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Quellenangabe:
Nur ein kleines Stück Wahrheit (vom 07.09.2009),
URL: http://no-racism.net/article/3085/, besucht am 21.11.2024

[07. Sep 2009]

Nur ein kleines Stück Wahrheit

Brandstiftung erwiesen, doch unschuldig an der Katastrophe - das Urteil im Prozess um den Brand im Abschiebegefängnis Schiphol im Oktober 2005 hinterlässt viele Fragezeichen.

Den Gerichtssaal verließ er als freier Mann - wäre das ganze ein Film und Ahmed Isa al- Jabali zur Urteilsverkündung gekommen, es hätte Phrasen wie diese gegeben. Immerhin besagt der Spruch des Amsterdamer Gerichtshofs vom Donnerstag, dass der libysche Asylbewerber nicht weiter in Haft sitzen muss. So sah es zunächst aus - doch dazu später mehr. Über zwei Jahre verbrachte er in niederländischen Justizanstalten. Anderthalb dagegen hielt die Jury für ausreichend, um seine Schuld zu quittieren - am Ausbrechen des Feuers im Abschiebegefängnis auf dem Flughafen Schiphol. Dass al- Jabali im Oktober 2005 mit einer weggeworfenen Zigarette den Brand auslöste, stand für sie außer Frage. Für dessen verheerende Folgen und den Tod von elf seiner Mitgefangenen sei er dagegen nicht verantwortlich. Angesichts fahrlässig gehandhabter Sicherheitsbestimmungen und nicht eingehaltener Bauvorschriften in dem provisorischen Zellenkomplex sprach sie den 29-Jährigen von diesem Verdacht frei.

Von filmkompatiblen Jubelszenen war bei Flüchtlingsaktivist_innen, Freund_innen und Überlebenden dennoch nichts zu sehen. Während des Prozesses hatten sie eine Kampagne für einen völligen Freispruch des Angeklagten geführt und die politische Verantwortung des Staates für die Katastrophe betont. Der Senegalese Chiechk Sako, einer der Insassen des brennenden Zellentrakts, gab zu Protokoll, ihm fehlten die Worte, um seine Wut aus zu drücken. Al- Jabalis Sprecher Jo van der Spek bilanzierte auf einer Pressekonferenz, das Gericht habe lediglich "einen kleinen Teil der Wahrheit" gefunden.


"Wirkliche Fragen" nicht gestellt


Während der Anhörungen hatten mehrere Expert_innen dem Gericht die Ergebnisse ihrer Untersuchungen präsentiert, die über Entstehung und Hergang des Brandes Klarheit verschaffen sollten. Ihre Analysen blieben jedoch widersprüchlich. Zur Urteilsfindung trug lediglich die Variante bei, die die Brandursache eindeutig in der Zelle al- Jabalis verortete. Alle weiteren verwarf die Jury einschließlich der dort hantierten Szenarien als wissenschaftlich unzulässig. Noch schwerer dürfte jedoch die Tatsache wiegen, dass der Prozess inhaltlich nicht über diese technischen Aspekte hinaus ging. Aktivist Vincent de Jong bemängelte, die "wirklichen Fragen" würden in dem Verfahren nicht gestellt. Zudem sei es eigenartig, dass al- Jabali sich als Einziger vor Gericht verantworten müsse, während Gefängnisleitung und Regierung nicht belangt würden.

Es stand indes kaum zu erwarten, dass das Berufungsgericht die politische Dimension des Brands stärker berücksichtigen würde. Kurz nachdem Ahmed Isa al- Jabali 2007 in erster Instanz wegen vorsätzlicher Brandstiftung zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, beschloss die Staatsanwaltschaft nämlich, die zuständigen staatlichen Stellen nicht zu verfolgen, obwohl "sehr viele Dinge nicht in Ordnung" gewesen seien. Auch der Ausspruch vom Donnerstag enthält eine entsprechende Referenz: "Das Gericht weist darauf hin, dass es hiermit kein Urteil über das mögliche Fehlverhalten anderer Personen oder Instanzen abgibt."


Kein Interesse an neuer Untersuchung


Dass die Nachfolgerin der damaligen Regierung - in der mit Sozialminister Piet Hein Donner auch der nach dem Brand zurück getretene Justizminister sitzt - kein Interesse an einer erneuten Untersuchung hat, liegt auf der Hand. Schließlich ist die Katastrophe von Schiphol das Symbol eines parallelen Vollzugssystem, das konsequent aus der regulären Justiz ausgelagert wird. Nicht nur Sicherheitsstandards werden dort unterlaufen, auch Gefangenenrechte wie Besuchszeiten fallen einem verschärften Regime zum Opfer.

Auffallend ist vielmehr der bemerkenswerte Schrumpfungsprozess der Haftstrafe al- Jabalis. Die 2007 festgelegten drei Jahre fand die Staatsanwaltschaft zu gering und ging in Berufung. Aufgrund im Prozess gewonnener neuer Erkenntnisse plädierte sie jedoch nur auf ein Strafmaß von etwas mehr als zwei Jahren. Die Fahrlässigkeiten, die die fatalen Folgen des Brandes begünstigten, sind indes seit langem bekannt. Sollte die Staatsanwaltschaft also doch der Ansicht Rechnung tragen, dass die Ursache nicht geklärt werden kann? Wie kommt schließlich das Gericht dazu, die Forderung der Staatsanwaltschaft noch zu unterbieten, wenn es die Schuld für das Feuer zugleich eindeutig beim Angeklagten sieht? Auch vier Jahre nach dem Brand hat sich der Rauch nicht völlig verzogen.

Al- Jabali konnte seine Freiheit nur für wenige Augenblicke genießen. Den Brand-Prozess verließ er als freier Mann - doch noch am Abend des Urteils wurde Jabali von der Ausländer_innenpolizei abermals in Gewahrsam genommen. Nun geht es um einen ablehnenden Bescheid der Einwanderungsbehörde IND auf seinen Antrag auf ein Bleiberecht aus humanitären Gründen. Seither sitzt er in einem Sondergefängnis in Den Bosch erneut in Abschiebehaft.

Artikel von Tobias Müller, zuerst veröffentlicht am 04. Sep 2009 auf :: freitag.de