Quellenangabe:
Im Mai 2010 gibt es viele 10. Todestage (vom 06.05.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3362/,
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[06. May 2010]
Mindestens fünf Menschen starben im Mai 2000 im Gewahrsam der österreichischen Behörden. Am 28. Mai 2010 wird im Rahmen der Solidaritätskundgebungen für das Amerlinghaus vor dem Burgtheater in Wien an die Toten und die rassistische Kontinuität erinnert.
Die Polizei exekutiert nach gültigem Recht die Staatsgewalt. Wer Beamt_innen zu nahe kommt oder es gar wagt, bei deren Uniform einen Knopf auszureißen, macht sich strafbar und wird nicht selten zu unbedingten Haftstrafen verurteilt. Für die Hüter_innen des Gesetzes gelten andere Regeln. Sie haben das Monopol auf die Ausübung von Gewalt. Es ist kein Geheimnis, dass immer wieder Menschen von der Polizei misshandelt und gefoltert werden. Immer wieder werden unbewaffnete Menschen von Polizist_innen erschossen oder auf andere Weise umgebracht. Doch selbst diese Vorfälle dringen nur selten an die Öffentlichkeit. Noch seltener führen sie zu einem Aufschrei in der Gesellschaft oder gar zu Konsequenzen für die vom Staat bezahlten Gewalttäter_innen.
Ein junger Mann erstickte in "Bauchlage" - bei einem Polizeieinsatz in Wien. Zuvor schrie er laut Augenzeug_innen: "Ich kriege keine Luft". Der Mann war einer Funkstreifenbesatzung verdächtig vorgekommen, als er bei einem Bankomaten stand. Als er die Polizisten bemerkte, lief der 24jährige davon. Doch er war zu langsam und wurde erwischt, was ihm zum Verhängnis wurde. Er starb unter dem Gewicht der ihn "fixierenden" Polizisten. Der damalige Polizeichef Max Edelbacher stärkte seinen Beamten den Rücken und beschwichtigte: "Alles rechtlich gedeckt".
Auch drei Jahre später hatte sich an der Praxis bei Fixierungen noch nichts geändert. Am 15. Juli 2003 wurde Seibane Wague von zehn Polizist_innen und Sanitätern des Roten Kreuzes umgebracht. Die Beamten rechtfertigten ihr Vorgehen mit fehlender Ausbildung.
Richard Ibekwe wurde im Rahmen einer Razzia am 29. April 2000 wegen Verdacht des Drogenhandels verhaftet und im Jugendgefängnis Rüdengasse inhaftiert. Laut Berichten von Augenzeug_innen wurde er bei der Festnahme von der Polizei schwer misshandelt. Er stand unter Verdacht, Drogenkügelchen verschluckt zu haben. Der Verhaftete befand sich trotz des gesundheitlichen Risikos nicht unter ärztlicher Aufsicht. Laut offiziellen Angaben starb Richard Ibekwe nach vier Tage in Haft in den Morgenstunden des 3. Mai 2000 an einer Opiatenvergiftung. Die genauen Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt. Wichtig ist zu erwähnen, dass die Polizei zuerst versuchte, den Tod von Richard Ibekwe geheim zu halten. Später behauptete sie alles zu tun, um die Umstände seines Todes aufzuklären. Trotzdem dauerte es eine Woche, bis die Informationen über einen weiteren, laut Behörden ähnlich gelagerte Todesfall in Polizeihaft, an die Öffentlichkeit drangen.
Lubomir, ein 40jähriger Mann aus der Slowakei, starb am 4. Mai 2000 in einer Zelle des Polizeikommissariats Wien-Landstraße, was erst am 12. Mai bekannt wurde. Die Polizei behauptet, er wäre durch das Verschlucken von Drogen gestorben, ohne Beweise dafür vorlegen zu können.
Sowohl der Todesfall von Richard Ibekwe als auf von Lubomir sind mittlerweile bei den Akten gelandet. Aufgeklärt wurden sie nie.
Das fünfjährige Flüchtlingskind Hamid S. starb am 17. Mai 2000 aufgrund von mangelnder medizinischer Versorgung. Es befand sich mit seiner Familie in einer Art lockeren Hausarrest in der Pension Wolfram in Gols. Das schwerkranke Kind musste von den Eltern zu einer Ärztin getragen werden, da sich die Wirtin der Pension weigerte, es mit dem Auto zu führen. Am nächsten Tag kam die Rettung trotz Notruf nicht. Das Kind wurde erneut zur Ärztin gebracht, die es sofort mit der Rettung ins Spital schickte, wo das Kind vor dem Abtransport in die Intensivstation nach Wien verstarb.
In der Nacht von 19. auf den 20. Mai 2000 wurde Imre Bartos von einem - angeblich zu diesem Zeitpunkt als ziviler Drogenfahnder aktiven - Polizisten mit dessen Privatwaffe erschossen. Im Juni 2002 fand ein Prozess gegen den Todesschützen statt. Er wurde freigesprochen. Der unbewaffnete Bartos soll in seinem parkenden Auto sitzend, mit den Händen am Lenkrad, durch einen "irrtümlich gelösten Schuss" gestorben sein.
Fast sechs Jahre nach der Erschießung entschied der Verwaltungsgerichtshof (VwGH), dass der im Mai 2000 durch einen Beamten der Wiener Polizei "irrtümlich" auf Imre B. abgegebene, tödliche Schuss rechtswidrig war. Für den Todesschützen, der einer für ihre Brutalität und ihren Rassismus bekannten Polizeieinheit angehört, hat dieses Urteil jedoch keine Konsequenzen. Er wird weiterhin bewaffnet auf die Bevölkerung los gelassen.
Als Reaktion auf diese Serie von tödlich endenden Polizeiübergriffen kam es am 20. Mai 2000 zu einer spontanen Demonstration gegen Polizeigewalt. Etwa 100 Leute versammelten sich am Heldenplatz und bewegten sich dann Richtung Innenstadt. Doch die Polizei setzte von Anfang an auf Eskalation: Helme und Schlagstöcke waren parat, in der Luft kreisten Hubschrauber. Unter den Worten des Einsatzleiters: "Heute wird's noch lustig" und dem "Händereiben" der WEGA-Beamten wurde nach wenigen Metern am Michaelerplatz eine Prügelorgie gestartet, 24 Personen eingekesselt und auf diese sowie auf in der Nähe verweilende Personen 3 1/2 Stunden lang immer wieder eingedroschen. Mehrere Krankenwägen wurden schon vor dem Prügeleinsatz geordert, später waren rund herum Blutspuren von Demonstrant_innen zu sehen, mindestens vier Menschen wurden schwerer verletzt. Die Repression wurde vor Gericht fortgesetzt und eine Person unter fadenscheiniger Begründung zu einer mehrmonatigen unbedingten Haftstrafe verurteilt.
Für die Beamt_innen hatten weder die Prügelorgie vom 20. Mai noch die oben genannten Todesfälle Konsequenzen. In den meisten Fällen kam es zu keinen Anklagen. Selbst jener "zivile Drogenfahnder", der einen Menschen mit seiner Privatwaffe kaltblütig abknallte, wurde freigesprochen.
Gewalttätiges Vorgehen der Polizei hat nur selten Folgen für die Beamt_innen, die sich als exekutierende Organe auf das staatliche Gewaltmonopol berufen können. Falls von Seiten der Staatsanwaltschaft überhaupt einmal Anklage erhoben wird, kommt es meist zu lächerlichen und in der Regel lediglich bedingten Strafen. Die Politik wiederum beschließt immer repressivere Gesetze, durch die die Befugnisse der Polizei ausgeweitet werden. Im Einklang mit der rassistischen Hetze von weiten Teilen der Medien entsteht so ein Klima der Akzeptanz, das rassistische Morde erst möglich macht und legitimiert.
Eine unvollständige Dokumentation von Todesfällen bei Deportationen und in Polizeigewahrsam findet sich unter: http://no-racism.net/racismkills
Das offene antirassistische Treffen Wien findet alle zwei Wochen im Amerlinghaus statt. Dieses seit 31 Jahren bestehende Kulturzentrum Spittelberg dient als Freiraum, Treffpunkt und Veranstaltungsort für viele Menschen mit einem umfangreichen politischen, sozialen und kulturellen Programm. Doch nun ist das Kulturzentrum wie viele andere weitgehend selbst bestimmte, öffentlich subventionierte Projekte im Kultur- und Sozialbereich von einer sukzessiven finanziellen Austrocknung durch die Stadt Wien betroffen und geht aus Protest mit Freund_innen und zahlreichen Initiativen, die das Haus benutzen, auf die Straße.
Dass das Amerlinghaus gefährdet ist, gefährdet auch uns, und so oder so passt uns das nicht. Deshalb treffen wir uns am Freitag, 28. Mai 2010 von 17:00-19:00 vor dem Burgtheater in Wien zu einer Solidaritätskundgebung für das Amerlinghaus. Thematisiert werden u.a. mehrere Todesfälle in Folge rassistischer Amtshandlungen vor 10 Jahren im Mai 2000.
Weitere Informationen zum Amerlinghaus: http://amerlinghaus.at