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Quellenangabe:
'Wir freuen uns, dass Aeroflot genervt reagiert' (vom 08.12.2010),
URL: http://no-racism.net/article/3593/, besucht am 21.11.2024

[08. Dec 2010]

'Wir freuen uns, dass Aeroflot genervt reagiert'

Eine Fax- Kampagne gegen Abschiebungen mit Hilfe der russischen Fluglinie zeigt offenbar Wirkung. Gitta Düperthal interviewte eine Sprecherin des Flüchtlingsrates Berlin für die Junge Welt.

Die russische Fluggesellschaft Aeoroflot hat am Montag zwangsweise 46 Vietnamesen von Berlin-Schönefeld nach Hanoi transportiert. Nach Auskunft der Flüchtlingsräte Berlin und Brandenburg ist eine weitere Sammelabschiebung für den 6. Dezember vorgesehen. Was versprechen Sie sich von Ihrer Protest-Faxkampagne an Aeroflot, die vergangene Woche angelaufen ist?
Durch eine Journalistin, die recherchiert hat, wer Sammelabschiebungen nach Hanoi vornimmt, haben wir erfahren: Die Fluglinie Airberlin will sich wegen der starken Proteste und der schlechten Presse nicht mehr an solchen Aktionen beteiligen. Das ist für uns Ansporn, weiterzumachen und Druck auf Fluggesellschaften auszuüben, sich nicht mehr an Abschiebungen zu beteiligen.

Das deutsche Aeroflot-Büro in Berlin hat auf Nachfrage von junge Welt genervt eingestanden, daß es von Protestfaxen überschüttet wird. Über die Beteiligung an Abschiebungen werde aber in Moskau entschieden, nur mit Druck auf die russische Botschaft sei etwas zu erreichen. Werden Sie diesem Rat folgen, um weitere derartige Abschiebungen zu verhindern?
Zunächst einmal freuen wir uns sehr, daß Aeroflot genervt reagiert - genau das war ja unser Ziel. Wir hoffen, daß Mitarbeiter der deutschen Niederlassung den Ärger, den wir ihnen verschaffen, an ihre Zentrale nach Moskau weitergeben. Wir betrachten es als sicherlich unfreiwilligen, aber sehr hilfreichen Hinweis, daß unser Protest vermutlich bei der russischen Botschaft an der richtigen Adresse ist. Wir werden umgehend ein Protestfax an die Botschaft vorbereiten.

Eine Aeroflot-Mitarbeiterin meinte zu Ihrem Boykottaufruf: Würde man alle Fluggesellschaften boykottieren, die sich für Deportationen zur Verfügung, könnte man den Luftverkehr gleich ganz einstellen. Was sagen Sie dazu?
Uns geht es nicht darum, daß niemand mehr fliegen soll. Wir wollen vielmehr Druck machen, wir wollen Fluggesellschaften anprangern, die Abschiebungen durchführen. Wir bringen das in die Medien, damit die jeweiligen Vorstände registrieren, daß der Druck aus der deutschen Bevölkerung gegen diese Abschiebungen groß ist - und daß sie daraus die Konsequenz ziehen, sich nicht mehr zu beteiligen.

In welcher Situation befinden sich Vietnamesen, die abgeschoben werden sollen?
Zunächst ist festzuhalten, daß Abschiebungen gegen ihren Willen stattfinden. Sie werden in Abschiebehaft genommen oder nachts von Polizisten aus den Betten gerissen und an den Flughafen transportiert.

Es gibt tragische Einzelschicksale. Am Montag wurde zum Beispiel ein Familienvater abgeschoben, er läßt hier Frau und Kind zurück. Man muß sich klarmachen, daß mit einer Abschiebung eine Einreisesperre von mindestens fünf Jahren verbunden ist. Zudem muß der Abgeschobene vor einer erneuten Einreise die Kosten seiner Deportation und der Abschiebehaft begleichen - das schafft niemand. Für diesen Mann bedeutet das eine Trennung von seiner Familie für alle Zeiten. Deportiert wurde auch ein 23jähriger, der an Hepatitis C erkrankt ist. Seine Krankheit ist nicht ausgebrochen, noch war er in körperlich guter Verfassung. Bricht die Krankheit jedoch in Vietnam aus, wird er sich dort die nötigen Medikamente nicht beschaffen können. Insofern ist die Abschiebung so gut wie ein Todesurteil. Über Anwälte und Seelsorger erfahren wir von derartigen Geschichten.

Wird es am Montag, 6. Dezember, zur Sammelabschiebung um 9.50Uhr von Berlin-Schönefeld, außer Faxprotesten weitere Aktionen geben?
Verschiedene Gruppen werden möglicherweise etwas vorbereiten und kurzfristig anmelden. Am vergangenen Montag hatten sich etwa 30 Leute spontan im Flughafen versammelt, um zu protestieren, obgleich wir polizeilich keine Demo angemeldet hatten.


:: Weitere Informationen zum Boykott Aeroflot! Aufruf und Musterfax auf deutsch und englisch
Fax-Nummer von Aeroflot in Berlin: 0049-(0)30-22698136
Zentrale Moskau, Kundenservice: 007-495 784-7142, Presse-Abteilung: 007-495 753-86-39

Interview übernommen von :: jungewelt.de, 02. Dez 2010