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Quellenangabe:
Out of Control! (vom 02.11.2009),
URL: http://no-racism.net/article/3156/, besucht am 21.11.2024

[02. Nov 2009]

Out of Control!

Treffen von AktivistInnen gegen die "europäische Sicherheits- architektur", 19. - 22. November 2009, im Süden von Deutschland.

Die europäische Sicherheitspolitik der letzten 20 Jahre hat an Wirksamkeit sozialer und staatlicher Kontrolle beträchtlich zugenommen. Neue Technologien, Gesetze, Strategien und Richtlinien wurden inmitten des juristischen, polizeilichen und militärischen Apparates verankert. Die Kontrollbehörden verschmelzen, während sich die Linien von Kämpfen dagegen multiplizieren.

Der Einflussbereich staatlicher Kontrolle ist breit und konfliktträchtig: Grenzsicherung und "e-borders", Videoüberwachung "problematischer" Stadtteile, Datenbanken, Reglementierung und Blockade von Telekommunikation, DNA- und biometrische Verfahren, Satelliten und "fliegende Kameras", Repression gegen politische AtivistInnen, "crowd control" bei Gipfelprotesten und alternativer Subkultur.

Widerstand bleibt oft zu punktuell, lokal und spezifisch um sich entfalten zu können. Demonstrationen und direkte Aktionen, Treffen oder juristische Auseinandersetzungen, Reden und Riots: Initiativen, die ein breiteres Echo innerhalb von Bevölkerungen finden und den Durchmarsch zur Sicherheitsgesellschaft verhindern könnten, bleiben selten.

Es gibt viele Kämpfe mit ebensovielen AkteurInnen, aber es gibt wenig Raum für Treffen und Zusammenkunft. Dabei gibt es durchaus die Notwendigkeit, ein gemeinsames Verständnis der "europäischen Sicherheitsarchitektur" zu entwickeln. Überwachung und Kontrolle verlagern sich zunehmend in Richtung präventiver, vorausschauender und vorhersehender Repression. Neue Gesetze, Richtlinien und Verträge legitimieren die Europäischen Union auf dem Weg zur Staatswerdung mit mehr Macht und Institutionen, darunter der "Vertrag von Lissabon" oder das "Stockholm Programm", das Richtlinien für die westliche Sicherheitspolitik der nächsten fünf Jahre entwirft. Die EU will eine neue "Strategie der inneren Sicherheit" etablieren.

Die Versicherheitlichung ist paradox: Während die Offensive im Bereich von neuen Technologien, Repression, Migrationskontrolle oder bürgerlichen Freiheiten quer verläuft, bleibt Widerstand dagegen sowohl allgemein als auch vereinzelt.

Wir rufen zur Annäherung und Zusammenkunft dieses Widerstands auf, mittels Treffen und politischen Kampagnen. Wir wollen die Kämpfe verschiedener Länder und Spektren zueinander bringen.

Wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass Verständigung, Aufbau von Strukturen und verbindliche Zusammenarbeit einige Zeit brauchen. Wir betrachten dieses Projekt demnach als einen langfristigen Prozess, um eine tiefergehende Vorstellung des europäischen Kontrollsystems zu erlangen und Widerstand dagegen zu entwickeln.


Wir schlagen vier verschiedene Ebenen von Workshops vor:


Die Mittel und Werkzeuge
Wir wollen die neuen Technologien analysieren, die zur vorausschauenden Überwachung und Kontrolle angewandt werden: Datenbanken und Netzwerke (darunter SIS, VIS, Europol-IS, Eurosur), Software um jene Daten zu prozessieren und abweichendes Verhalten "vorauszusehen", polizeiliche und militärische Nutzung von Satelliten, "fliegende Kameras", "nicht-tödliche Waffen", Grenzsicherungssysteme, Robotik, Überwachung und Blockade des Internet, governmental hacking ("Online-Durchsuchung"), "Kontrolle von Menschenmassen". Wir wollen neue Richtlinien und Verträge untersuchen, darunter die "Schwedische Initiative", den "Vertrag von Prüm", den "Vertrag von Lissabon", das "Stockholm Programm" und die "EU-Strategie der inneren Sicherheit".

Die Ideen und Konzepte
Nach der Untersuchung von Techniken zur Kontrolle und Einschränkung von Freiheiten wollen wir die Strategien und Theorien verstehen, auf denen die Sicherheitsgesellschaft aufgebaut ist. Mögliche Annäherungen sind eine Militarisierung der Gesellschaft, die auf dem Gedanken der "Verteidigung" basiert, die "Doktrin des revolutionären Krieges" (DGR) zur Bevölkerungskontrolle, die Schaffung einer "Datenbankgesellschaft" oder präventive, vorausschauende Verpolizeilichung gegen "abweichendes Verhalten" zur Normierung und Standardisierung.

Die AkteurInnen
Angesichts des Paradigmenwechsels europäischer Politik der "inneren Sicherheit" wollen wir verstehen, wer an ihrer Errichtung beteiligt ist, wer sie forciert und welche Lobby dahinter steht. Akteure sind beispielsweise politische Parteien, die verschmelzende Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (darunter Siemens, EADS, Finmeccanica, Thales, SAP oder Nexter), "think tanks", das Militär, internationale Vereinigungen wie NATO, EU und G8, aber auch die Institutionen Europol, Eurojust oder Frontex.

Wie können wir den totalitären Kurs europäischer Gesellschaften bekämpfen?
Der Moment ist gekommen, unsere Politik und Aktionen kritisch aufzuarbeiten. Wir schlagen nicht vor, einen der zahlreichen Kämpfe als Priorität oder querliegend zu betrachten und alle anderen zum Mitmachen aufzurufen. Wir wollen uns kollektiv zu effektiven Praktiken gegen die neue europäische Sicherheitsordnung befragen. Wir möchten frühere Erfahrungen austauschen, aber vor allem zu einer Zusammenarbeit und Aktion finden, die geeignet ist eine größere Zahl von Menschen zu integrieren. Gegenwärtige Kämpfe auf europäischer Ebene können uns dabei helfen (darunter nationale und grenzüberschreitende Kampagnen gegen Frontex, Vorratsdatenspeicherung, Datenbanken oder das "Stockholm Programm").

Das Treffen soll die grenzüberschreitende Vernetzung von AktivistInnen fördern und erleichtern.

Wir organisieren diese Zusammenkunft, um die Verschränkung von Politik auf europäischer Ebene und in den 27 Nationalstaaten der EU zu untersuchen. Falls uns ein dieser Überblick gelingt, sind wir sicher dass wir vom Analysieren und Verstehen zum Aufbau und Organisieren von Widerstand gelangen können.

Das Treffen findet vom 19. - 22. November 2009 in Süddeutschland statt. Schreibt uns für mehr Informationen.

Die Vorbereitungsgruppe kümmert sich um Schlafplätze, Essen, Materialien und Vorschläge zur Struktur der Workshops. Wir verfügen über kleine finanzielle Ressourcen, um höhere Reisekosten zu unterstützen. Falls ihr also aus anderen Ländern anreisen wollt, sollte Geld kein Hinderungsgrund sein. Ausgaben für Essen werden unter allen geteilt.

Wenn ihr teilnehmen möchtet, nehmt bitte Kontakt mit uns auf unter outofcontrol (at) riseup.net und informiert uns über eure Bedürfnisse nach Schlafplätzen, Unterstützung für Reisekosten oder andere Wünsche und Vorschläge. Findet mehr Informationen über Veränderungen im Bereich europäischer innerer Sicherheit auf http://stockholm.noblogs.org und http://euro-police.noblogs.org.

Task force "out of control" of the Dissent!-Network