Quellenangabe:
Orte an denen sich RassistInnen ihre Vorurteile abholen (vom 16.01.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3635/,
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[16. Jan 2011]
Über die Kontinuität des rassistischen Normalzustands in Österreichs Medienlandschaft.
Die in moralischen Begrifflichkeiten artikulierte Besorgnis in Kommentarspalten österreichischer Print- und Online-Medien war groß, als es darum ging das Ergebnis der Wiener Gemeinderatswahl 2010 zu kommentieren. Nicht kommentiert wurde der Anteil, den ebenjene Medien an der (Mit-)Konstruktion der rassistischen Stereotype haben, auf denen die FPÖ ihre Erfolge aufbaut.
"Wer begreifen will, warum die Gefängnisse platzen, das Asylrecht verschärft wird und der Zorn des Landes gegen so genannte 'Asylbetrüger' zunimmt, der muss sich Gegenden wie den Votivpark anschauen". Diese Zeilen schrieb Florian Klenk im Jänner 2005 in der Wiener Stadtzeitung Falter unter dem Titel "Platz der Dealer". Trotz derartiger Aussagen, die nach ihrem Erscheinen Proteste antirassistischer Gruppen und Einzelpersonen zur Folge hatten, gilt Klenk bis heute als kritischer Aufdeckerjournalist. Er rechtfertigt den Artikel mit den Worten, er halte es "für wichtig, auch jene Orte zu beschreiben, in denen sich Rassisten ihre Vorurteile abholen". Falter-Chefredakter Armin Thurnher stellt sich demonstrativ hinter Klenk und gegen die antirassistische Kritik.
Am 23.2.2005 erscheint auf fm4.orf.at ein Artikel von Martin Blumenau, in dem er die Redaktion des Augustin angreift, weil sie obdachlose MigrantInnen aus afrikanischen Ländern als VerkäuferInnen beschäftigt. Er wirft der Augustin-Redaktion Sozialdarwinismus vor, weil sie die "ursprünglich behandelte Minderheit (österreichische Obdachlose, Anm.)" fallen lassen und "jegliche diesbezügliche Notiz mit einer kleinen, aber feinen Rassismus-Keule" abschmettern würde. Die Fittesten - und das seien laut Blumenau eben die vermeintlich leistungsstärkeren Afrikaner - würden sich gegenüber österreichischen Obdachlosen durchsetzen.
Nach den massiven Verlusten bei den Gemeinderatswahlen 2001 (-7,78 %), verliert die FPÖ 2005 abermals beträchtlich und fährt mit 14,83 % das schlechteste Ergebnis seit 1987 ein. Trotzdem wird das FPÖ-Ergebnis medial als Sieg Heinz Christian Straches gewertet. In diversen Zeitungskommentaren wird die rassistische Hetze der FPÖ legitimiert. "Es gibt ein 'Ausländerproblem'", so die Überschrift eines Kommentars von Hans Rauscher in der Tageszeitung Der Standard. Als Lösung für das "Problem" fordert er "safte[n] Assimilationsdruck auf die Parallelgesellschaften" und lässt offen, was genau er damit meint. Der soziale Aufstieg verlaufe "nicht nur wegen zweifellos vorhandener Diskriminierung, sondern auch wegen der rigiden gesellschaftlichen Strukturen dieser Einwanderer" sehr langsam. Laut Rauscher sind "die Muslime" daran schuld, denn sie würden sich im Vergleich zu anderen AusländerInnen "außerdem noch zusätzlich ab[kapseln]". Als hätte er in die Kiste der Klischees nicht schon tief genug gegriffen, erzählt Rauscher noch von "arbeitslosen jungen Männern mit entsprechend aggressivem Gehabe", und meint damit nicht die Wähler der FPÖ, sondern "die tägliche Erfahrung mit einer abgeschotteten Parallelgesellschaft und ihren zornigen jungen Männern". Ähnlich argumentierte nach der Gemeinderatswahl 2005 seine Kollegin Anita Zielina: Ihr Kommentar zum Wahlausgang trägt den Titel "Rassismus-Prophylaxe" und geht so weit zu behaupten Strache und die FPÖ hätten als einzige Lösungsvorschläge für das geboten, was Zielina das "Ausländerthema" nennt. "Es gibt ein Problem mit der Integration, auch im roten Wien", schreibt sie. Allen anderen Parteien außer der FPÖ unterstellt sie eine "Beschwichtigungsdogmatik". Die mit Zustimmung von SPÖ und ÖVP erfolgte Verschärfungen des Asylgesetzes werden dabei ignoriert.
Am 27.9.2009 spricht sich Martin Blumenau auf fm4.orf.at für FPÖ-Regierungsbeteiligungen aus, denen er durchaus positive Seiten abgewinnen kann. In angewandter Realitätsverweigerung behauptet er, "FP-Leute, die in Regierungsverantwortung stehen", hätten sich "bislang nicht einmal ansatzweise durch Scharfmacherei profiliert." Bestes Beispiel dafür sei laut Blumenau "Barbara Rosenkranz (...), die als Landesrätin für Baurecht und Tierschutz zuständig ist".
Mit der Überschrift "Sieg der Hetzer" schafft es Christian Rainer im Profil vom 11.10.2010 - einen Tag nach der Wahl - die FPÖ passend zu titulieren. Doch in seiner Analyse greift er den Mythos vom "Ausländerproblem" unkritisch auf. Die Wiener Wahl habe "die möglichen Grenzen und die Grenzen des Möglichen im politischen Umgang mit Migranten gezogen“. Der offene Rassist und Antisemit Thilo Sarrazin hätte, so Rainer, "in Bezug auf die Grenzen des Argumentativen Umgangs mit ebendiesem Problemkreis" ähnliches geschafft.
Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid ethnisiert in ihrem unter dem Titel "Nichts verstanden" erschienen Kommentar zur Wahl bildungspolitische Probleme: "Es gibt Schwierigkeiten in Schulen mit Kindern, die zu wenig Deutsch können, die Mitschüler drangsalieren und Lehrerinnen nicht akzeptieren." Auch wenn sie die Herkunft dieser Kinder nicht explizit benennt - die rassistischen Stereotype auf die Föderl-Schmid rekkuriert sind dermaßen verbreitet, dass alle wissen, wer gemeint ist. Hans Rauscher gefällt sich auch 2010 in der Rolle des Brechers ohnehin nicht vorhandener Tabus. Kein Klischee scheint ihm zu platt zu sein, um nicht auf der Titelseite des Standard noch einmal herbeigeschrieben zu werden. Am 12. Oktober schreibt er: "Unsere Großmütter trugen auch Kopftücher. Aber inzwischen sind wir in der Moderne angekommen. Die Frauen in Kopftuch und bodenlangem Mantel und ihre Männer, ohne die sie nicht allein zum Zahnarzt dürfen, sind es nicht." Im Stil der Kronen Zeitung geht es weiter. Zwei Tage später, ebenfalls auf der Titelseite des Standard: "Junge Männer gehen heute kaum mehr aus Yozgat (türkische Provinz, Anm.) zum Arbeiten nach Wien - aber die, die schon da sind, holen ihre Bräute noch immer von dort."
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem rassistischen Konsens in Österreich, bedürfte neben Kritik am politischen Establishment auch einer grundlegenden Selbstkritik einer journalistischen Klasse, die sich seit Jahrzehnten nicht scheut rassistische Debatten in Gang zu setzen und offen rassistischen PolitikerInnen großzügige Plattformen zu bieten. Trotz der mitunter bemühten Kommentare, die es nach der Gemeinderatswahl 2010 durchaus gab, traut sich fast niemand die Verhältnisse beim Namen zu nennen. Den rassistischen Normalzustand zu thematisieren, unterbleibt auch in einer Situation in der über 190.000 WienerInnen ihre Stimme einer rechtsextremen Partei geben. Jene Orte an "denen sich Rassisten ihre Vorurteile abholen" - wie Florian Klenk es in einer seiner legendärsten Entgleisungen formulierte - sind nicht Straßen und Plätze im Stadtbild, sondern ressentimentgeladene Artikel und Kommentare in diversen österreichischen Medien.
Dieser Artikel erschien geringfügig verändert in "UNIQUE - Magazin der ÖH Uni Wien" (Dezember 2010) und wurde von uns mit freundlicher Genehmigung übernommen.