no-racism.net Druckversion

Quellenangabe:
Demonstration zum 'Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen' in Wien (vom 13.11.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3556/, besucht am 24.04.2024

[13. Nov 2010]

Demonstration zum 'Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen' in Wien

Aufruf zur Frauen Lesben Mädchen Demonstration anlässliches des "Internati- onalen Tag gegen Gewalt an Frauen", Donnerstag, 25. Nov 2010, U6 Josefstädterstr., 17 Uhr Kundgebung, 18 Uhr Demobeginn.

Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache, sondern geht uns alle an!


Anlässlich des "Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen" organisieren wir uns als FrauenLesbenMädchen als feministische Demonstration, erobern uns die Straße und die Nacht zurück. Wir rufen alle Frauen auf, unseren Frust und Schmerz, unseren Zorn und unsere Wut gemeinsam und organisiert auf die Straße zu tragen. Wir benennen und bekämpfen Gewalt gegen Frauen, beziehen uns aufeinander und handeln in Solidarität mit allen Frauen!

Als Frauen lernen wir von klein auf, dass unsere Rolle oder besser gesagt unsere Funktion darin besteht, unseren Ehemann oder Partner zu hegen, und im fortgeschrittenen Alter, dann auch noch zu pflegen, Kinder zu gebären und aufzuziehen, uns für den Arbeitsmarkt fit zu machen und das häusliche Heim fein und sauber zu halten. Zusätzlich zu dieser patriarchalen Arbeitsteilung im Haushalt wird zum einen die Erwerbsarbeit in so genannten frauentypischen Berufen geringer entlohnt und zum anderen werden Frauen in den übrigen Berufsgruppen häufig schlechter bezahlt als Männer. Die neoliberale Ideologie spricht von Gleichberechtigung. Fakt ist aber, dass 80% der Frauen von ihrer Lohnarbeit nicht eigenständig leben können.


Von uns wird erwartet: immer nett zu lächeln, ja ruhig und verhalten zu sein, GästInnen zu bewirten, uns für die Typen schick zu machen, also: vorgegebene männliche Schönheitsnormen zu bedienen. Auch das sind Zwänge in denen Frauen gefangen gehalten werden. Zusätzlich sind Haarentfernung, Diäten, Brustvergrößerungen und -verkleinerungen oder Vaginalverengungen Zurichtungen unser Frauenkörper im Namen der patriarchalen Schönheitszwänge, die dem Profitinteresse der Ärzte und der Pharmaindustrie dienen.

Wie oft grübelt jede von uns für sich, löst Probleme lieber mit sich selbst, aus Angst und Scham oder fehlendem Selbstwertgefühl? Frauen haben im Gegensatz zu Männern gelernt angestaute Aggressionen gegen sich zu wenden, versuchen ihre Probleme mit sich selbst auszumachen als andere damit zu "belasten". Die Überlastung der Frau durch den Zwang der patriarchal - strukturierten Gesellschaft (Mehrfachbelastung durch Arbeit, Kinder und Haushalt...) ist heutzutage verbreitet denn je und führt nicht selten zu Depressionen, Burn Out und Suizidversuchen. Die systematische Umgangsform damit wie zb.: Zwangseinweisungen in psychiatrische Einrichtungen ist Gewalt. Die Reaktionen der Gesellschaft sind meist keine Hilfestellung, schnell werden die Betroffenen als "zu schwach", "verrückt", "verhaltensgestört" und "abnormal" dargestellt, so lange bis sich Frauen dann selbst dafür verantwortlich machen.


Heute wollen wir als Demonstration zusammenkommen, die Isolation und das Schweigen durchbrechen, neue Antworten finden, gemeinsam stark sein! Unsere Erfahrungen sind so verschieden wie unsere Lebensbedingungen ebenso wie unsere Methoden uns zu wehren. Die einen organisieren Demonstrationen in Städten, die anderen führen den bewaffneten Befreiungskampf in den Bergen, andere lassen sich gerade scheiden, die einen verteidigen sich gegen Vergewaltiger und Schläger. Auch wenn wir uns manchmal gegeneinander aufhetzen lassen, miteinander streiten, Eifersucht und Konkurrenz gegeneinander ausüben, verbindet uns eine gemeinsame Realität in der wir nicht nur Opfer sind, sondern uns gemeinsam wehren. Wir wehren uns alltäglich in unseren Schlafzimmern, an unserem Arbeitsplatz, in unseren Beziehungen und in der Ehe, auf der Straße, in Familien gegen strukturelle Gewalt. Unabhängig davon in welchem Staat wir leben oder wo wir aufgewachsen sind, als Frau, als Mädchen, als Lesbe, als Migrantin, als Illegalisierte, als Angestellte oder Arbeiterin, als Schülerin, als Ehefrau haben wir alle unterschiedliche Erfahrungen mit patriarchaler Gewalt.

Die (neo)liberalen Ideologien erklären Geschlechterverhältnisse als persönliche Wahlmöglichkeit und damit zum individuellen Problem. "Moderne" Wissenschaften und Religionen begründen hierarchische Geschlechterverhältnisse und soziale Geschlechterrollen als biologisch, natürlich oder "gottgewollt". Die maskulistische Väterrechtsbewegung will mittels verpflichtender "Gemeinsamer Obsorge" wieder mehr Kontrolle über "ihre" Frauen und Kinder. Aber in 95% aller Trennungsfälle übernimmt die Frau das alleinige Sorgerecht für die Kinder.


AbtreibungsgegnerInnen wie die KlerikalfaschistInnen HLI stellen die Selbstbestimmung der Frauen in Frage. Wenn Frauen bei ungewollten Schwangerschaften abtreiben wollen haben sie dies noch immer aus eigener Kasse zu zahlen. Auf dem Weg zur Entscheidungsfindung werden sie vom näheren Umfeld oder vor Kliniken von Abtreibungsgegnern unter massiven psychischen Druck gesetzt es nicht zu tun.


In der Porno- und Sexindustrie und durch die Pornografisierung der Gesellschaft in den Medien, der Werbung, Musik- und Kunstindustrie wird Gewalt gegen Frauen alltäglich. Sexismus ist brutaler Alltag. 70% der Gewaltdelikte gegen Frauen - Frauenmorde, Vergewaltigungen, Misshandlungen, sexuelle Ausbeutung, werden von Männern aus dem privaten Umfeld verübt. Männergewalt gegen Frauen hat System, ist Teil struktureller Gewalt. Diese Vergewaltigungskultur ist ein Angriff auf den Freiheitswillen und den Freiheitskampf von uns Frauen.


Mit der Demonstration nehmen wir uns als Frauen den öffentlichen Raum zurück. Die Nutzung des öffentlichen Raumes wird immer mehr kontrolliert, überwacht und eingeschränkt, etwa durch Reglementierung von Demonstrationsrouten und Demoverboten. Das seit Juni 2010 erneuerte "Wiener Landes Sicherheitsgesetz" bedeutet Repression und Vertreibung von Personen und -gruppen, die nach der herrschenden Norm nicht ins öffentliche Stadtbild passen. Polizeiliche Razzien und gesetzliche Maßnahmen wie das Errichten von Schutzzonen und dem Bettelverbot sind ein Angriff gegen Obdachlose, BettlerInnen, Sexarbeiterinnen und Drogenabhängige. Aktuell versucht die Stadt Wien sich des Straßenstrichs zu entledigen. Im Rahmen eines Feldversuchs im 15.Bezirk ist Sexarbeit nur noch auf zwei Straßen erlaubt - alles andere wurde zur "Schutzzone" erklärt. Und die "Bürgerinitiative Felberstraße" versucht Menschen gegen Sexarbeiterinnen aufzuhetzen. Die Sexindustrie ist ein Milliardengeschäft und wird aufrechterhalten, weil Männer im Patriarchat davon ausgehen, dass ihnen Frauen immer zur Verfügung stehen sollen, aus "Liebe" oder über Geld. Die Hetze gegen Prostituierte ist ein Frauenhass und endet immer wieder in brutalen Frauenmorden. Die Vertreibungen aus dem öffentlichen Raum gehen Hand in Hand mit verstärkten Razzien der Wiener Fremdenpolizei. U6 - Station Josefstädterstrasse ist nur einer von vielen Orten wo rassistische Passkontrollen durchgeführt werden. Als Feministinnen wehren wir uns gemeinsam gegen Rassismus und Repression, gegen rassistische Gesetzgebung, wodurch gleiche ökonomische und soziale Ausgangsbedingungen für alle Menschen verhindert werden, Razzien und Übergriffe der (Fremden)polizei und gegen alltäglichen Rassismus.


Neben der offensiven rechten Hetze von rechtsradikalen Parteien und Strömungen wo der Erhalt der staatlichen Leitkultur als Ausgrenzungsideologie fungiert, agiert der bürgerliche - liberale Rassismus, eher versteckt oft als liberaler Antirassismus verkauft. Wir kritisieren die Forderung in denen ausschließlich ein Bleiberecht für "gut Integrierte" gefordert wird, denn das ist genauso offener Rassismus! 30 Stunden StaatsbürgerInnenkunde, Zwangsdeutschkurse, Deutschtests oder Sprachüberprüfungen als Bedingung für einen Arbeitsplatz ( wie zb. als Norm beim BFI), das immer wieder geforderte Kopftuchverbot oder getrennte "AusländerInnenklassen" sind rassistisch!

Das Asylgesetz in Österreich (und in allen Ländern) ist sexistisch, da das Aufenthaltsrecht von Frauen an die Niederlassungsbewilligung (NB) vom Ehemann gekoppelt ist. Frauen, deren Ehemänner eine uneingeschränkte NB haben, müssen ein Jahr auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht warten. Konkret heißt das: bei einer Scheidung hat die Frau keine rechtliche Basis, da eine sofortige Abschiebung droht.


Wir sagen Schluss damit! Wir sind weder Lust- noch Sexobjekte, weder Freiwild noch Dienerin, noch sind wir still und schön, noch sind wir nur schlank und jung.
Wir sind freie, wilde Frauen, Mädchen, Lesben, Mütter, Töchter, Kolleginnen, Omas, Nachbarinnen, Tanten, Freundinnen und politische Verbündete. Wir leben selbstbestimmt, so wie wir wollen, lassen uns nichts vorschreiben, brechen alle patriarchalen Regeln, solidarisieren und beziehen uns aufeinander, wehren uns und leisten Widerstand im Alltag, in der Arbeit und gegen den Staat.



Im Anschluss an die Demonstration:


**FRAUENLESBEN - FESTl IN DER FZ - BAR:
*mit Installation & Performance von Heidi Rohrmoser "R.I.P. until revenge" (commemorating 8 women killed in austria by men in the year 2010. these were 8 different ways of killing freedom. 8 women, says the statistic of the police. There were certainly more, we do know. in remembrance of 8 of the victims of male violence, I make this performance. Die Installation wird einige Tage zu sehen sein.
* Danach: Auflegerei mit LetHettl
* Warmes Essen fuer die Demonstrantinnen
UKB: Eur 3

**im FZ (2. Stock): Amazonen-Vortrag
21:00-23:00 : Bilder und Ausschnitte aus Dokus von Dagmar Benedikt und Ruth Devime
Ab 20:00: Suppe und Tee
Ab 21:00: Vortrag und Film etc.
Achtung: Puenktlicher Beginn: welche zu spaet kommt, soll ein anderes Mal wieder kommen, es gibt den Vortrag noch oefters:))
Keine HuendInnen und rauchfrei!
Eintritt inkl. Essen: Eur 10

Aufruf von autonomen Feministinnen und Lesben, auch veröffentlicht auf :: wolfsmutter.com.