no-racism.net Druckversion

Quellenangabe:
Sexarbeiter_innen stürmen Internationale AIDS Konferenz in Wien (vom 31.07.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3451/, besucht am 26.12.2024

[31. Jul 2010]

Sexarbeiter_innen stürmen Internationale AIDS Konferenz in Wien

Das AIDS- Fürsorge Programm PEPFAR der USA, weltweit größte Finanzierin von HIV/AIDS Programmen, ist an Bedingungen geknüpft: Organisation erhalten nur finanzielle Unterstützung aus den USA, wenn sie bezahlte Sexarbeit ablehnen und dürfen keine Projekte zur Unterstützung von Sexarbeiter_innen durchführen. Dagegen regt sich seit Jahren Widerstand.
:: Fotos vom Global Village

Unter der Regierung George W. Bush wurde das umstrittene PEPFAR (President's Emergency Plan for Aids Relief) im Jahr 2002 initiiert. Mit diesem milliardenschweren Programm werden weltweit gesundheitsfördernde Projekte im Zusammenhang mit HIV/AIDS finanziert, wobei jene, bei denen es um die medizinische Behandlung geht, durchaus Erfolge aufzeichnen und von vielen Seiten gelobt werden. Doch wenn es um Prävention und den Zugang zu medizinischen Untersuchungen geht, gibt es massive Kritik an der ideologisch gefärbten Politik. So beinhaltet PEPFAR zwei Einschränkungen bezüglich Sexarbeit:

1. Kein Geld aus den USA darf für Projekte zur Legalisierung oder Ausführung von Sexarbeit verwendet werden (was unter anderem die Verteilung von Gratis-Kondomen beinhaltet).

2. Jede Organisation, die Geld von den USA erhält - egal ob direkt oder über Umwege - muss eine Politik gegen Sexarbeit betreiben. Damit beruft sich das Programm auf den "anti-prostitution loyalty oath" (Anti-Prostitutions Treueeid), der bedingt, dass nicht nur über die Verwendung von US-Geldern Vorschriften gemacht werden, sondern diese für die komplette Arbeit von Organisationen gültig sind. So dürfen keine Projekte, die von anderen Geldgeber_innen finanziert werden, den Auflagen widersprechen, inklusive Co-Projekte und Projekte von meist lokalen und kleineren Organisationen, die ihre Arbeit teilweise in Zusammenarbeit mit den großen Subventionsempfänger_innen finanzieren.

Welchen Einfluss diese restriktive Politik hat, belegen ein paar Zahlen: PEPFAR operiert in mehr als 100 Ländern weltweit. Im Jahr 2009 wurden über PEPFAR 6 Milliarden US$ für Maßnahmen gegen HIV/AIDS zur Verfügung gestellt.

Organisationen, die dem "Treueeid" nicht zustimmten und sich weigerten, ihre Politik gegen Sexarbeiter_innen zu richten, erhielten in der Folge keine öffentlichen Gelder aus den USA. Projekten, deren Arbeit zur Prävention von HIV/AIDS als vorbildlich galt, wurde die Finanzierung verwehrt. Politiker_innen bekamen mit den Einschränkungen durch PEPFAR die Möglichkeit, ihnen nicht genehme Projekte zu durchleuchten und deren weitere Finanzierung in Frage zu stellen. ^


Gesundheitsgefährdende Finanzierungspolitik


Es ist eine scheinheilige, meist von "christlicher Moral" geprägte Anschauung, die mittels Fördergeldern weltweit verbreitet werden soll. Organisationen werden aufgefordert, sich als Gegenleistung für finanzielle Unterstützung wollen, gegen Sexarbeit und damit auch gegen Sexarbeiter_innen zu wenden. Viele Organisationen weigerten sich, diese Abkommen zu unterschreiben - deshalb wurden ihnen finanzielle Unterstützungen verweigert.

Massiv betroffen waren von dieser Finanzierungspolitik viele lokale Projekte weltweit, die oft in Zusammenarbeit mit großen Organisationen, die über riesige Budgets verfügen, direkt mit Sexarbeiter_innen arbeiteten. Um die Finanzierung aus US-Fördertöpfen nicht zu verlieren, wurden diese Kooperationen von den großen NGO's teilweise beendet. In mehreren Ländern, wie in Bangladesh Ende 2005, mussten Einrichtungen schließen, in denen sich die oft obdachlosen Sexarbeiter_innen bisher treffen konnten. Dies hatte zur Folge, dass sich Netzwerke, die mühsam aufgebaut wurden, auflösten und die Sexarbeiter_innen keinen Zugang zu den zuvor angebotenen Programmen mehr hatten. Eine unmittelbare Auswirkung dieser Politik war, dass der Zugang zu Kondomen nicht mehr vorhanden war. Somit war ein unmittelbares Resultat der offiziellen AIDS-Präventionspolitik, dass viele Sexarbeiter_innen gezwungen sind, ohne Kondome zu arbeiten. Damit erreichen die Maßnahmen der US-Förderpolitik die Zerstörung von zahlreichen Institutionen, die gesundheitspräventive Maßnahmen förderten - und die Rückkehr zu unsafen Sex Praktiken.


Der Vorwand


Eine Anti-Prostitutionspolitik unter dem Vorwand, gegen Menschen- bzw. Frauenhandel zu agieren, verschärft die Situation von Migrant_innen allgemein und Sexarbeiter_innen im Speziellen. Es hat den Anschein, dass die Gesundheit von Migrant_innen nicht zählt und sie bewusst Gesundheitsrisiken ausgesetzt werden. Denn nicht die Sexarbeiter_innen drängen auf sexuelle Dienstleistungen ohne Kondom, sondern die Freier, die sich oft die Rechtsunsicherheit von Sexarbeiter_innen zum Nutzen machen und versuchen, die Preise zu drücken und unsichere Praktiken wünschen. Die Gewaltverhältnisse entstehen vor allem aus den patriarchalen und rassistischen Gesellschaftsstrukturen, wie sie überall vorherrschen. Sexualisierte Gewalt bestimmt den Alltag von Frauen, homosexuellen und Transgender Personen nicht nur in der Sexarbeit. Der Entzug von Rechten über rassistische Gesetzgebung und Strukturen verstärkt diese Gewaltverhältnisse.

Diese Situation der Entrechtung ist es auch, die dazu führt, dass Menschen in Abhängigkeiten geraten. Da vielen Menschen die Migration über legalen Wege so gut wie unmöglich ist, sind sie gezwungen, heimliche Wege zu finden. Viele sind auf die Hilfe von Scouts und Fluchthelfer_innen angewiesen. Dass es hier auch kriminelle Strukturen gibt, ist angesichts der Bedingungen, unter denen heimliche Reisen organisiert werden müssen, nicht von der Hand zu weisen sind. Doch ist bekannt, dass staatliche Institutionen und zwischenstaatliche Organisationen sehr oft unter dem Vorwand, Menschenhandel zu bekämpfen, eine Politik betreiben, die sich gegen die Migrant_innen selbst richtet. Die angeblichen Opfer des Menschenhandels sind es, deren Lebenssituation durch die Maßnahmen der Anti-Trafficking-Politik massiv verschlechtert wird. Ihnen werden alle Rechte entzogen.

Im Anti-Trafficking Diskurs wird Menschenhandel meist auf Frauen- und Kinderhandel reduziert. Die Realität, dass auch Männer von Menschenhandel betroffen sind und dieser nicht nur in die Sexarbeit stattfindet, spielt in der Folge nur eine untergeordnete Rolle. Der Frauenhandelsdiskurs bedient sich der Vorstellung, keine Person würde freiwillig eine Tätigkeit als Sexarbeiter_in ausüben. Damit wird die Realität vollkommen verdreht, denn während viele Menschen diese Tätigkeit aus freien Stücken wählen und als erfüllte Erwerbsarbeit sehen, stellt Sexarbeit für viele Menschen, denen der Zugang zu regulären Erwerbsarbeitsmarkt verwehrt wird, eine mögliche Einnahmequelle dar. Inwiefern diese Möglichkeit "freiwillig" wahrgenommen wird, steht zur Debatte. Dabei ist anzumerken, dass die Rede von "Freiwilligkeit" an sich problematisch ist und ausblendet, dass viele Menschen des Überlebens willen gezwungen sind Tätigkeiten auszuführen, mit denen sie sich nicht identifizieren können. Der Zwang, Geld zu verdienen, stellt die "Freiwilligkeit" von Erwerbsarbeit grundsätzlich in Frage.


Sexarbeit = Arbeit


Die Stigmatisierung von Sexarbeit ist einerseits dafür verantwortlich, dass diese Tätigkeit als unmoralisch und verwerflich dargestellt wird und in fast allen Ländern Sonderbestimmungen unterliegt. In vielen Ländern ist Sexarbeit verboten. In Ländern wie Österreich müssen sie sich polizeilich registrieren lassen und Zwangsuntersuchungen unterziehen. Obwohl sie steuerpflichtig sind, wird ihre Tätigkeit nicht als Erwerbsarbeit anerkannt. Diese Stigmatisierung eröffnet den Behörden die Möglichkeit zur Diskriminierung. Weltweit kämpfen Sexarbeiter_innen gegen permanenten Polizeikontrollen und -übergriffe. Die Gewalt, von der immer wieder im Zusammenhang mit Menschenhandel gesprochen wird, geht vor allem von den Behörden aus.

Die Forderungen nach gleichen Rechten, der Anerkennung von Sexarbeit und einem Ende von Polizeigewalt, der Kampf gegen Diskriminierung und Ausgrenzung - all dies spielt in den offiziellen Programmen gegen Frauenhandel, auf den Menschenhandel in der Regel reduziert wird, keine Rolle. Denn in der offiziellen, von Rassismus und Sexismus dominierten Politik, werden diese Maßnahmen nicht hinterfragt. Ganz im Gegenteil: Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung gegen Migrant_innen werden dadurch bewusst gefördert. Organisationen, die u.a. in Gesundheitsprojekten mit Migrant_innen arbeiten und diese unterstützen, wurde die finanzielle Unterstützungen gestrichen, weil sie sich weigerten, Sexarbeiter_innen auszugrenzen.


Verstärkung von Stigmatisierung und Diskriminierung


Die Auswirkungen dieser Finanzierungspolitik sind gravierend und haben die Stigmatisierung und Diskriminierung von Sexarbeiter_innen und HIV-positiven Menschen verstärkt. So bedeutet das in den Guidelines festgeschriebene Verbot der Unterstützung gewerkschaftlicher Organisierung von Sexarbeiter_innen eine weitere Ebene der Verweigerung von Arbeitsrechten. Denn eine zentrale Forderung von Sexarbeiter_innen ist die Anerkennung ihrer Tätigkeiten als Erwerbsarbeit mit den entsprechenden Arbeitsrechten, wie eben auch gewerkschaftliche Organisierung.

Die politisch motivierten Vorgaben sprechen lokalen Projekten die Entscheidungshoheit über die eigene Arbeit ab. So soll die Arbeit von NGO's der Kontrolle von US-Behörden unterstellt werden. Unter der Regierung George W. Bush eingeführt, erhofften sich viele mit der Wahl Obamas, dass unter seiner Regierung sein Versprechen aus dem Wahlkampf umgesetzt und nicht länger an den diskriminierenden Klauseln bei PEPFAR festhalten würde. Doch wurden diese Hoffnungen bisher enttäuscht und das Programm mitsamt seiner diskriminierenden Mechanismen verlängert.


Widerstand


Eine Mitarbeiter_in des AIDS Hilfe Hauses erzählte :: auf Radio Orange, dass sich im Global Village die eigentliche Aidskonferenz abspielt. Sie schilderte ihre Eindrücke von früheren Konferenzen und erklärte, warum sich ein Besuch im Wiener Messezentrum lohnt. Dort befand sich das Global Village unmittelbar neben dem offiziellen Konferenzräumlichkeiten. Der Eintritt zum Global Village war für alle frei und sowohl große NGO's als auch Basisorganisationen aus allen möglichen Bereichen nutzten die Räume zu Austausch, Vernetzung und kritischem Diskurs. Anliegen, die auf der offiziellen Konferenz keinen Raum fanden, wurden dort präsentiert und diskutiert. In Wien lag ein Focus auf den Menschenrechten. Das offizielle Motto lautete: Rights here, rights now.

Sexarbeiter_innen sind seit der vierten Konferenz in Stockholm 1988 offiziell im Global Village vertreten, in Wien zeigten sie ihre bisher größten Präsenz im Rahmen der alle zwei Jahre stattfindenden Internationalen Aids Konferenzen. Sie beteiligten sich mit mehreren Ständen, Installationen und Veranstaltungen. Die Aktivitäten wurden in einem eigenen Programm, der NSWP Roadmap zusammengefasst (:: hier als pdf). Siehe dazu :: Sexarbeit auf der Welt Aids Konferenz 2010. Ein Diskussionsbeitrag.

Neben den offiziell angekündigten Programmpunkten gab es auch einige Interventionen. So wurde am Sonntag mit einem die-in aufgezeigt, dass Sexarbeiter_innen anwesend sind. Sie wurden direkt vor dem Eingang zu den offiziellen Konferenzräumlichkeiten sichtbar.

Um auf die gesundheits-beeinträchtigenden Folgen von PEPFAR aufmerksam zu machen und die verantwortlichen Politiker_innen direkt zu konfrontieren, kam es im Rahmen der IAC 2010 zu Protesten gegen Eric Goosby, den globalen Aids-Koordinator der USA. Mehrere Sexarbeiter_innen besuchten - ohne Eintrittskarten - eine Veranstaltung von Goosby. Als dieser davon Wind bekam, sagte er diese ab und lud statt dessen eine Pressekonferenz im Pressezentrum. Mehrere Aktivist_innen nahmen die Einladung wahr und verschafften sich Zutritt zum Pressezentrum. Die Securities stellten sich den lautstarken Sexarbeiter_innen und Unterstützer_innen nur kurz in den Weg. Gossby fand den für ihn unerwarteten Besuch auf seiner Pressekonferenz nicht lustig und verweigerte das von den Sexarbeiter_innen geforderte Gespräch. Er ließ sich von der Polizei aus dem Saal eskortieren. Für den Aids-Koordinator der USA sind solche Zwischenfälle nichts neues. Spätestens seit die Regierung Obama die Anwendung der umstrittenen PEPFAR Ausschlussklauseln verlängert hat, ist er massivem Druck gegen die Fortführung seiner Politik ausgesetzt. Nachdem Goosby verschwunden war, nutzten die Aktivist_innen die Gelegenheit und teilten den anwesenden Medienvertreter_innen ihre Anliegen mit (:: weitere Informationen auf englisch und Video beim NSWP).

Am Dienstag Abend kam es zu einem Höhepunkt im Rahmen der IAC 2010, dem Menschenrechtsmarsch. Ab 18:00 Uhr sammelten sich Aktivist_innen vor der Universität. Ca. zwei Stunden später zogen Tausende Richtung Heldenplatz, wo sich dann vor der Bühne mehr als 20.000 Menschen versammelten und die Menschenrechte einforderten. Siehe dazu den Bericht samt O-Tönen auf :: nochrichten.net.

Die nächste Internationale Aids Konferenz findet 2010 in Washington statt. Dort wird es wieder Protest gegen PEFPAR geben, sollte dieses Programm bis an der diskriminierenden Finanzierungspolitik festhalten. In Wien gab es dazu bereits erste Gespräche. Sicher ist, dass Sexarbeiter_innen nach Washington kommen werden, um ihre Stimme zu erheben. Doch bis dahin ist noch viel Zeit, in der Sexarbeiter_innen und alle anderen diskriminierten und stigmatisierten Gesellschaftsgruppen nicht ruhen werden und weiter für ihre Rechte kämpfen.


Die Forderungen


Wie bereits erwähnt waren zahlreiche Organisationen im Global Village vertreten und präsentierten dort ihre Forderungen. Die Sexarbeiter_innen, die extra aus mehreren Kontinenten angereist waren, bauten ein kleines "Rotlichtviertel" auf. Beim Stand des Global Network of Sex Work Projects (NSWP) lag eine für diesen Anlass erstellte Broschüre auf, in der Forderungen von Sexarbeiter_innen zusammenfassten wurden (:: hier auf englisch als pdf).

Mehrere Organisationen aus Österreich, LEFÖ, maiz, sexworker.at, SXA-Info und PiA, präsentierten ihre Forderungen in einem kleinen Bordell, über dessen Eingang in leuchtenden Lettern zu lesen war: (M)ORAL. Drinnen war mit Lippenstift auf den im Raum verteilten Spiegel zu lesen (hier übersetzt aus dem englischen):