Quellenangabe:
Überwältigt, durchsucht, verpackt, getötet (vom 01.08.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3456/,
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[01. Aug 2010]
Toter bei Ausschaf- fungsversuch am 17. März 2010 in Zürich: Augenzeugen und Mitopfer berichten.
:: Mit Bildergalerie
Am 17. März 2010 starb ein junger Mann im Flughafen Zürich, während er für die gewaltsame Ausschaffung «vorbereitet» wurde. Betroffene berichteten augenauf, wie sie für den abgebrochenen Ausschaffungs- Sonderflug «präpariert» wurden.
Seit 2006 wurden total 1286 Menschen gewaltsam mit Sonderflügen ab Zürich aus der Schweiz ausgeschafft.(*) Alle überlebten die Tortur. Verschnürt, verpackt, hilflos den Polizeibeamten ausgeliefert, in ein Flugzeug geschleppt und dort an den Sitz gefesselt, um gegen ihren Willen in ihr wirkliches oder auch nur angebliches Heimatland transportiert zu werden. Alex (richtiger Name ist augenauf bekannt) überlebte das standardisierte Verfahren zur inschüchterung und Fügbarmachung der Ausschaffungskandidaten nicht. Er starb am 17. März auf dem Gelände des Flughafens Zürich-Kloten. Die Untersuchungsergebnisse der Staatsanwaltschaft zu den Ursachen des Todes von Alex waren noch nicht bekannt, als dieser Artikel geschrieben wurde.
augenauf sprach aber mit zehn Zeugen, die ebenfalls mit dem nächtlichen Sonderflug vom 17. März hätten ausgeschafft werden sollen, und erstellte detaillierte Gesprächsprotokolle. Die Berichte der Zeugen decken sich mit den Fakten, die der Zürcher Regierungsrat in seiner Antwort auf eine Anfrage von Markus Bischoff(*) von der Alternativen Liste bekannt gegeben hat. Sie geben aber ein ungleich lebendigeres und realistischeres Bild von der «Vorbereitung» zur Zwangsausschaffung mit einem Sonderflug.
Ziel des bis zu 12-stündigen (!) Prozedere bis zur totalen Fesselung der Ausschaffungsopfer ist die Einschüchterung der Opfer. Jeder Gedanke an Widerstand oder Protest soll im Keim erstickt werden. Entweder sind die Opfer «verschnürt» und bewegungsunfähig oder dann sehen sie sich alleine mit einer Übermacht von bis zu 20 Polizisten konfrontiert.
Die «Vorbereitung» begann mit einer Lüge: Nach Mittag wurden die Opfer von einer Gefängnisangestellten aus der Zelle gerufen und informiert, sie hätten einen Termin bei der Polizei. Sie wurden zu einem Besprechungsraum geführt. Der Gefängnisangestellte klopfte, die Türe öffnete sich, im Büro waren fünf bis 20 Polizisten, die sich sofort auf das Opfer stürzten. Es folgte die erste Fesselung: Die Hände wurden mit Handschellen hinter dem Rücken gefesselt, ein nummerierter Boxhelm wurde über den Kopf gezogen. Einige Opfer berichteten, der Helm sei schmerzhaft stark fixiert worden.
Der Polizeitrupp brachte sein Opfer nun in eine Zelle. Die Handschellen wurden abgenommen. Der Gefangene musste sich nacktausziehen und wurde durchsucht. Danach musste er Gefängniskleider anziehen (einige Männer wurden auch wieder gefesselt) und wurde alleine in den «Bunker» (Arrestzelle) gebracht, wo er warten musste.
Zwischen 18 und 20 Uhr - die Prozedur dauerte nun bereits drei bis acht Stunden - kam ein Mitglied des Gefängniskaders zusammen mit vier bis 20 Polizisten. Das Opfer musste nun «Ausschaffungskleider» (Jeans, T-Shirt) anziehen. Einige bekamen bereits jenen breiten Gurt um die Hüfte geschnallt, an dem später die Hände fixiert wurden; allen, ausser einem, wurden wieder Handschellen verpasst und der Boxhelm übergestülpt.
Nun wurde jeder einzeln - begleitet von sechs bis 20 Polizisten - in einem Bus in eine Halle in der Nähe des Flugzeugs (eine Boeing MD-90 des Ausschaffungsspezialisten Hello) gebracht. In dieser Halle, die man offenbar extra für die Zwangs ausschaffungen eingerichtet hatte, wurden alle Ausschaffungsopfer versammelt und für den Flug «verschnürt».
Einige der Zeugen, mit denen wir sprachen, begriffen erst jetzt, dass sie gewaltsam ausgeschafft werden sollten, weil sie zum ersten Mal die anderen Opfer sahen. In der Halle gab es Plastikstühle, darauf bereits total gefesselte Gefangene. Alle hatten einen Helm auf und konnten fast nur geradeaus schauen.
Die Fesselungsinstrumente (Manschetten für Arme und Beine, Bauchgurt, Kabelbinder) waren schön parat gelegt und ersetzten bald die Handschellen. Die Manschetten wurden nun um Unterarme und -schenkel gelegt. Man band dem Opfer einen mit Ösen versehenen Gurt um den Bauch. Mit Kabelbindern wurden dann die Manschetten, die an den Handgelenken angebracht wurden, an den Bauchgurt gebunden. Die Fussmanschetten wurden ebenfalls zusammengebunden. Hand- und Fussfesseln wurden straff miteinander verbunden. Aufstehen oder sich Strecken ging nun nicht mehr.
Einige wurden nun an den Oberarmen und -schenkeln auf den Plastikstuhl gebunden. Anderen befestigte man an den Oberarm Manschetten Seile (:: siehe Zeichnung), mit denen man die Opfer von hinten «zurückziehen» und «führen» konnte. Ein Ausschaffungsopfer aus dem Kanton Waadt erzählt später, die Bauchgurte seien so stark angezogen worden, dass er mehrmals erbrechen musste.
Nun sassen die Opfer also gefesselt auf den Plastikstühlen, links und rechts von ihnen Polizisten. Die «Passagiere» des unfreiwilligen Fluges sahen und hörten sich, konnten sich aber wegen der Helme nicht erkennen. Einige Zeugen sagten, die Halle sei von Weinen und Schreien erfüllt gewesen, andere haben das nicht so empfunden.
Entmutigen, demütigen: Wer auf die Toilette musste, durfte in Begleitung eines Polizisten mit Kleinstschritten in Richtung WC schlurfen - die Füsse waren ja zusammengebunden. Die zur Toilette Gehenden wurden dabei von einem Polizisten am Seil gehalten. Auf der Toilette musste sich das Opfer gefallen lassen, dass sein Penis von einem Polizisten aus der Hose gefischt wurde, die Hände blieben am Bauchgurt fixiert.
Wieder einzeln wurden die Leute mit einem Bus ins Flugzeug gebracht. Sie wurden mit der Nummer am Helm aufgerufen (hörten die Namen ihrer Leidensgenossen also nicht) und trippelten mit gefesselten Füssen zum Bus. Sie waren so stark gefesselt, dass die Polizisten sie in den Bus heben mussten. Andere wurden samt den Stühlen, auf die sie gefesselt waren, in den Bus und danach ins Flugzeug getragen. Grössere und schwerere Gefangene wurden auf einen Flugzeugrollstuhl gefesselt, darauf zum Bus gerollt und danach die Treppe hoch ins Flugzeug getragen.
Im Flugzeug wurden die Opfer zusätzlich mit dem «normalen» Flugzeuggurt und mit einer Gurte um den Oberschenkel und einem Seil um den Oberkörper an den Sitz gefesselt. Neben und hinter dem Opfer sassen Polizisten.
Die Polizisten hatten offenbar Angst, dass ihre Opfer vom Tod von Alex erfahren könnten - kein Wunder, bei dieser Behandlung. Nach längerem Warten wurden die Polizisten aus dem Flugzeug gerufen. Danach wurde das Gepäck wieder ausgeladen, später die Gefangenen wieder in die Halle zurückgebracht, wo die Spezialfesselung wieder durch Handschellen ersetzt wurde. Die Polizisten sagten etwas von «administrativen Problemen». Etwa um zwei Uhr morgens waren die Gefangenen zurück im Gefängnis (respektive auf dem Weg ins Ausschaffungsgefängnis Frambois), wo ihnen endlich auch der Helm wieder abgenommen wurde.
Auch am nächsten Tag informierten weder Polizei noch Gefängnispersonal die «Passagiere» des abgebrochenen Flugs über den Tod ihres Leidensgenossen. Sie waren in der Zwischenzeit wieder in die Zellen zurückgebracht worden und erfuhren die schreckliche Nachricht aus dem TV. Gefängnisdirektor Gerber bequemte sich erst am zweiten Tag nach dem tödlichen Ausschaffungsversuch, die Gefangenen über das Vorgefallene zu informieren.
* Quelle: Antwort des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 19. Mai 2010 auf eine Interpellation bezüglich Zwangsausschaffungen und des Todes von Alex. (www.kantonsrat.zh.ch: Suchen nach KR-Nr. 82/2010)
Artikel von augenauf Zürich, zuerst erschienen in augenauf Bulletin Nr. 65; Juni 2010, :: augenauf.ch