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Quellenangabe:
Oury Jalloh - Proteste zum 6. Todestag und zum Prozessbeginn in Dessau und Magdeburg (vom 11.01.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3631/, besucht am 22.12.2024

[11. Jan 2011]

Oury Jalloh - Proteste zum 6. Todestag und zum Prozessbeginn in Dessau und Magdeburg

Am Todestag von Oury Jalloh, dem 7. Jänner 2010 demonstrierten etwa 150-200 Menschen durch Dessau, am 8. Jänner ca. 100 durch Magdeburg. Am 12. Jänner 2011 beginnt in Magdeburg die Revision des Prozess gegen einen Polizeibeamten.

Die jährlich stattfindende Demo zu Oury Jallohs 6. Todestag in Dessau startete um 14 Uhr am Hauptbahnhof. Es wurden mehrere Kundgebungen abgehalten, am Amtsgericht, an der Gedenkstelle für Alberto Adriano und am Polizeirevier, in dem Jalloh verbrannte. Thematisch beschäftigten sich die Redebeiträge mit dem kurz bevorstehenden Prozess gegen den verbliebenen Polizeibeamten Schubert, mit dem Mord an Kamal in Leipzig vor ca. zwei Monaten und anderen Menschen, die von Nazis ermordet wurden, dem strukturellen/ institutionellen Rassismus in Deutschland. In der Innenstadt gab es ein Theaterstück, das das Leben Ourys nachspielte, und eine Rede aus der Sicht dessen.

Die Aktivist_innen forderten Aufklärung und Gerechtigkeit und eine Anklage gegen die verantwortlichen Polizeibeamt_innen wegen Mordes. Mit mitgetragenen Särgen erinnerten sie an die Namen weiterer Todesopfer rassistischer Gewalt: Dominique Koumadio, Halim Dener, Markus Omofuma, Mohammad Selah, Arumugasamy Subramaniam.

Die Demo in Magdeburg am darauf folgenden Tag, dem 8. Jänner 2011, startete um 13 Uhr bei Sonnenschein. Ca. 100 Leuten demonstrierten vom Hauptbahnhof durch die Innenstadt, wo noch einmal das Theaterstück gespielt wurde. Es gab einen Redebeitrag von nolager und auf der Strecke wurde oft mittels Jingle auf den Grund der Demo hingewiesen. Am zweiten Kundgebungsort, der um den Verkehrsfluss nicht zu stören, vom Hasselbachplatz in eine Seitenstraße verlegt wurde, wurden Frontex und die Abschiebepolitik thematisiert. Die kleine, aber doch lautstarke Demo endete gegen 15.30 wiederum am Hauptbahnhof.


Zum Prozessbeginn in Magdeburg


Am 07. Jänner 2005 verbrannte Oury Jalloh im Polizeigewahrsam. Gefesselt an einer feuerfesten Matratze unterstellt ihm die Polizei, das Feuer selbst gelegt zu haben. Doch zahlreiche Indizien sprechen gegen diese Version: ein gebrochenes Nasenbein, eine verschwundene Videoaufzeichnung, ein erst nachträglich aufgefundenes Feuerzeug, eine verdächtige Flüssigkeit und das Ausschalten des Feueralarms in der Nacht. Der erste Prozess in Dessau war eine Farce, die beiden angeklagten Polizeibeamten wurden freigesprochen. In seiner Urteilsbegründung räumte der Vorsitzende Richter Steinhoff damals ein, dass die Verhandlung "trotz aller Bemühungen schlicht und ergreifend gescheitert" sei. Angesichts des Schweigens, der Lügen und Vertuschungen der befragten Polizeizeug_innen habe das Gericht keine Chance gehabt, den Fall aufzuklären. Nun wird in nächster Instanz verhandelt.

Der Prozess gegen den verbliebenen Polizeibeamten Schubert beginnt am 12. Jänner um 9.30 Uhr im Magdeburger Landgericht. Von 9 bis 16 Uhr ist eine Mahnwache angekündigt. Die weiteren, vorläufigen Prozesstermine findet sich in der hier dokumentierten Pressemitteilung des Landgericht Magdeburg, aber Achtung: Die Prozesstermine am 04.02., 10.02. und 11.03.2011 wurden abgesagt.


Pressemitteilung des Landgerichts Magdeburg


Landgericht Magdeburg - Pressemitteilung Nr.: 080/10

Magdeburg, den 8. Dezember 2010

(LG MD) Strafprozess um den Tod von Ouri Jallow beginnt

21 Ks 141 Js 13260/10 (8/10) - 1. große Strafkammer


Am
Mittwoch, 12. Januar 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23.

beginnt die Neuauflage des Prozesses um den Tod von Herrn Ouri Jallow am 07.01.2005 im Polizeirevier in Dessau.

Folgende weitere Fortsetzungstermine wurden bereits festgesetzt:

Freitag, 14. Januar 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Freitag, 21. Januar 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Freitag, 4. Februar 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
(Anm: Abgesagt!)
Donnerstag, 10. Februar 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
(Anm: Abgesagt!)
Freitag, 11. Februar 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Donnerstag, 3. März 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Freitag, 4. März 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Donnerstag, 10. März 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Freitag, 11. März 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
(Anm: Abgesagt!)
Donnerstag, 31. März 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Freitag, 1. April 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Donnerstag, 7. April 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Freitag, 8. April 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Donnerstag, 14. April 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Freitag, 15. April 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Donnerstag, 28. April 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Donnerstag, 5. Mai 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Donnerstag, 12. Mai 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Donnerstag, 19. Mai 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,
Donnerstag, 26. Mai 2011, 9.30 Uhr, Saal A 23,

Die Anordnung weiterer Hauptverhandlungstermine jeweils mittwochs bis 31.08.2011 bleibt vorbehalten

Die Hinweise für die Akkreditierung von Medienvertretern und den Möglichkeiten als Zuhörer am Prozess teilzunehmen bitte ich gesonderten Pressemitteilungen zu entnehmen.

Hintergrund nach der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 3/10 vom 07.01.2010

"Am 7. Januar 2005 verstarb der in Sierra-Leone geborene Ouri Jallow in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers Dessau. an den Folgen eines durch den Brand der Matratze, auf der er fixiert worden war, ausgelösten Inhalationshitzeschocks.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten, der als Dienstgruppenleiter der Polizei die Verantwortung für den Gewahrsamsbereich getragen habe, zur Last gelegt, er habe es unterlassen, sofort nach dem Ertönen des Alarmsignals des Rauchmelders Rettungsmaßnahmen einzuleiten, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass beim Ansprechen eines Rauchmelders stets vom Ausbruch eines Feuers auszugehen sei. Dabei habe er mögliche Verletzungen Ouri Jallows durch Rauch- und Feuereinwirkung billigend in Kauf genommen.

Das Landgericht Dessau-Roßlau hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von dem Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge im Amt freigesprochen.

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil des Landgerichts mit folgender Begründung aufgehoben: Nach den Urteilsausführungen ist nicht nachvollziehbar, wie sich der Brand der Matratze im Einzelnen entwickelt hat. Insbesondere bleibt unklar, ob ein vom Landgericht angenommenes "Anschmoren" des Matratzenbezuges ohne Verbrennungen der Hand und entsprechende Schmerzenslaute möglich wäre, die den Angeklagten zu einem frühzeitigen Eingreifen hätten veranlassen müssen. Zudem hat das Landgericht bei der Bemessung der für die Rettung Ouri Jallows zur Verfügung stehenden Zeit nicht bedacht, dass der Rauchmelder bereits Minuten vor dem Entzünden der Schaumstofffüllung der Matratze, das innerhalb von zwei Minuten zu einem tödlichen Inhalationsschock führte, möglicherweise bereits dadurch ausgelöst worden war, dass der schwer entflammbare Matratzenbezug zunächst unter Verwendung eines Gasfeuerzeuges angeschmolzen wurde, um die Schaumstofffüllung freizulegen. Dann hätte der Angeklagte aber möglicherweise den Todeserfolg verhindern können, wenn er sofort nach dem Alarm die erforderlichen Rettungsmaßnahmen eingeleitet hätte. Der 4. Strafsenat hat im Übrigen die Annahme des Landgerichts beanstandet, der Angeklagte habe sich pflichtgemäß verhalten, obwohl er den Alarm zunächst wegdrückte, anschließend ein Telefongespräch mit seinem Vorgesetzen führte und danach auf dem Weg zu dem Gewahrsamsbereich umkehren musste, weil er vergessen hatte, die Fußfesselschlüssel mitzunehmen.

Der Bundesgerichtshof hat die Sache an das Landgericht Magdeburg zurückverwiesen. Dort muss sie nunmehr neu verhandelt werden.

BGH Urteil vom 7. Januar 2010 - 4 StR 413/09

LG Dessau-Roßlau - Urteil vom 8. Dezember 2008 - 6 Ks 4/05"

Christian Löffler
Pressesprecher

Landgericht Magdeburg
Pressestelle
Halberstädter Str. 8
39112 Magdeburg
Tel: (0391) 6 06 20 61 oder -2142
Fax: (0391) 6 06 -20 69 oder -20 70
Mail: pressestelle (at) lg-md.justiz.sachsen-anhalt.de

Quellen :: linksunten.indymedia.org, 06. Jan 2011, :: de.indymedia.org, 09. Jan 2011, :: thecaravan.org, 11. Jan 2011