Quellenangabe:
EGMR: Abschiebung nach Griechenland ist unmenschliche Behandlung (vom 21.01.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3645/,
besucht am 21.11.2024
[21. Jan 2011]
Im Zuge der Prüfung der (Nicht-) Zuständigkeit von EU-Staaten für Asylverfahren nach Dublin 2 wird ohne Prüfung, ob die Abgeschobenen in den jeweiligen Staaten sicher sind, abgeschoben. Am 21. Jänner 2011 traf der EGMR eine Entscheidung, die dieses System grundlegend in Frage stellt.
Ein Flüchtling, der seine Flucht nach Belgien fortsetzte, nachdem er in Griechenland registriert wurde, wurde dorthin zurückgeschoben, da nach Dublin 2 jenes Land für ein Asylverfahren zuständig ist, über das das eine Person in die EU einreist. Es gibt zwar ein paar Ausnahmereglungen, wie für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, doch selbst hier kommt es immer wieder zu Abschiebungen. Teilweise werden die Jugendlichen mittels dubioser Verfahren als Volljährig erklärt, um sie rechtlich gedeckt abschieben zu können.
Da die Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Griechenland sehr schlecht ist und nicht einmal der Zugang zum Asylverfahren gewährt ist, haben mehrere Gerichte in den vergangen Jahren immer wieder Abschiebungen nach Griechenland gestoppt.
Im November 2010 forderte der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) u.a. das österreichische Innenministerium dazu auf, Abschiebungen nach Griechenland auszusetzen, doch die Behörden schoben weiterhin nach Griechenland ab und verwiesen darauf, das die Abgeschobenen in Griechenland entsprechender Schutz gewährt wird - weil Griechenland ein Dublin 2 Staat ist.
Dem jetzigen Urteil des EGMR zufolge stellen sowohl die Haft- als auch die Lebensbedingungen, denen der Schutzsuchende in Griechenland ausgesetzt war, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar. Sowohl Belgien als auch Griechenland wurden wegen mehrere Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention verurteilt. Die Begründung kann (auf englisch) in der Presseaussendung des EGMR nachgelesen werden (:: hier als pdf).
Im folgenden dokumentieren wie Presseaussendungen der asylkoordination österreich und von Pro Asyl zum Spruch des EGMR.
Presseaussendung der asylkoordination, 21.01.2011
"Die EU-Staaten dürfen nicht einfach annehmen, dass Menschenrechtsverletzungen in einem EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht zu befürchten sind", fasst Anny Knapp als Vertreterin der Agenda Asyl das heute verkündete Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zusammen. Das Urteil, in dem die Abschiebung eines Flüchtlings von Belgien nach Griechenland als unmenschliche Behandlung befunden wurde, bestätigt die von NGOs seit Jahren vorgebrachte Kritik an Übergriffen, fehlender Versorgung und Mängeln im Asylverfahren in Griechenland. Aufgrund dieser richtungweisenden Entscheidung des EGMR sind die österreichischen Asylbehörden gefordert, diese Bedenken gegen Griechenland nun endlich ernst zu nehmen. Es zeigt auch, dass man für menschenrechtskonforme Entscheidungen in Asyl- und Abschiebungsverfahren nicht darauf warten darf, ob der Verfassungsgerichtshof oder internationale Gerichtshöfe über eine menschenrechtlich bedenkliche Situation befinden.
156 der insgesamt 949 von Eu-Staaten nach Griechenland abgeschoben AsylwerberInnen gehen auf das Konto Österreichs, das damit zu den EU Staaten zählt, die heuer die meisten Asylsuchende nach Griechenland im Rahmen der Dublin Verordnung überstellt haben. Zu den anderen TOP-Ländern gehören Norwegen, Ungarn, Belgien. Die ersten vorläufigen Maßnahmen, mit denen der EGMR die österreichische Regierung aufgefordert hatte, die Abschiebung von Asylwerbern nach Griechenland zu unterlassen, hatte keine Änderung in Österreich bewirkt, auch durch das Erkenntnis der Verfassungsgerichtshofs vom Oktober 2010 sahen die Asylbehörden keinen Grund, von Ausnahmefällen abgesehen, an ihrer Einschätzung, Griechenland würde Flüchtlinge menschen- und EU-rechtskonform behandeln, festhalten.
Die Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofes sollte Anlaß sein, Reformen im Dublin-System voranzubringen, hofft Anny Knapp von der asylkoordination österreich. Diesem System sind untragbare Situationen für Flüchtlinge immanent, wie der nun vom Menschenrechtsgerichtshof entschiedene Fall eines afghanischen Flüchtlings zeigt. Es ist aber auch weit davon entfernt, die eigenen Zielsetzungen zu erreichen: ein solidarisches System für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Presseerklärung von Pro Asyl, 21.01.2011
Abschiebungen nach Griechenland verletzten Europäische Menschenrechte
PRO ASYL: Sternstunde für den Menschenrechtsschutz
PRO ASYL begrüßt das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg. Die Feststellung im Falle eines afghanischen Asylsuchenden aus Belgien, dass die Überstellung nach Griechenland eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstelle, wird Auswirkungen auf die Asylprüfung in tausenden von Fällen Asylsuchender in Europa haben, die von einer Abschiebung nach Griechenland bedroht sind. Straßburg stellt eine Verletzung des Artikel 3 der Konvention durch Griechenland und Belgien fest: Die Haft- und Lebensbedingungen, denen der Schutzsuchende in Griechenland ausgesetzt wurde, stellen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
Die Verurteilung des überstellenden Staates, Belgien, und des Aufnahmestaates, Griechenland, ist aus der Sicht von PRO ASYL eine "Sternstunde für den Menschenrechtschutz in Europa".
Mit diesem Urteil stellt Straßburg klar, dass ein blindes Abschieben, ohne einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die Überstellung, nicht im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention steht.
"Nach dem Straßburger Urteil müssen EU-weit Überstellungen von Asylsuchenden nach Griechenland gestoppt werden", so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL. "Der offenkundige Kollaps des griechischen Asylsystems ist auch Ausdruck einer Systemkrise des europäischen Asylzuständigkeitssystems Dublin II". Die nicht funktionierende Dublin-Verordnung muss nun grundlegend überarbeitet werden. Die EU ist in der Pflicht, zügig eine solidarische und menschenrechtskonforme Asylzuständigkeitsregelung zu schaffen.