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Quellenangabe:
Aufruf zum Screening des Films 'Warum Israel' von Claude Lanzmann in Wien (vom 15.01.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3232/, besucht am 29.03.2024

[15. Jan 2010]

Aufruf zum Screening des Films 'Warum Israel' von Claude Lanzmann in Wien

Am Mittwoch den 20.1.2010, wird ab 19.00 Uhr im Schreyvogelsaal in der Hofburg (Aufgang Batthyanystiege) der Film "Warum Israel" von Claude Lanzmann gezeigt. Ein Vortrag von tagediebin (McGuffin Foundaition, Hamburg) wird die Aufführung umrahmen.

Dazu ein Text der AG Filme gegen Antisemitismus, die gemeinsam mit der Basisgruppe Theater-, Film- und Medienwissenschaft den Film- und Diskussionsabend zu "Warum Israel" (Claude Lanzmann) organisiert.

Aufruf zum Screening des Films "Warum Israel" von Claude Lanzmann in Wien


"Dass die Aufführung von Warum Israel in Hamburg verhindert wurde, ist für mich ein Ausdruck von Zensur. Die Deutschen, ob linksradikal oder nicht, haben sich wie Herren aufgespielt. Diese Rolle dürfen sie nie wieder spielen." (Claude Lanzmann, im Freitag Interview zur Filmverhinderung , 10.12.09)

Zum ersten Mal weltweit wurde im Oktober eine Aufführung des von Claude Lanzmann 1972 gedrehten Films "Warum Israel" (Pourquoi Israel) so massiv bedroht und angegriffen, dass sie abgesagt werden musste. Mit Schlagwaffen ausgestattete und damit von vorneherein auf Gewalt ausgerichtete linke Antisemit_innen hatten sich mit selbst gebastelten israelischen Uniformen und einem nachgebauten israelischen Checkpoint vor dem Underground-Kino B-Movie positioniert sowie die Veranstalter_innen und Besucher_innen daran gehindert, hineinzugelangen. Zudem wurden diese als "Nazischweine", "Schwuchteln" und "Judenschweine" beschimpft. Unaufhörlich gingen massive Angriffe von Seiten jener Front der Antisemit_innen aus, welche sich aus dem "internationalistischen Zentrum" B5, antiimperialistischen Gruppen wie der SOL und der "Tierrechts"-Gruppe TAN zusammensetzt, die nicht zum ersten Mal mit Gewalttätigkeiten gegen israelsolidarische Menschen auffiel.

Als Reaktion darauf wollen wir den Film allen interessierten und israelsolidarischen Menschen in Wien zugänglich machen. Es ist ein Zeichen der Solidarität mit dem Regisseur Claude Lanzmann und den B-Movie-Besucher_innen und -betreiber_innen. Wir wollen dezidiert dagegen auftreten, dass Antisemit_innen in den Täterländern Deutschland und Österreich, besonders solche aus der Linken, ihren antisemitischen und antizionistischen Ressentiments mit Gewalt den Weg bahnen. Unter keinen Umständen wollen wir tolerieren und zusehen, wie in einer familienähnlichen Linken jene Antisemit_innen weiterhin ihren Platz im Gefüge behalten, ohne dabei mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Das weitverbreitete Lippenbekenntnis gegen den Antisemitismus der Linken reichte noch nie aus - denn es blieb auch diesmal ohne Konsequenz. Es scheint ohnehin die größte Sorge der linken Szene zu sein, mit Israelsolidarität und antideutscher Kritik in Berührung zu kommen. Das daraus als Folge erwachsene Schweigen angesichts offensichtlicher Angststarre gegenüber dem gewalttätigen Ausdruck der antisemitischen Linken bereitet vergleichsweise wenig Sorgen.

Was die Hamburger Zustände verdeutlichen, ist in Wien bestens bekannt. Nach den Angriffen auf die 9. November-Gedenkverstaltung von 2003 durch unter anderem die Gruppe Sedunia und den Überfall auf eine Veranstaltung von Café-Critique am 9.März 2005, an dem Personen aus der Kommunistischen Initiative (KI), des ArbeiterInnenstandpunkt (Ast), der Antiimperialistischen Koordination (AIK) sowie der Antifaschistische Linke (AL) beteiligt waren, gab es zwar vereinzelt Reaktionen, allerdings sind die daraus resultierenden Konsequenzen letztlich nicht der Rede wert. Dabei wurde im besten Fall festgestellt, dass die Angriffe aus antisemitischen Motiven begangen wurden, aber nicht verhandelt, dass diese von Gruppen mit festem linken Selbstverständnis ausgingen, die bis dato immer noch auf diversen linken Veranstaltungen gern gesehene Gäste sind. Nicht zuletzt im Rahmen der aktuellen Studierendenproteste, die selbstverständlich auch nicht ohne antisemitische Darstellungen der Zirkulationssphäre auskamen, durften jene Gruppen und ihre Abspaltungen wieder freudig mitmischen.

Es ist kein Novum, dass der Großteil der Linken zur Bedrohung Israels und zu antisemitischen Vorfällen kein Wort verliert; Aussitzen lautet stets die Devise. Stillhalten und mit vermeintlich friedvoller Erwartungshaltung auf bessere Zeiten warten, ist die bestens einstudierte Rolle der Linken in Deutschland und Österreich. Gerade an dieser Stelle muss eine erneute Debatte über Antisemitismus, auch jenem innerhalb der Linken selbst, angesetzt werden.
Bekanntlich lautet das Motto der Linken: Die Bewegung heilt alle Wunden. Die Suche nach der ewig einigen Linken, verdeckt alle Notwendigkeit zum Bruch. Sie steht jeder Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und der Solidarität mit Israel im Wege. Erneut ist geboten zu fragen, weshalb linke Zusammenhänge nicht in der Lage sind Israel, dem Staat der Shoa-Überlebenden und besten Schutz aller von Antisemitismus Bedrohten, bedingungslose Unterstützung zu garantieren.

Wir reden an dieser Stelle schon gar nicht mehr von antiimperialistischen und stalinistischen Gruppen, deren größtes Hassobjekt tatsächlich der Zionismus und sein Erfolg, Israel, ist. Nein, wir wollen von linken Gruppen reden, die für sich beanspruchen, aktiv im Kampf gegen Antisemitismus zu sein. An dieser Stelle tritt die Unfähigkeit zur Solidarität am stärksten ins Rampenlicht.
"Es kann sich nicht immer alles um Israel drehen", so der Tenor, ganz so als ob der antisemitische Wahn, aufgrund dessen Vernichtungspraxis Israel gegründet wurde, nicht jenes Moment bürgerlicher Gesellschaft wäre, an welchem sich die deutsch-österreichische Identität erst herstellt.

Auch wird postuliert, dass sich nicht jede linke Kritik an einer israelsolidarischen Praxis messen lassen müsse. Damit wird verdrängt, dass es notwendiger Ausdruck der deutsch-österreichischen Form der Vergesellschaftung ist, die Vernichtung von Jüdinnen und Juden und damit Israels ständig weiter voranzutreiben.
Überhaupt wird fleißig das Mantra eines nicht kritisierbaren israelischen Staates aufgesagt. Es ist die Verkehrung der realen Situation, die hier zum Vorwurf an Israel wird. Nicht das unter dem Deckmantel vermeintlicher Kritik ständig abgesprochene Existenzrecht Israels wird zum Gegenstand gemacht, sondern die auf verschwörungstheoretischer Erkenntnisstruktur fußende Illusion, Israel wäre ein Staat, der nicht kritisiert werden dürfte, wird zum Leben erweckt. Der Einbildung fester Bestandteil ist die Angst der/des Antisemit_in vor einer abstrakten Macht, die hier das Aussprechen, gar schon das Denken verbietet.

Zu allem Überdruss steigt der Linken aber immer dann die Zornesröte ins Gesicht, wenn ihr eine klare Position zu Israel unweigerlich abverlangt wird. Die Positionen der Wiener Linken gegen antisemitische Äußerungen sind so lange eindeutig, wie sie vom vermeintlichen Außen, beispielsweise stadtbekannten antiimperialistischen Schlägern, kommen. Liegt die Ursache des Antisemitismus jedoch in der eigenen Form begründet, ist Schluss mit der Auseinandersetzung. Dann wird die Sorge, im Eck antideutscher Kritik zu landen, hervorgekramt, als ob damit legitimiert werden könnte, nicht konsequent gegen Antisemitismus auftreten zu müssen. Vielmehr wird hier jenem uneingestandenen Wunsch Ausdruck verliehen, doch in Konformität mit der deutschen und österreichischen Familie aufzugehen. Denn die Ahnung ist bekanntlich oft schneller als der Verstand, und es ist schon länger ersichtlich, dass sich dem Antisemitismus in der je eigenen Form zu stellen, hieße, das Subjekt der Revolution zu verlieren und dem Mythos Antifaschismus auf die Schliche zu kommen.

Doch diese Erkenntnis kann nicht zugelassen werden. Sie wird ohnehin erst dann zum Problem, wenn eine unmissverständliche Positionierung unumgänglich wird. Denn bis dahin ist mit ein bisschen "gegen Fremdenhass"-Sein sowieso schon Eintracht mit den eigenen Landsleuten hergestellt. Jedes Kind weiß doch, dass es sich für gute Linke genauso wie für gute Österreicher_innen verbietet, offen antisemitisch zu sein. Wo doch auch der Vernichtungswunsch so praktisch auf Israel übertragen werden kann.
Gerade aus diesen Gründen wollen wir die Diskussion um die Geschehnisse in Hamburg auch in Wien aufnehmen und der Kritik am antisemitischen Normalzustand - auch in der Linken - gebührend Platz verschaffen und versuchen nach der Notbremse zu fassen.

AG Filme gegen Antisemitismus (Jänner 2010)