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Quellenangabe:
Libyen lässt 3000 Flüchtlinge frei. Inhaftierte MigrantInnen erhielten 3 monatigen Aufenthalt. (vom 22.07.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3445/, besucht am 26.04.2024

[22. Jul 2010]

Libyen lässt 3000 Flüchtlinge frei. Inhaftierte MigrantInnen erhielten 3 monatigen Aufenthalt.

Spekulationen und Überlegungen zu den strategischen Hintergründen dieser überraschenden Entwicklung

Libyen hat eine Massenbefreiung der inhaftierten Migranten vorgenommen. Nicht nur die 205 inhaftierten Eritreer in Braq wurden entlassen, sondern auch 2800 weitere Flüchtlinge und Migranten. Alle haben eine Aufenthaltserlaubnis für drei Monate erhalten, um sich Arbeit in Libyen zu suchen.

Es ist unklar, warum Ghaddafi plötzlich alle Lager öffnen ließ. War es
der europäische Druck auf den Leader nach der Verschleppung der Eritreer nach Braq? Diese waren nach einer Revolte am 30.6. im Lager von Misratah ins südlibysche Braq deportiert worden, da sie sich hatten geweigert hatten, Identifizierungspapiere für die eritreische Botschaft zu unterzeichnen. (vgl :: Brak: Massenabschiebung binnen einer Woche?) Libyen lässt sich nicht gern in seine Politik reinreden, so hat der libysche Botschafter in Rom, Hafed Gaddur, deutlich geäußert, dass niemand das Recht habe, sich in libysche Innenpolitik einzumischen.

Mit der Öffnung der 28 Zentren, die zum Teil von Italien finanziert
wurden, sind nun alle Migranten und Flüchtlinge auf freiem Fuß --
vielleicht ein 'Racheakt' Ghaddafis, um zu zeigen, dass er nicht mehr
gewillt ist, den Grenzpolizisten zu spielen, wenn sich die Europäer in
seine Politik mischen. Unter den 3000 Entlassenen befinden sich ca. 400 Eritreer, 205 davon waren in Braq inhaftiert. Diese jedoch können Sebha, die Wüstenstadt, in die sie nach der Freilassung gebracht wurden, offiziell nicht verlassen, da ihre Aufenthaltserlaubnis nur hier gilt.
Für die Eritreer dreht sich damit die Katze um den Schwanz, denn so
können sie sich keine Arbeit suchen, haben aber auch sonst keinerlei
Einkünfte und somit keine Zukunftschancen. Gabriele del Grande schreibt auf seinem Blog (fortresseurope.blogspot.com) und über facebook, dass er Anfang der Woche mit Kontaktpersonen in Libyen gesprochen habe, die ersten Eritreer aus Braq/Sebha seien in Tripolis angekommen - doch sie haben wieder einmal bezahlen müssen, wie alle anderen Flüchtlinge auch, nur so hätten sie einen LKW gefunden, der sie in die Hauptstadt gebracht habe.

Was aber bedeutet die Öffnung nun wirklich für die Verhandlungen
zwischen Libyen und der Europäischen Union? Ist Ghaddafi tatsächlich
nicht mehr gewillt, 'mitzuspielen'? Vor einigen Tage hatte er zumindest somalische Flüchtlinge, die vor Malta aufgegriffen worden waren, zurückgenommen. (vgl. :: Betrügerisch zurück geschoben. Die neue Grenze der maltesichen Patrouillen) Die 55 Somalis waren nach einem SOS von der maltesischen Marine gerettet, dann aber willkürlich getrennt und die Hälfte von ihnen auf ein inzwischen eingetroffenes libysches Boot umverteilt worden. Die Tageszeitung Malta Today zitierte die Armed Force of Malta, sie hätten einer Zurückschiebung nach Libyen zugestimmt, doch die in Malta verbliebenen Somalis berichteten der Zeitung, dass niemand wusste, dass die Hälfte nach Libyen zurück geschickt wurde. Es habe sich zwar um ein Schiff mit libyscher Flagge gehandelt, aber an Bord hätten alle italienisch geredet - sie dachten, ihre Mitreisenden würden nach Italien oder vielleicht auch nach Malta gebracht.

Ebenfalls letzte Woche erreichte ein Boot mit an die 236 Flüchtlingen,
hauptsächlich Eritreern, unter ihnen viele Frauen und Kinder, die
sizilianische Küste. Sie flohen, als sie die Küste erreichten, doch 49
von ihnen hat die Polizei wieder eingefangen und in die Erstaufnahme
nach Salina Grande (Trapani) gebracht. Sie hätten schon lange Zeit in
Libyen gelebt, berichteten die Eritreer. Dann kam die Revolte in
Misratha und die Deportierung nach Braq. Die Angst, gleiches Schicksal
zu erleiden hat sie sicherlich dazu bewegt, trotz allem loszufahren.
Aber vielleicht hat der Vorfall von Braq und die massive Kritik an ihrer Politik die Libyer auch dazu gebracht, ihre Grenzen wieder unbewachter zu lassen?

Judith Gleitze, borderline-europe, Sizilien
Palermo, 21.07.2010