Quellenangabe:
FC Sans Papiers: 'Wir sind friedlich, was seid ihr?' (vom 19.06.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3406/,
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[19. Jun 2010]
Reflexionen über die Zusammen- hänge von Antirassismus und zivilem Ungehorsam am Beispiel der Blockade einer Abschiebung in Wien.
"Demonstrieren ja, blockieren nein", mit dieser Devise versuchte die Behörde die Wogen am Abend des 29.4.2010 in Wien zu glätten. Spontan hatten sich DemonstrantInnen am Hernalser Gürtel versammelt, um einen Polizeitransporter am Weiterfahren zu hindern. Darin befand sich der Asylwerber Cletus B., Trainer des FC Sans Papiers, der am Nachmittag desselben Tages bei der Stürmung der Marswiese durch eine Hundertschaft der Polizei verhaftet worden war. Die AktivistInnen widersetzten sich der Vorgabe der Polizei, die von dem entschlossenen Vorgehen der DemonstrantInnen überrascht wurde. Denn diese wehrten sich durch Kettenbildung und eine Sitzblockade gegen erste Räumungsversuche durch die Polizei. So griffen die BeamtInnen im Zuge der letztlich durchgeführten Räumung zu unsportlichen Methoden: Einzelne Personen wurden herausgerissen und an der Hand oder Kapuze über den Boden geschleift, Fußtritte ausgeteilt, die AktivistInnen verbal angegriffen und schließlich folgte ein Knüppeleinsatz. Während die DemonstrantInnen ihrer Friedfertigkeit in Sprechchören Nachdruck verliehen wie "Wir sind friedlich, was seid ihr?", mussten sich die BeamtInnen gegenüber PassantInnen rechtfertigen. Manchen PolizistInnen schien es nach der Wahrnehmung von AugenzeugInnen richtiggehend Unbehagen zu bereiten, die Gesetze gegen friedlich auf dem Boden sitzende DemonstrantInnen durchsetzen zu müssen. Als Cletus B. letzten Endes in einen zweiten Transporter gebracht wurde, der ohne Rücksicht auf die Umstehenden lospreschte, wurde den Anwesenden klar, dass die Abschiebung nicht mehr direkt verhindert werden konnte. Von den 42 im Zuge der Räumung Verhafteten, werden nun drei Personen strafrechtliche Tatbestände vorgeworfen. Obwohl sie nur passiven Widerstand geleistet hatten und sich von der Polizei wegtragen hatten lassen, müssen sie sich nun wegen "Widerstand gegen die Staatsgewalt" und "schwerer Körperverletzung" verantworten.
Der Justizsprecher der Grünen, Albert Steinhauser, spricht im Hinblick auf die polizeiliche Räumung von einem Paradigmenwechsel, in dem Sinne, dass nach dem politischen Willen des Innenministeriums die Polizei bei antifaschistischen und linken Demonstrationen verstärkt auf Kriminalisierung und Repression setzt, um die statistische Überzahl rechtsextremer Straftaten auszugleichen. Nach Einschätzung von AktivistInnen ist die Strafverfolgung der drei DemonstrantInnen auch als Signal an die Öffentlichkeit zu verstehen, um den gesamten Widerstand gegen Abschiebungen in eine kriminelle Ecke zu rücken. Und auch die Umstände der Abschiebung selbst sorgen für Kontroversen. So haben die Grünen eine parlamentarische Anfrage eingebracht, um zu klären, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Deportation eingehalten wurden. Den Worten von Albert Steinhauser zufolge soll dem Verdacht nachgegangen werden, ob die Fremdenpolizei die Rechte der Betroffenen ausgehöhlt hat, um die öffentliche Aufmerksamkeit für ihre Situation zu erschweren und die Abschiebung durchziehen zu können.
Das Besondere an der Aktion des zivilen Ungehorsams vom 29.4. ist die Tatsache, dass keine Organisation hinter der Blockade des Gefangenentransportes stand und das Handeln allein auf der spontanen Selbstorganisation der AktivistInnen beruhte, die auf das Bekanntwerden der Abschiebung über SMS und Internet entschlossen reagierten. Andreas Görg von ENARA (European Network Against Racism Austria) führt die Motivation der DemonstrantInnen auf das Gefühl von massivem Unrecht zurück, das die Menschen zum praktischen und spontanen Handeln inspirierte. Neben Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit wird von AktivistInnen der besondere, nämlich eindeutig politische Charakter der Polizeiaktion gegen den FC Sans Papiers hervorgehoben. Denn die Stürmung der Marswiese richtete sich mit dem Verein direkt gegen ein kulturelles und soziales Projekt von MigrantInnen mit gewissem Bekanntheitsgrad, was die moralische Empörung bei den AktivistInnen noch verstärkte.
Andreas Görg hebt die politische Sensibilisierung für das Thema Rassismus und Abschiebungen hervor: "Da merkt man, dass unsere jahrelange Arbeit, unser Diskurs, doch Früchte trägt". Trotzdem wurden selbst ältere AktivistInnen von der Entschlossenheit überrascht, mit der hier eine Abschiebung zu verhindern versucht wurde: "Wir hätten nicht zu träumen gewagt, dass so etwas passiert", so Andreas Görg. Angefangen bei Aktionen gegen Deportationen am Flughafen in den 1990er Jahren, über die zahlreichen Todesfälle bei Abschiebungen bis hin zu Demonstrationen wie jener anlässlich des zehnten Todestages von Marcus Omofuma am 1.Mai 2009 zieht sich ein Faden durch die Geschichte, der zur politischen Sensibilisierung der AntirassistInnen beitrug. Michael Genner von Asyl in Not bemerkt: "Das war die erste Aktion dieser Art zumindest seit sehr langer Zeit. In Hainburg in der Au haben die Menschen sich vor die Bäume gesetzt, damit sie nicht umgeschnitten werden. Hier haben sich Menschen schützend vor andere Menschen gestellt, was noch viel wichtiger ist, um ein Unrecht abzuwehren, das ihnen zugefügt wird." Michael Genner unterstreicht, dass es in den Bundesländern bereits ähnliche Aktionen gegeben hat wie etwa in der Vorarlberger Gemeinde Röthis, wo sich BewohnerInnen schützend vor das Hause einer Familie stellten, die abgeschoben werden sollte und sich sogar der Bürgermeister an der Protestaktion beteiligte. Einen weiteren Faktor stellen die Bildungsproteste des vergangenen Jahres dar, denn die Besetzungen und anderen Aktionen des zivilen Ungehorsams bildeten wichtige Erfahrungen für die Handlungsweise der AntirassistInnen, unter denen sich gerade auch Studierende befinden.
Für Herbert Langthaler von der asylkoordination können die antirassistischen Proteste in Österreich an keine republikanische Tradition wie in Frankreich anknüpfen, wo sogar hohe Amtsträger durch Patenschaften die Abschiebung von Menschen ohne Papiere verhinderten. So richtet sich die Aktion des zivilen Ungehorsams auf der Strasse gegen Gesetze, die von den NGOs auf der politischen und rechtlichen Ebene bekämpft werden. Dabei könnten sich die NGOs durchaus noch mehr einbringen, so Langthaler, denn für den Fall, dass die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, stehen sie vor der Frage nach den weiteren Handlungsoptionen. Auch für den Obmann der Afrika Vernetzungsplattform, Alexis Nshimyimana Neuberg, ist die Aktion des zivilen Ungehorsams ein ermutigendes Zeichen, das in der African Community überwiegend mit einem Gefühl der Solidarität aufgenommen wurde und sich von den Erfahrungen mit fehlender Zivilcourage der BürgerInnen erfreulich abhebt. Ansätze für eine mögliche Zusammenarbeit und Bündnisse mit antirassistischen Initiativen sieht Alexis Nshimyimana Neuberg vor allem beim gemeinsamen Einsatz für die Schaffung von besseren Rahmenbedingungen in Österreich, um Situationen überhaupt erst zu vermeiden, in denen Gefahr im Verzug ist und Menschen abgeschoben werden. Gerade im Vorfeld von Wahlen und Beschlüssen von Gesetzen braucht die African Community starke Bündnispartner, um solche Regelungen zu verhindern.
Durch eine solche Aktion des zivilen Ungehorsams wird das Bild in Frage gestellt, das vor allem die rechten Parteien gerne malen, nämlich: "'Alle Österreicher sind verbiesterte Rassisten' und das stimmt einfach nicht. Es gibt da in der Bevölkerung viel mehr Empathie als es scheint", so Herbert Langthaler. Denn dieser Eindruck entspricht auch gar nicht den Erfahrungen, die die asylkoordination etwa bei den Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen macht. Sogar eine begrenzte Legalisierung des Aufenthaltsstatus von Menschen, die eine gewisse Zeit hier leben, hält Langthaler unter gewissen Konstellationen für mehrheitsfähig. Von AktivistInnen wird zudem eine Verbindung der unterschiedlichen Ebenen der antirassistischen Arbeit angestrebt. Der Konzentration in der politischen Praxis auf Wien soll durch die Verknüpfung mit dem Widerstand von Gemeinden in den Bundesländern, die sich für den Verbleib "ihrer" MigrantInnen in Österreich aussprechen, entgegengewirkt werden. Das Ziel ist dabei die Schaffung eines Raumes des Antirassismus, der die verschiedenen Ebenen des Widerstandes im Alltag zusammenführt. Für Michael Genner gehört neben der Aufklärung der Öffentlichkeit vor allem das unmittelbare Eingreifen, wenn jemand in Gefahr ist, abgeschoben zu werden, zu den wichtigen Handlungsoptionen. Jeder Mensch mit gutem Willen könne in seinem Alltag, in der Nachbarschaft und in der Schule aufmerksam sein und darauf achten, wo jemand von der Fremdenpolizei abgeholt wird und sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen, um auf die Strasse zu gehen und Abschiebungen zu verhindern. Antirassistische AktivistInnen heben hervor, dass schon durch das kritische Nachfragen bei einer Fluglinie, die Abschiebungen vollzieht, ein gewisser Druck erzeugt werden kann. Auch ist es schon vorgekommen, dass Fluggäste, die Zeugen einer Abschiebung wurden, sich schlicht weigerten, Platz zu nehmen - was jedoch gegenwärtig immer schwieriger wird, weil die EU zunehmend auf Charterabschiebungen durch die Grenzschutzagentur Frontex setzt, was einem Entzug der Kontrolle durch die Öffentlichkeit gleichkommt. Angesichts der rassistischen Hetze in gewissen kleinformatigen Tageszeitungen sehen AntirassistInnen einen weiteren Handlungsspielraum darin, eine mediale Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die von den AktivistInnen selbst gestaltet wird und die dazu beitragen kann, rassistische Stereotype aufzubrechen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Nach den Worten des Obmanns des Vereins FC Sans Papiers, Di-Tutu Bukasa, hat die Stürmung der Marswiese durch die Polizei die Mannschaft in einen Schockzustand versetzt und die Spieler sind frustriert. Der FC Sans Papiers sei gegründet worden, um die Jugendlichen auf dem Fußballfeld ihre eigene Stärke spüren zu lassen und sie von der Strasse fernzuhalten. "Aber dieser Traum ist um 80% reduziert", so Bukasa. Für die African Community ist die Polizeiaktion laut Alexis Nshimyimana Neuberg verbunden mit Angst und Erschrecken, denn viele fürchten sich nun davor, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Wenn die Macht nicht so ungleich verteilt wäre wie jetzt, dann hätten auch rassistische Diskurse in der Gesellschaft weniger Einfluss, meint Herbert Langthaler und fordert eine Öffnung der Institutionen gemäß dem Anteil der MigrantInnen in der Bevölkerung. Alexis Nshimyimana Neuberg wünscht sich eine Legalisierung zumindest für Menschen, die es aufgrund gewisser Integrationsfaktoren "verdienen". Gerade die hohen Hürden, um an Aufenthaltspapiere zu gelangen wie etwa der Nachweis eines Einkommens, stellen ein großes Problem dar, das negative gesellschaftliche und psychologische Folgen nach sich zieht. Neuberg nennt die französische Stadt Lyon als positives Beispiel, wo Personen, deren Asylverfahren nach einem Jahr noch nicht abgeschlossen ist, eine Arbeitserlaubnis erhalten. Kritisch sieht Neuberg auch den Umstand, dass die beiden Fußballer abgeschoben wurden, obwohl sie durch ihre Aktivitäten für die Mannschaft ein Bleiberecht genießen hätten sollen. Denn der FC Sans Papiers kann als erfolgreiches Modell der Integration betrachtet werden, da die Spieler gegen andere österreichische Mannschaften bei Turnieren und in der Liga antreten.
In Österreich fehlen laut Herbert Langthaler Strukturen, die - vergleichbar etwa den trotzkistischen Gewerkschaften in Frankreich - ein Rückgrat für Menschen ohne Papiere darstellen könnten. Hinzu kommt, dass in anderen Ländern ein höheres Ausmaß an Selbstorganisation der Betroffenen besteht - ein Ansatz, den in Österreich nicht zuletzt der FC Sans Papiers verfolgt. Selbstkritisch wird von AntirassistInnen angemerkt, dass der Widerstand gegen Abschiebungen letztlich nur ein unterstützender Kampf sein kann, der sich stets der Gefahr des Paternalismus bewusst sein muss. In den wenigen Fällen, bei denen eine Abschiebung wirksam verhindert werden konnte, waren es die MigrantInnen selbst, die aktiv handelten. Nichts desto trotz gibt es reichlichen Handlungsbedarf für AntirassistInnen: So drücken AktivistInnen im Gespräch den Wunsch nach einer Verbindung der Lebenswelten aus, etwa durch das Angebot von Beratung in rechtlichen Fragen oder von Freiräumen, in denen Menschen ohne geklärten Aufenthaltsstatus nicht permanent dem Druck durch die Exekutive ausgesetzt sind. Die antirassistischen Proteste haben den Spielern des FC Sans Papiers zumindest den Mut gegeben, weiterzumachen und nicht ganz mit dem Sport aufzuhören, so Di-Tutu Bukasa. Für die Zukunft wünscht sich Bukasa gemeinsame Trainings des FC Sans Papiers mit anderen Mannschaften sowie eine Amnestie für die Jugendlichen, damit sie legal hier bleiben können. Außerdem werde ein Spendenkonto eingerichtet, um die soziale Absicherung der Spieler zu ermöglichen. Der prekäre Status solle beendet werden, denn die Mitglieder des Vereins möchten nach den Worten ihres Obmanns "frei atmen können statt frustriert zu werden".