfahren entgegengenommen haben.

Wieder einmal wird staatliche Macht fuer eine moralisch motivierte Prostitutionsgegnerschaft instrumentalisiert.

Dona Carmen fordert:

- die umgehende Freilassung der Inhaftierten,
- die Wiedereroeffnung der geschlossenen Bordelle
- und ein Ende der Razzienpolitik gegen Prostituierte

Quellen :: sexworker.at, :: donacarmen.de, 27. Juli 2009; :: de.indymedia.org, 29. Juli 2009; div Mainstreampresseberichte.