Quellenangabe:
Weder Internierung noch Abschiebung - Aktionstag für Bewegungsfreiheit in Wien (vom 23.10.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3533/,
besucht am 26.12.2024
[23. Oct 2010]
Am 19. Oktober 2010 fand ein Aktionstag gegen die geplanten Verschärfungen des Asyl- und Fremdenrechts in Österreich statt. Aus aktuellem Anlass wurde die Demonstration zu einem lautstarken Protest von Schüler_innen gegen Abschiebungen: Araksya muss bleiben! Ein Bericht mit O-Tönen und :: kommentierte Fotostrecke.
Beginn des Aktionstages war um 9.00 Uhr. Während sich die ersten Aktivist_innen zu einer Kundgebung am Ballhausplatz einfanden, luden Schüler_innen des Bundesoberstufenrealgymnasiums in der Landstraßer Hauptstraße 70 im 3. Wiener Gemeindebezirk (BORG 3) zur Pressekonferenz. In der :: Einladung wird klargestellt: "Wir lassen uns die inhumane Abschiebepolitik der Frau Innenministerin Fekter nicht länger gefallen". Eine Woche zuvor, am 13. Oktober 2010, wollten fünf Polizist_innen in Zivil die Schülerin Araksya M. aus dem BORG 3 abholen, um sie in Schubhaft zu bringen und in der Folge abzuschieben. Doch die Schülerin tauchte rechtzeitig unter und entzog sich somit der Abschiebung. Ihre Mutter, die zu diesem Zeitpunkt bereits verhaftet war, wurde deshalb mitten in der Nacht wieder freigelassen. Die Behörden wussten bereits vor dem gescheiterten Abschiebeversuch, dass die Mutter schwer suizidgefährdet ist. Erst kurz zuvor war sie nach der Behandlung wegen eines Suizidversuches aus dem Spital entlassen worden.
In der Schule entwickelten sich nach dem bekannt werden der versuchten Abschiebung Proteste. Ein Vertreter der Schüler_innen dazu: "Es kann nicht sein, dass unsere Mitschüler_innen aus ihren Klassenzimmern und ihrem Lebensumfeld heraus gerissen werden!"
Die Schüler_innen begannen mit dem Sammeln von Unterschriften und gestalteten ihre Schule um. Auf der Fassade des Gebäudes wurden Plakate angebracht, auf denen in großen Buchstaben der Name Araksyas steht und zusätzlich in kleiner Schrift Botschaften gegen Abschiebung. Es gab Schüler_innenversammlungen, bei denen Informationen ausgetauscht und Proteste organisiert wurden. Mittlerweile sind mehr als 30 Schulen in Österreich in der Plattform "Aus mit Raus" vernetzt. Die versuchte Abschiebung von Araksya ist dabei nur der Anlassfall, doch in Wirklichkeit sind in fast allen Schulen Schüler_innen in einer ähnlichen Situation - akut von Abschiebung bedroht. Die Schüler_innen sind dagegen, dass ihre Freund_innen und Mitschüler_innen einfach von der Polizei abgeholt und aus ihrer Mitte gerissen werden. Sie verlangen humanitäres Bleiberecht für Araksya und ihre Mutter, die Abschaffung von Schubhaft und eine Änderung der Gesetze, damit derartiges nicht mehr geschieht. Weitere Forderungen der Schüler_innen sind die Entkriminalisierung und eine Arbeitserlaubnis bei laufendem Verfahren für Asylwerber_innen.
Um diese Forderungen zu bekräftigen wurde unter dem Titel "Araksya muss bleiben!" für 11:00 zur Demonstration auf den Ballhausplatz aufgerufen.
Ein Audio-Mitschnitt der Pressekonferenz findet sich auf :: cba.fro.at.
Bereits seit längerem gibt es einen Aufruf für 19. Oktober 2010 zu einem antirassistischen Aktionstag.(*) Anlass dafür war eine Minister_innenratssitzung, bei der die Regierung weitere Verschärfungen des Asyl- und Fremdenrechts beschließen wollte. Als zentral wurden im :: Aufruf folgende Punkte genannt:
1. Was unter "Mitwirkungspflicht" diskutiert wird, ist de facto Haft für Flüchtlinge in den ersten 5-7 Tagen ihres Zulassungsverfahren zum Asylverfahren (=die Zeit, in der geprüft wird, ob jemandem das Recht auf ein Asylverfahren erteilt wird). In dieser Zeit darf die Erstaufnahmestelle (Thalham, Traiskirchen, Schwechat) dann nicht mehr verlassen werden. Das bedeutet neben Freiheitsentzug die Verunmöglichung eines legalen Zugangs zu unabhängiger Rechtsberatung sowie die erschwerte Kontaktaufnahme mit Vertrauenspersonen.
2. Während dieser Zeit müssen die Flüchtlinge, zynisch genug, eine "rote Karte" bei sich tragen, die die Identifzierung durch Behörden möglich macht. Wenn sie das Erstaufnahmezentrum verlassen und von der Polizei kontrolliert werden, was systematisch der Fall ist, können Verwaltungsstrafen bis hin zur Verhängung von Schubhaft folgen.
Die Innenministerin ließ wohl aufgrund der in den Tagen vor der Sitzung massiven Kritik an der Abschiebepraxis den Beschluss der rassistischen Gesetze kurzfristig von der Tagesordnung streichen. Die Proteste fanden trotzdem statt. Ab 9.00 versammelten sich die ersten Aktivist_innen mit Transparenten und Spruchtafeln zu einer Kundgebung am Ballhausplatz, um die eintreffenden Minister_innen zu empfangen.
Um 10:15 startete ein alternativer Minister_innenrat mit Minister_innen und Staatssekretär_innen für Umverteilung und Bewegungsfreiheit, für Legalisierung von Illegalisierten, gegen das Versagen der politischen Eliten, für Antirassismus und Solidarität, für Sexarbeit, für die Schließung von Schubhäfen, Erstaufnahmeeinrichtungen und sonstigen Lagern, für ein bedingungsloses Bleiberecht für alle und für demokratische Globalisierung. Sie brachten ihre Vorschläge für die Schaffung von Bewegungsfreiheit für alle und die Abschaffung von Grenzen ein und erklärten, wie das Rassismusproblem gelöst werden kann.
Nachzuhören als :: O-Ton auf cba.fro.at und in der :: Zip-FM Sondersendung zum Aktionstag.
Ursprünglich als Demonstration gegen die geplanten Restriktionen im Fremdenrecht geplant, führten die aktuellen Ereignisse dazu, dass sich die Schüler_innen des BORG 3 und zahlreicher anderer Schulen daran beteiligten. Die Forderungen aus beiden Aufrufen ergänzten sich - und bekräftigten die Forderung nach Bewegungsfreiheit für alle.
Auf :: ausmitraus.aks.at bezeichnen die Schüler_innen die Demonstration als vollen Erfolg. Rund 2000 Teilnehmer_innen waren bei der Demonstration vom Ballhausplatz bis zum Schubhaftzentrum Rossauer Lände dabei. Allein das BORG 3, jene Schule, welche die 14-jährige Araksya besucht, war mit über 350 Schüler_innen vertreten. Damit haben wir ein deutliches Zeichen gesetzt, wir haben gezeigt, dass die Solidarität unter Schüler_innen groß ist. Wir hoffen, dass unsere Botschaft bei Ministerin Fekter angekommen ist und die Aktion so Auswirkungen auf die Realpolitik hat..."
Für die Schüler_innen war die Demonstration erst der Anfang ihrer Proteste. Auf :: ausmitraus.aks.at wurde eine Vernetzungsplattform geschaffen, an der sich die Schüler_innenvertretungen von mehr als 30 Schulen beteiligen. Unterstützung erhalten die Schüler_innen von der SPÖ-nahen Achse kritischer Schüler_innen (AKS), deren Forderungen weit entfernt sind von der Politik der SPÖ. In einem Gespräch mit no-racism.net sagte ein Vertreter der AKS, dass seine Organisation für Bewegungsfreiheit für alle eintritt: "Wir sind dafür, dass niemand abgeschoben wird."
Akustische Eindrücke von der Demonstration sind nachzuhören in der :: Zip-FM Sondersendung zum Aktionstag am 19. Oktober 2010.
Am Ende der Demonstration riefen mehrere Gruppen zur Organisierung eines :: Schulstreiks auf. Unter dem Motto "Hände weg von unseren Freund_innen & Mitschüler_innen!" sollen "Hände weg" - Gruppen an den Schulen gegründet werden, um ein Bewusstsein gegen die Abschiebepolitik zu schaffen und im Fall von drohenden Abschiebungen reagieren zu können. Die Schüler_innen wollen nicht länger zusehen, wie tagtäglich Menschen aus ihrer Mitte abgeholt und abgeschoben werden - einfach verschwinden.
"Die Zeitungen sind voll davon, die Leute in der U-Bahn reden darüber... Das ganze Land debattiert über die Abschiebepraxis der Regierung. Immer mehr kommt ans Licht, von Babies, die abgeschoben werden sollen, bis zu MitschülerInnen wie Araksya oder Arigona. Es geht hier nicht um Zahlen oder Statistiken. Es geht um Menschen! Um unsere MitschülerInnen, um unsere FreundInnen. Gründet "Hände weg" - Gruppen an der Schule."
In einem Aufruf zu einem :: Planungstreffen für weitere Proteste ist zu lesen:
"Dass die Schüler_innen hinter Araksya stehen und wenn nötig auf die Straße gehen, haben wir schon bewiesen. Doch noch ist die Abschiebung von Araksya und ihrer Mutter nicht vom Tisch, und solange sich die Gesetze nicht ändern, müssen täglich tausende Menschen zittern.
Deswegen werden wir nicht ruhen, wir setzen uns weiter für Araksya und ihre Familie ein. Deswegen müssen wir weitere Aktionen planen.
Dafür gibt es am Montag dem 25.10. um 17:00 am Schmerlingplatz 2 ein Planungstreffen. Alle Menschen die interessiert sind, sind herzlich eingeladen zu kommen."
Auch die Proteste gegen die geplanten Verschärfungen des Asyl- und Fremdenrechts werden weiter gehen. Denn verschoben ist nicht aufgehoben. Wie und in welcher Form, wird sich zeigen. Genauere Informationen dazu findet ihr - sobald bekannt - auf no-racism.net.
(*) Der Umstand, dass die KPÖ unter den Unterstützer_innen des "Rote Karte Stoppen!"-Bündnisses aufscheint, hat mehrere Personen dazu bewogen, den gemeinsamen Aufruf nicht zu unterstützen, was aber nicht davor abhalten sollte, sich an den Protesten zu beteiligen. Als kurze Erklärung sei angemerkt, dass die KPÖ seit dem Verkauf des :: Ernst Krichweger Hauses bei antirassistischen Bündnissen nicht erwünscht war und von sich aus so gut wie nie in Erscheinung getreten ist.