Quellenangabe:
BRD: InnenministerInnen gegen Bleiberecht (vom 29.12.2009),
URL: http://no-racism.net/article/3205/,
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[29. Dec 2009]
Anlässlich der von 2. bis 4. Dezember 2009 tagenden Konferenz der Innen- ministerInnen der Bundesländer der BRD wurde im Rahmen von Protesten uneingeschränktes Bleiberecht für alle gefordert. Beschlossen wurde jedoch nur ein "fauler Kompromiss".
Am 17. November 2006 hatten sich die InnenministerInnen der 16 Bundesländer der BRD im Rahmen ihrer InnenministerInnenkonferenz (IMK) auf eine Regelung für "wirtschaftlich und sozial integrierte ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige" zur Erlangung eines rechtmäßigen Aufenthalts geeinigt. In der Vergangenheit gab es verschiedene einmalige Regelungen, die langjährig geduldeten Menschen einen rechtmäßigen Aufenthalt erteilten. Die so genannten Altfall- oder Bleiberechtsregelungen waren an eine Vielzahl von Bedingungen geknüpft, so dass nur einer geringen Anzahl der AntragstellerInnen ein dauerhafter Aufenthalt gewährt wurde.
Doch auch die restriktiv gefasste IMK-Regelung von 2006 legte zahlreiche Ausschlussgründe fest. Insbesondere aufgrund eines "Einreisestichtages" hatten viele Geduldete von vorneherein keine Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht.
In Deutschland lebten Ende 2006 rund 190.000 Menschen mit dem rechtlichen Status einer "Duldung", die meisten von ihnen schon seit mehr als 10 Jahren. Viele Menschen aus der Gruppe der langjährig Geduldeten sind vor BürgerInnenkriegen oder anderen innerstaatlichen Konflikten nach Deutschland geflohen und stellten in der Bundesrepublik vergeblich einen Asylantrag.
Der :: Beantwortung einer Anfrage von Die Linke im Bundestag im Oktober 2007 zu den Ergebnissen der IMK-Regelung zufolge stellten bis zum Stichtag 30. September 2007 (in manchen Bundeslädern wie Berlin nur bis Mai 2007) stellten 72.000 Personen einen Antrag auf Bleiberecht. Von diesen erhielten weniger als 20.000 eine Aufenthaltserlaubnis, fast 30.000 wurden lediglich weiter geduldet, um sich einen Arbeitsplatz zu suchen. 8.000 Anträge wurden abgelehnt, zumeist wegen fehlender Passpapiere. Über die restlichen Fälle war zum Zeitpunkt der Anfrage noch nicht entschieden.
Ende August 2007 wurde ergänzend zur IMK Regelung eine "gesetzliche Altfallregelung" eingeführt (siehe :: Infoseite beim Flüchtlingsrat Berlin). Dieser Regelung zufolge konnten Geduldete, Personen mit Aufenthaltsgestattung oder Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, die am 1. Juli 2007 mindestens acht Jahre in Deutschland lebten (beim Zusammenleben mit minderjährigen Kindern sechs Jahre), eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Bei nicht gegebener eigenständiger Lebensunterhaltssicherung wurde jedoch lediglich eine Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" gewährt.
Laut einer :: Aussendung von Pro Asyl vom 26. November 2009 erhielten aufgrund der IMK-Regelung und der Altfallregelung aus dem Jahr 2007 rund 62.000 Menschen eine Aufenthaltserlaubnis, davon ca. 31.000 nur auf Probe.
Langjährig geduldete Menschen müssen, um von der Bleiberechtsregelung begünstigt zu werden, verschiedene Erteilungsvoraussetzungen wie die Passpflicht, die Sicherung des Lebensunterhaltes, ausreichende Deutschkenntnisse und ausreichenden Wohnraum erfüllen. Diese Faktoren werden mit Ausnahme der Passpflicht auch als "Integrationsvoraussetzungen" bezeichnet. Jenen, die einen Aufenthaltsstatus mit etwas mehr Rechten nur auf Probe erhielten, drohte für den Fall, dass ihnen die "überwiegende eigenständige Lebensunterhaltssicherung" bis Ende des Jahres 2009 nicht gelingen sollte, die Zurückstufung auf die Duldung.
Auf der IMK 2009 in Bremen wurde eine Verlängerung der Altfallregelung um zwei Jahre beschlossen, was keine Lösung darstellt, sondern lediglich eine Verlängerung des Problems der Kettenduldungen. Darauf wird weiter unten noch näher eingegangen.
10.000e in Deutschland lebende Menschen werden lediglich "geduldet". Eine Duldung ist kein Aufenthaltsstatus, sie bedeutet die "vorübergehende Aussetzung der Abschiebung", die vor allem Menschen erteilt wird, bei denen eine Abschiebung bzw. die Beschaffung der notwendigen Papiere nicht möglich ist. Sie wird im Normalfall nur für wenige Monate, in manchen Fällen aber nur für wenige Wochen gewährt und muss regelmäßig verlängert werden. Ihr Aufenthalt ist mit erheblichen gesetzlichen Einschränkungen verbunden, die das gesamte Leben dieser Menschen negativ beeinflussen. Die kurzfristige Ausstellung der Aufenthaltsdokumente verhindert häufig die Entwicklung einer tragfähigen oder dauerhaften Lebensperspektive.
The Voice Refugee Forum beschreibt Duldung in einem Artikel über :: Koloniales Unrecht in Deutschland als "Leben in permanenter Ungewissheit. Keine Arbeit. Keine Ausbildung. Kein Recht, den Landkreis zu verlassen. Keine Perspektive im Leben, nur Stillstand und langsame aber ständige Vergeudung des Lebens. Nur essen und schlafen, essen und schlafen bis dich ihre perversen Grausamkeiten zerstört haben."
Arbeiten dürfen Geduldete nicht, allenfalls mit erheblichen Einschränkungen. Das Erlernen der deutschen Sprache wird nicht gefördert. Dadurch wird der Kontakt zur Außenwelt zusätzlich erschwert und eine Ohnmacht gegenüber den Behörden hergestellt. Die Bewegungsfreiheit von "geduldeten" Personen wird massiv eingeschränkt (Residenzpflicht) oder sie müssen zwangsweise in sogenannten Ausreisezentren wohnen.
Die Residenzpflicht untersagt geduldeten Menschen bzw. Flüchtlingen im Asylverfahren, den ihnen zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Das Überschreiten der Landkreisgrenze kann Gefängnis oder Abgeschiebung zur Folge haben. Viele Menschen werden dazu gezwungen, bis zu 20 Jahren in Lagern zu leben - oft in ständiger Angst vor Abschiebung. Das Leben im Lager macht erwiesenermaßen physisch und psychisch krank; es wird in jedem Detail reglementiert und schränkt die Möglichkeit zur individuellen Gestaltung des Alltags massiv ein. Die Lager selbst stellen potenziell rechtsfreie Räume dar. Gerade Frauen und Kinder sind immer wieder Übergriffen durch Personal oder andere LagerbewohnerInnen ausgesetzt. Durch all dies sollen Menschen zur "freiwilligen" Ausreise gedrängt werden. Ein Zustand, der von vielen Menschen seit Jahren massiv kritisiert und bekämpft wird.
Die Bleiberechtsdemonstration am 2. Dezember 2009 in Bremen wird als Erfolg bezeichnet. Unterschiedlichen Angaben zufolge versammelten sich zwei bis dreitausend Menschen, der Großteil vor allem junge MigrantInnen, an der BürgerInnenweide im Zentrum Bremens und zogen von dort aus durch die Innenstadt an der BürgerInnenschaft vorbei und um den Dom herum.
Aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Flüchtlingsorganisationen, wie Jugendliche ohne Grenzen, der Bremer Flüchtlingsrat, The Voice“, die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, das Aktionsprogramm Hier geblieben! sowie Romaverbände, Kirchen, Gewerkschaften und viele andere.
Anlässlich der IMK wurden ein dauerhaftes Bleiberecht, sofort und für alle, gefordert und ein deutliches Zeichen für einen "offenen und menschlichen Diskurs" um ein Bleiberecht in Deutschland gesetzt, wie :: in einem Bericht zu lesen ist.
Allerdings änderte die Polizei kurzfristig entgegen allen Absprachen mit den AnmelderInnen die Route, blockierte die Demonstration und schleuste sie durch unbelebte Straßen an den Bremer BürgerInnen vorbei. So konnten diese nur unzureichend über Migrations- und Fluchtgründe, die Mauer um Europa sowie die Situation von Flüchtlingen und MigrantInnen informiert werden. Die Demonstrationsleitung hat angekündigt, gegen diese Beschneidung des Demonstrationsrechtes gerichtliche Schritte zuprüfen.
Die bundesweite Initiative junger Flüchtlinge "Jugendliche ohne Grenzen" hat eine traditionell zur InnenministerInnenkonferenz parallel laufende Flüchtlingskonferenz ins Leben gerufen, auf der sich die Jugendlichen vernetzen und sich stark machen, um Öffentlichkeit für eine humane Flüchtlingspolitik herzustellen. Vom 2. bis 5. Dezember in Bremen beteiligten sich ca. 80 Personen an der Flüchtlingskonferenz. Auf ihrer :: Homepage berichten die Jugendlichen ohne Grenzen: Es war sehr spannend und wir konnten den Leuten zeigen, wie es uns geht. Wir wollen dafür kämpfen, dass wir auch hier bleiben können und die gleichen Rechte wie die deutschen Kinder haben.
Am Abend des 3. Dezember fand im Gemeindesaal der Stephani Kirche die Gala "Wer wird Abschiebeminister 2009" statt, um die unmenschliche Praxis der Innenministerien weiter in die Öffentlichkeit zu rücken. Gekürt wurde Uwe Schünemann aus Niedersachsen. Anschließend erzählten die "Kinder des Windes" auf fesselnde Weise Geschichten von Flucht und Vertreibung.
Die Proteste und Aktivitäten zur Vernetzung Jugendlicher ohne Grenzen in Bremen werden als "großartige Tage" beschrieben. Weitere Informationen und Fotos dazu auf :: jogspace.net und :: hier.geblieben.net.
Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern hält in einer :: Presseaussendung vom 4. Dezember fest:
"Die Verlängerung der Altfallregelung um 2 Jahre ist nach Ansicht des Flüchtlingsrates Mecklenburg-Vorpommern lediglich ein Minimalkonsens. Er verhindert, dass Flüchtlinge, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe nach dieser Regelung haben, ab dem 1.01.2010 wieder in die Duldung zurückfallen. Damit wird den Betroffenen zunächst etwas Luft verschafft. Das sowie die Anerkennung von Bemühungen, eine Arbeit zu finden, ist zunächst zu begrüßen. Das Problem der Unsicherheit für die Flüchtlinge mit vorläufigem Bleiberecht verschiebt sich nun jedoch auf Ende 2011. Der Minimalkonsens führt aber auch dazu, dass Kettenduldungen nicht abgeschafft werden."
Auch :: Pro Asyl spricht von einem Minimalkonsens und keiner wirklichen Lösung:
"Die Innenministerkonferenz hat sich in der Debatte um die Bleiberechtsregelung am 4.12.2009 lediglich zu einer Minimallösung durchgerungen. Das dürftige Ergebnis besteht in der Verlängerung der Regelung um zwei Jahre. Zwar werden nach groben Schätzungen etwa 15.000 Betroffene zunächst einmal aufatmen, weil sie nach der jetzigen Regelung eine neue Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten und nicht in die Duldung zurückfallen.
Eine wirkliche Lösung ist dies nicht. Mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz werden die Betroffenen zwei weitere Jahre unter die Bewährungsaufsicht der Ausländerbehörden gestellt. In einer schwierigen konjunkturellen Situation müssen sie ihre Lebensunterhaltssicherung zustande bringen. So geht die Hängepartie für die Betroffenen weiter, wo ein wirklicher Schlussstrich hätte gezogen werden müssen."
Während die InnenministerInnen selbst ihren "Minimalkonsens zum Bleiberecht" als Erfolg feiern, sind geduldete Menschen und UnterstützerInnen enttäuscht. Die Jugendlichen ohne Grenzen stellen in einer :: Aussendung fest:
"Eine bloße Verlängerung der sog. Probe-Aufenthaltserlaubnis um zwei Jahre ändert nichts an der bestehenden restriktiven Bleiberechtsregelung. Die von der Abschiebung bedrohten 100.000 geduldeten Flüchtlinge sind von der Regelung gar nicht erst erfasst. Denn das grundsätzliche Problem der Kettenduldungen besteht nach wie vor. Das bedeutet für die Betroffenen weiterhin ein Leben ohne Perspektive, Angst vor Abschiebung, Residenzpflicht, Ausbildungs- und Studienverbote."
Die Forderungen nach einem bedingungslosen Bleiberecht für alle, Abschaffung der Residenzpflicht, Abschaffung des Arbeits- und Ausbildungsverbots sowie die vollständige Umsetzung UN-Kinderrechtskonvention bleiben bestehen.
Umfangreiche Informationen zur Umsetzung der Bleiberechts- und Altfallregelung, wie die entsprechenden Erlässe zum IMK-Beschluss, Kommentare und Tipps zur Verlängerung nach IMK-Beschluss gibt es beim :: Flüchtlingsrat Berlin.
Quellen :: Diplomarbeit zur Evaluierung des Bleiberechts, Oktober 2007, :: Bericht von der Demonstration am 02. Dez 2009, :: imk2009.blogspot.com, :: hier.geblieben.net, :: jogspace.net, :: fluechtlingsrat-berlin.de/bleiberecht.php