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Quellenangabe:
Der Ausbau des Labyrinths (vom 13.01.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3228/, besucht am 19.04.2024

[13. Jan 2010]

Der Ausbau des Labyrinths

Die zweite Fremdenrechtsnovelle des Jahres 2009 für MigrantInnen - in Kraft seit 1. Jänner 2010.

Die nach dem sogenannten Bleiberechtsgesetz zweite größere Fremdenrechtsnovelle, die das österreichische Parlament im Jahr 2009 beschließt, enthält auch wieder umfassende Änderungen für MigrantInnen. Mehr als 70 Ziffern zählen sie im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz; dazu kommen Änderungen im Fremdenpolizei- und Staatsbürgerschaftsgesetz.

Diese der letzten Novelle so rasch folgende - Gesetzesänderung verstärkt ein grundsätzliches Dilemma des österreichischen Fremdenrechts. Bereits das geltende Recht ist in hohem Maße von Sonderbestimmungen und Spitzfindigkeiten, von Querverweisen und Widersprüchen geprägt: Ein wahres Normen-Labyrinth. Dem setzt die Novelle noch eines auf. Umfang und vor allem Unübersichtlichkeit der Regelungen erfahren mit ihr eine weitere Steigerung.

Eine unsägliche Entwicklung: Die große Unübersichtlichkeit, gesteigert durch die rasche Abfolge von Änderungen, bewirkt, dass die mit der Gesetzesanwendung Befassten (Verwaltung und der Beratung) nur mit beträchtlichem Aufwand die jeweils geltende Rechtslage überblicken können. Große Rechtsunsicherheit und Fehleranfälligkeit sind die Folge, den MigrantInnen - den NormadressatInnen - und der allgemeinen Öffentlichkeit bleibt es praktisch unmöglich, sich ohne fachkundige Anleitung zurechtzufinden.

Ein Überblick über die Neuerungen scheint aufgrund ihrer Fülle in wenigen Zeilen nicht möglich. Daher sollen im Folgenden nur einzelne auffällige Punkte dargestellt werden.


Erhöhung des Mindestalters für nachzugswillige EhegattInnen


Mit der Novelle wird verlangt, dass nachzugswillige EhegattInnen von hier niedergelassenen Drittstaatsangehörigen und ÖsterreicherInnen zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Familienzusammenführung über 21 Jahre alt sein müssen.(1) Die Erläuterungen begründen diesen Schritt mit dem Schutz vor arrangierten Ehen und Zwangsehen.

Diese Regelung ist nicht das richtige Mittel, um das genannte Ziel zu erreichen. Denn Zwangsehen von Personen unter 21 können weiterhin geschlossen werden, lediglich ihr Nachzug wird gehemmt; Zwangsehen von Personen über 21 und von PartnerInnen, die beide im Inland niedergelassen sind, werden gar nicht erfasst. Dafür belastet die vorgeschlagene Regelung alle nachzugswilligen EhepartnerInnen unter 21 Jahren, unabhängig davon, ob sie zwangsweise oder freiwillig geheiratet haben. Nun stellen aber Zwangsehen keineswegs den Normalfall dar. Der AdressatInnenkreis lässt sich also auf diese Weise nicht der Zielgruppe entsprechend eingrenzen. Die Regelung ist somit unverhältnismäßig und ehe- und familienfeindlich; nicht nur, wenn dem jungen Paar ein Kind geboren wurde.


Erhöhung des für einen Aufenthaltstitel notwendigen Einkommens


Bezüglich des für einen Aufenthaltstitel notwendigen Unterhalts hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 4. April 2009, Zl. 2008/22/0711 erklärt, dass bei Erreichen eines Einkommens in der Höhe Ausgleichszulagen-Richtsatzes nach § 293 ASVG der notwendige Lebensunterhalt, sohin auch die Bestreitung der Kosten einer Unterkunft , gesichert sind. Damit hat er die bisherige Vollzugspraxis, die den Mietaufwand vom Einkommen in Abzug brachte, für rechtswidrig erklärt.

Die Novelle revidiert diese Judikatur: Ausdrücklich wird nun in das Gesetz geschrieben, dass regelmäßige Aufwendungen, insbesondere Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen die eigenen Einkünfte schmälern. Diese neue Regelung produziert Unschärfen, denn es bleibt unklar, welche regelmäßigen Ausgaben über die ausdrücklich angeführten hinaus nun tatsächlich berücksichtigt werden. Vor allem aber ist sie inhaltlich ungerecht, nicht zuletzt erhellt dies die genannte VwGH-Judikatur: Während für ASVG-MindestpensionistInnen ein Einkommen in der Richtsatzhöhe als ausreichend angesehen wird, um alle regelmäßigen Aufwendungen abzudecken, gilt dies ausdrücklich nicht für ZuwanderInnen.

Die hohen Anforderungen an das Einkommen für Zuwanderungswillige behindern bereits heute die Familienzusammenführung bzw. verhindern sie gar: Betroffen sind Menschen in Niedriglohn-Branchen oder Teilzeit-ArbeiterInnen; natürlich auch Menschen, die aus welchem Grund auch immer keine Arbeit annehmen können. Schon diese Regelung ist familien- und integrationsfeindlich. Durch die neue Fassung wird sie noch verschärft. Ein Beispiel, gerechnet nach Richtsätzen des Jahres 2009:

Frau A., eine Serbin, die seit ihrer Kindheit in Österreich lebt und hier ihren Hauptschulabschluss gemacht hat, arbeitet 30 Stunden pro Woche in der Reinigungsbranche in der Früh von 6.00 bis 9.00 Uhr, und am Abend von 16.00 bis 19.00 Uhr. Sie verdient 850 Euro netto im Monat (13. und 14. Einkommen bereits mitgerechnet). Ihre Tochter aus einer früheren Beziehung, die die Volksschule besucht, wohnt mit ihr. Für die Tochter bezieht Frau A. Familienbeihilfe (122 Euro). Die Miete für die Wohnung beläuft sich auf 400 Euro. Vor kurzem hat Frau A. einen Serben geheiratet, der noch in Serbien lebt. Um ihn nachzuholen, braucht sie ein monatliches Netto-Einkommen von 1.239 Euro (genau 1.158,08 Euro für sich und ihren Mann und 80,95 Euro für das Kind). Die Familienbeihilfe darf nach dem österreichischen Bundesministerium für Inneres nicht zum Familieneinkommen gerechnet werden, sondern mindert nur den Einkommensbedarf um den ASVG-Richtsatz für das Kind (80,95 Euro). Somit muss die Frau nach Berücksichtigung der Familienbeihilfe ein Einkommen von 1.158 Euro erreichen. Dies geht sich bereits nach bisheriger Rechtslage nicht aus, 850 Euro liegen deutlich darunter.

Wird nun, wie der Entwurf vorsieht, noch die Miete (abzüglich eines vom Vollzug zugestandenen Freibetrages von 247 Euro namens freie Station) veranschlagt, kommt die Frau bei einer monatlichen Miete von 400 Euro auf ein notwendiges Einkommen von 1.310 Euro netto.(2)


Weitere Verschlechterungen nach der Begutachtung


Der Rechtstext wurde nach dem Begutachtungsprozess an verschiedenen Stellen verändert und erweitert, allerdings dürften jedenfalls im Niederlassungsrecht Einwendungen von NGOs in der Regierungsvorlage wenig Spuren hinterlassen haben. Vielmehr sind Neuerungen hinzugekommen, die die Rechtsposition von MigrantInnen weiter schwächen.

So erhält etwa die Niederlassungsbehörde die Möglichkeit, trotz Vorlage eines Zeugnisses durch die ZuwanderInnen, in dem einE zertifizierter KursträgerIn die erfolgreiche Teilnahme eines Deutsch-Integrationskurses bescheinigt, bescheidmäßig festzustellen, dass die Integrationsvereinbarung mangels ausreichender Deutschkenntnisse nicht als erfüllt anzusehen ist.(3) Nun können sich also MigrantInnen, die ein entsprechendes Zeugnis erhalten, nicht mehr sicher sein, dass dieses auch tatsächlich von der Behörde anerkannt wird.


Einzelne Verbesserungen


Die Novelle schafft auch einzelne Verbesserungen für MigrantInnen. Hier wäre die endlich eingeführte Möglichkeit für subsidiär Schutzberechtigte zu nennen, auf einen Niederlassungstitel nach dem NAG zu wechseln, oder die Ermöglichung der Wieder-Erlangung eines Niederlassungstitels für Personen, die ihren unbefristeten Titel aufgrund zu langen Auslandsaufenthaltes verloren haben. So wichtig diese Verbesserungen für die konkret Betroffenen sind, so treten sie doch insgesamt, wie der Österreichische Rechtsanwaltskammertag in seiner Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf treffend schrieb, angesichts der Fülle der zu kritisierenden Regelungen zurück.



Anmerkungen:


1 Das geltende Fremdenrecht schreibt für EhegattInnen von ÖsterreicherInnen kein Mindestalter und für
EhegattInnen von Drittstaatsangehörigen ein Mindestalter von 18 Jahren vor.
2 Näheres siehe in der Informationsbroschüre über die Unterhaltsberechnung im Niederlassungs- und
Aufenthaltsgesetz, die das Bundesministerium für Inneres eigens zu dieser Thematik herausgegeben hat, siehe :: pdf auf bmi.gv.at.
3 Laut Erläuterungen zu dieser Norm wird das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Deutschkenntnisse durch ein
Gutachten festzustellen sein.

Dieser Artikel von Georg Atzwanger, Caritas d. ED Wien, erschien zuerst in "asyl aktuell" 3/2009, der Zeitschrift der asylkoordination Österreich, hier geringfügig geänderten (zweite Fassung).

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