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Quellenangabe:
Abschiebehaft macht Menschen krank (vom 10.08.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3467/, besucht am 28.03.2024

[10. Aug 2010]

Abschiebehaft macht Menschen krank

Eine Studie des Jesuit_innen Flüchtlings- dienst Europa belegt, wie Abschiebehaft Menschen krank macht.

"Quälendes Warten - wie Abschiebungshaft Menschen krank macht", so ist eine Studie der deutschsprachigen Ausgabe des Jesuit_innen-Flüchtlingsdienstes (JRS) überschrieben, deren Ergebnisse für Deutschland Anfang Juli 2010 vorgestellt wurden. Abschiebungshaft fügt Menschen unnötiges Leid zu und beeinträchtigt ihre körperliche und seelische Gesundheit, so das zentrale Ergebnis.

Die Studie zeichnet ein umfassendes Bild der Lage von Abschiebungshäftlingen in 22 europäischen Staaten und lässt die Betroffenen selbst ausführlich zu Wort kommen. Es zeigt sich, dass die Häftlinge in erheblichem Maß unter der Unsicherheit über die eigene Zukunft, einem Mangel an Informationen und der Isolation von Familie und Freund_innen leiden. Sie fühlen sich als Kriminelle behandelt, obwohl ihnen in der Regel nicht mehr als der Verstoß gegen Einreisebestimmungen vorgeworfen wird.

Angesichts der Ergebnisse der Untersuchung tritt der Jesuiten-Flüchtlingsdienst dafür ein, stärker als bisher Alternativen zur Verhängung von Abschiebungshaft zu berücksichtigen, die Betroffenen konsequent getrennt von Strafgefangenen unterzubringen, die Dauer der Haft auf maximal drei Monate zu begrenzen und kostenlose Rechtsberatung zu ermöglichen. Was fehlt, ist die Forderung nach genereller Abschaffung der Abschiebehaft.


Das Projekt "DEVAS" - Einführung aus dem Bericht


Nach den Beobachtungen des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes und seiner Partner[_innen]organisationen wird immer häufiger Abschiebungshaft über Asylsuchende und irreguläre Migrant[_inn]en verhängt, die die Europäische Union erreichen. Trotz der Bemühungen um eine europaweite Harmonisierung der Migrationspolitik herrschen dabei erhebliche Unterschiede in den Bedingungen, auf die die Betroffenen in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der Union treffen. Während einzelne Staaten praktisch jeden Neuankömmling internieren, gelten in anderen strengere rechtliche Regelungen. Auch die Haftbedingungen, der Zugang zu medizinischer Versorgung und rechtlicher Beratung unterscheiden sich stark voneinander. Häufig werden Abschiebungshäftlinge allerdings unter Bedingungen untergebracht, die sich von denen der Strafhaft kaum unterscheiden.

Das Ziel des Projekts "DEVAS" (Civil Society Report on the Detention of Vulnerable Asylum Seekers and Irregular Migrants in the European Union) war es, die Schutzbedürftigkeit von Asylbewerber[_inne]n und irregulären Migrant[_inn]en in der Abschiebungshaft zu erforschen und zu analysieren: sowohl die Art und Weise, in der Personen, die besonders schutzbedürftigen Gruppen zuzurechnen sind, mit der Situation der Haft umgehen, als auch die Wege, auf denen Abschiebungshaft Schutzbedürftigkeit bei Personen auslöst, die zuvor keine offiziell anerkannten besonderen Schutzbedarfe oder sonstigen besonderen Bedürfnisse aufwiesen.

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Europa koordinierte in Partner[_innen]schaft mit Nichtregierungsorganisationen in 23 Mitgliedsstaaten über einen Zeitraum von 18 Monaten hinweg die Durchführung von insgesamt 685 Einzelinterviews mit Abschiebungshäftlingen. Sämtliche Partner[_innen]organisationen sind in ihren jeweiligen Länder in der unmittelbaren Begleitung und Unterstützung von Abschiebungshäftlingen, dem Monitoring von Abschiebungs- und Haftbedingungen, der Schulung des Personals von Hafteinrichtungen oder anderweitig mit der Situation von Abschiebungshäftlingen befasst. Die Stichprobe zeigt, dass trotz erheblicher Unterschiede in den persönlichen Lebensumständen der Häftlinge ein einheitlich negativer Effekt auf die Betroffenen nachzuweisen ist. Ergänzend zu den Abschiebungshäftlingen interviewten die Projektpartner[_innen] auch Mitarbeiter[_innen] der Hafteinrichtungen sowie anderer Nichtregierungsorganisationen, die in den Einrichtungen tätig waren, und führten eine Erhebung der Asyl- und Einwanderungsgesetze in den jeweiligen Ländern durch. Die Ergebnisse der Interviews und Erhebungen sind in den 22 Länderberichten enthalten, die im Rahmen des vollständigen DEVAS-Abschlussberichts veröffentlicht wurden.

Die vorliegende Studie baut auf früheren Berichten und Projekten auf, die sich mit der Frage der Schutzbedürftigkeit in Abschiebungshaft befasst haben.(1) Sie analysiert die Situation von Individuen und Gruppen, die offiziell anerkannte besondere Bedürfnisse aufweisen (z. B. Minderjährige, junge Frauen mit Kindern, Ältere, Traumatisierte, anderweitig Kranke oder Folteropfer).(2) Sie analysiert aber auch die Situation derjenigen Abschiebungshäftlinge, die sonst eher wenig Beachtung finden: junge, alleinstehende Männer ohne festgestellte körperliche oder psychische Erkrankungen oder Abschiebungshäftlinge, die sich bereits über einen längeren Zeitraum hinweg in Haft befinden.

Vor allem aber bedeutet die vorliegende Studie deshalb einen Schritt voran in der Diskussion um Schutzbedürftigkeit und Abschiebungshaft, weil ihre Ergebnisse weitgehend auf den Stimmen der Betroffenen selbst beruhen. Das Verständnis von Schutzbedürftigkeit, wie es sich aus der Studie ergibt, beschreibt damit unmittelbar die Erfahrungen der Abschiebungshäftlinge, wie sie selbst sie schildern.



Anmerkungen


1 Vgl. nur die früheren Untersuchungen des Jesuiten-Flüchtlingsdiensts Europa, "Detention in Europe" (2005) und "Administrative Detention of Asylum Seekers and Illegally Staying Third Country Nationals in the 10 New Member States of the European Union" (2007), beide verfügbar unter www.detention-in-europe.org, sowie die umfangreiche Datenbank des UN-Flüchtlingshochkommissariats zu Themen der Abschiebungshaft, www.unhcr.org/refworld/detention.html; weitere Nachweise im englischen Volltext der vorliegenden Studie.
2 Vgl. zu einer entsprechenden Definition von Schutzbedürftigkeit: "UNHCR Revised Guidelines on Applicable Criteria and Standards Relating to the Detention of Asylum Seekers" (1999), www.unhcr.org, sowie die EU-Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG); eher den Akzent auf äußere Faktoren als persönliche Eigenschaften setzend: "STEPS - Consulting Social Study for the European Parliament" (2008), S. 30; ausführlichere Auseinandersetzung mit beiden Ansätzen ebenfalls im englischen Volltext der vorliegenden Studie.

Quellen :: aha-bueren.de, 04. Aug 2010, :: Studie auf jesuiten-fluechtlingsdienst.de (pdf)