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Quellenangabe:
Aktionstag gegen die Karlsplatz 'Säuberung' (vom 15.07.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3438/, besucht am 22.11.2024

[15. Jul 2010]

Aktionstag gegen die Karlsplatz 'Säuberung'

Das Bündnis gegen die Räumung des Karlsplatzes ruft am Samstag, 17. juli 2010 ab 15:00 Uhr zu einer Kundgebung samt Straßenfest am Karlsplatz (Resselpark) in Wien auf.

Mit 1. Juni 2010 ist das erneuerte Wiener Landes Sicherheitsgesetzt in Kraft getreten. Die damit verbundene Ausweitung der Polizeibefugnisse für den öffentlichen Raum richtet sich hauptsächlich gegen sogenannte Randgruppen(*) im öffentlichen Raum. Mit 1. Juni 2010 hat auch ein Großaufgebot an Polizei angefangen die sogenannte Drogenszene vom Karlsplatz zu vertreiben. Zusätzlich wurde beschlossen, den Spritzentausch des Projekts streetwork zu schließen. Offizielle Begründung ist der Umbau des Karlsplatzes. Dass die Passage des 2006 frisch renovierten Streetwork-Projekts nicht von den Umbauarbeiten betroffen ist, scheint für die "Verantwortlichen" unerheblich. Denn im Oktober 2010 finden die Wiener Landtagswahlen statt. Während ÖVP und FPÖ seit langen schon gegen die User_innen vom Karlsplatz hetzen, scheint nun auch die SPÖ darauf zu setzten, sozialen Frieden nicht mehr erkaufen zu wollen, sondern durch den staatlichen Kontrollapparat herbeizuführen.


and the speed goes on


Schnell ging auch der Umbau des zuständigen Drogenhilfssystems des Vereins Wiener Sozialprojekte (VWS) einher. Ohne Einbindung der Basishackler_innen (geschweige denn der User_innen) wurden binnen kürzester Zeit langjährig erfolgreiche Projekte "umstrukturiert" und neue gegründet. Den bisherigen Höhepunkt stellt die Schließung des Spritzentausches am Karlsplatz dar, der direkt an die Szene angebunden war. Die Weiterführung von mühsam, über Jahre aufgebauter Betreuungsverhältnisse scheint nun äußerst fraglich, die negativen Auswirkungen bekommen die User_innen zu spüren. Die Erwartung der "Verantwortlichen", dass sich die bisher 4500 tgl. getauschten Spritzen in das andere Projekte verlagern, ist bisher nur eine Hoffnung geblieben. Weder die Entsorgung gebrauchter, noch die Versorgung mit sterilen Spritzen scheint derzeit gesichert.(')

Das Recht den öffentlichen Raum zu benützen gilt anscheinend nicht mehr für die sogenannten Randgruppen (wer sind die nächsten?). Untermauert wird diese Repression durch einen Sprachgebrauch ("Säuberung" und "bereinigen"), der klar macht, was Politik & Exekutive von den Betroffenen halten. Dass hier offen gegen eine Gruppe von Menschen gehetzt wird, die sich mangels Einfluss und Macht nicht wehren kann, ist ein weiterer Beleg für den momentan herrschenden Populismus.

Trotz Maulkörben für Sozialhackler_innen und trotz täglicher Repression gegen die Konsument_innen konnte eine öffentliche Debatte nicht unterdrückt werden. Proteste und Aktionen haben in letzter Zeit stark zugenommen. Auch wir, das Bündnis gegen die Räumung des Karlsplatzes, wollen unseren Beitrag leisten und rufen alle Betroffenen und Solidarischen dazu auf am Samstag, dem 17. Juli ab 15 Uhr in den Resselpark zu kommen.

Drogenkonsum ist immer noch mit Stigmatisierung verbunden (Arbeitgeber_innen, Familie, ...) und beteiligte Arbeiter_innen der Drogenprojekte könnten von Sanktionen seitens ihrer Geschäftsführungen betroffen sein.

Deswegen fordern wir alle auf, auf Fotos und andere Bildmaterialien zu verzichten! Wir wollen ausschließlich von uns erstelltes und anonymisiertes Bildmaterial online stellen und an die Medienvertreter_innen weiterleiten.

Wir sprechen uns mit unserer Kundgebung gegen die Zerschlagung eines (über-)lebenswichtigen Hilfssystems und gegen jede Form von polizeilicher Repression gegen Drogen konsumierende Menschen aus. Wir verurteilen jede Illegalisierung und Kriminalisierung von Drogenkonsument_innen. Wir unterstützen hingegen eine selbstbestimmte Organisierung(**) der User_innen und fordern eine Bereitstellung von Infrastruktur und Finanzmitteln durch das Drogenhilfssystem.

Wir sprechen uns dagegen aus, dass die Politik einer Mehrheit Angst vor einer wehrlosen Minderheit macht. Wir verurteilen deren Sprachgebrauch ("säubern" & "bereinigen"). Wir verurteilen die verantwortungslose Gefährdung von User_innen, Passant_innen und Anrainer_innen, die von den "Verantwortlichen" aufgrund der Schließung des Spritzentausches am Karlsplatz herbeigeführt wurde.(') Wir fordern öffentlichen Raum, Gesundheitsversorgung und ein freies Leben für alle. Wir sind solidarisch und lassen uns nicht gegeneinander ausspielen.

Wir sprechen uns gegen die Fremdbestimmung von oben aus, mit der derzeit über die Betroffenen hinwegadministriert wird. Wir verurteilen Maulkörbe für die Basis in den Drogenprojekten und fordern einen offiziellen und praktischen Verzicht auf Sanktionen gegenüber kritischen Sozialhackler_innen seitens der jeweiligen Geschäftsführungen. Wir treten für eine Diskussion ein, die getragen wird von den jeweils Betroffenen und den Expert_innen vor Ort. Eine Diskussion, die einen fortlaufenden und offenen Prozeß abseits von parteipolitischen Interessen eröffnet und bedürfnisorientierte Lösungen ermöglichen kann.('*)


Bündnis gegen die Räumung des Karlsplatzes
buendnis_karlsplatz (at) riseup.net




Anmerkungen


* Menschen, die an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt wurden.

** hierbei könnten die Starken Süchtigen www.starkesuechtige.at oder die JES-Gruppen www.jes.aidshilfe.de als Vorbild dienen

' durch den Spritzentausch am Karlsplatz konnten tgl. 4500 gebrauchte Spritzen entsorgt und gegen neue, sterile Spritzen getauscht werden. Da diese Möglichkeit nicht mehr besteht, ist die Gefahr, dass Spritzen mehrfach benützt und dann irgendwo entsorgt werden stark vergrößert worden. Das ist das Gegenteil einer guten HIV- und Hepatitis C-Prävention.

'* das beinhaltet eben auch Themen wie z.B. Diamorphinbehandlung, Konsumräume, iv-Substitution usw.