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Quellenangabe:
Offener Brief zum geplanten Fremden-Unrechtspaket (vom 02.04.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3760/, besucht am 18.04.2024

[02. Apr 2011]

Offener Brief zum geplanten Fremden-Unrechtspaket

Am 5. und 13. April 2011 tagt der Innenausschuss des Parlaments zum Fremdenrechtspaket. Die Plattform Agenda Asyl - bestehend aus den Organisationen Volkshilfe, Diakonie, Integrationshaus, Asylkoordination und SOS Mitmensch - hat daher einen Offenen Brief an alle Ausschussmitglieder verfasst.


Sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses für innere Angelegenheiten,

Die geplanten Änderungen im Asyl- und Fremdenrecht erscheinen uns in mehrfacher Hinsicht problematisch und kontraproduktiv. Als Organisationen, die aus der täglichen Praxis wissen, wie fremdenrechtliche Bestimmungen auf die Betroffenen und auf unsere Gesellschaft als Ganzes wirken, ist es uns daher wichtig, Sie darauf hinzuweisen, dass einige der geplante Änderungen schwerwiegende soziale und menschrechtliche Probleme mit sich bringen werden.

Das Fremdenrechtspaket in seiner derzeit vorgesehenen Form wird noch viel stärker als die bisher gültigen gesetzlichen Regelungen dazu beitragen, dass fremdenrechtliche Härtefälle zum Regelfall werden. Während es nur einige wenige Verbesserungen gibt, werden viele der geplanten Bestimmungen im Asylbereich europa- und menschenrechtlichen Standards nicht gerecht. Im folgenden eine Auflistung jener Punkte, die uns am gravierendsten erscheinen:

- Die geplanten 5 bis 7 Tage Lagerhaft für neu ankommende Flüchtlinge wären ein markanter menschenrechtlicher Rückschritt, weil das Recht auf Freiheit und Menschenwürde ohne erkennbare Notwendigkeit oder individuelle Prüfung eingeschränkt würden. Zudem würden die Betroffenen durch die Internierungssituation einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt und könnten Rechte wie beispielsweise Kontakt mit Familienangehörigen oder Rechtsbeiständen nicht wahrnehmen oder eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Wer die Erstaufnahmestelle verlässt, kommt in Schubhaft, wodurch deutlich wird, dass die "Mitwirkungspflicht" nichts anderes als Freiheitsentzug ist.

- Die Regierungsvorlage beinhaltet unverständlicherweise eine Ausweitung der Schubhaftzeiten. Es ist vorgesehen, dass die Regelschubhaftdauer von 2 auf 4 Monate verdoppelt wird und Menschen maximal 10 Monate innerhalb von 18 (statt bisher 24) Monaten eingesperrt werden können (selbst wenn sie das Fehlen der Ausreisepapiere nicht zu verantworten haben). Kinder, insbesondere Jugendliche, werden trotz zahlreicher Empfehlungen internationaler Gremien nicht ausreichend von Haft verschont. Andere europäische Länder (z.B. Frankreich, Niederlande, Spanien) machen hingegen vor, dass es mit viel weniger Schubhaft geht. Und der österreichische Menschenrechtsbeirat hat erst kürzlich wieder die Tatsache angeprangert, dass Schubhaft weit schwierigere Haftbedingungen mit sich bringt als reguläre Strafhaft. Für die Betroffenen, insbesondere für Minderjährige, bedeutet das enormen Stress und psychische Belastung. Mit der geplanten Ausweitung der Schubhaft würde vermeidbares psychisches und physisches Leid produziert werden.

- Die Sprachkenntnisse von Menschen sollen gefördert werden, aber die nun vorgesehenen verschärften Sprach-Knock-out-Kriterien sind höchst kontraproduktiv. Denn wenn durch harte Knock-out-Bestimmungen Familienzusammenführungen erschwert oder gar gänzlich blockiert werden und die Aufenthaltssicherheit von zugewanderten Menschen verringert wird, dann beeinträchtigt das die gesellschaftliche Integration. Darüber hinaus ist durch die geplanten Hürden, an denen nach Ansicht von Sprachwissenschafter/innen und Praktiker/innen viele Menschen auch bei größter Anstrengung scheitern werden, eine hohe Anzahl an Härtefällen vorprogrammiert.

- Dass bereits für geringe Verwaltungsübertretungen mehrjährige Aufenthalts- und Rückkehrverbote erlassen werden sollen, steht im krassen Widerspruch zum Prinzip der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit. Erst kürzlich hat der Verfassungsgerichtshof dazu ein richtungsweisendes Erkenntnis erlassen. Rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben und es muss verhindert werden, dass Menschen wegen kleiner Delikte und Verwaltungsübertretungen (etwa der Verletzung der Gebietsbeschränkung) mit für sie katastrophalen Konsequenzen bedroht werden.

- Ein automatisches Einreiseverbot bei Ausweisung/ Rückkehrentscheidung ist nicht EU-rechtskonform. Für alle Fälle einer Rückkehrentscheidung soll in Österreich künftig ein Verbot der Wiedereinreise für mindestens 18 Monate gelten. Die EU-Rückführungs-Richtlinie sieht hingegen vor, dass bei Rückkehrentscheidungen eine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt wird – nur in speziellen Fällen, wo die unverzügliche Ausreise als erforderlich angesehen wird oder die Frist zur freiwilligen Ausreise ungenutzt blieb, soll eine Wiedereinreise nach einer individuellen Prüfung für eine bestimmte Dauer unterbunden werden. Durch die in der Regierungsvorlage vorgesehenen restriktiven Regelungen könnten Betroffene von ihnen zustehenden Rechten ausgeschlossen werden. Subsidiär Schutzberechtigte werden künftig auf unbestimmte Dauer die Folgen eines Rückkehrverbots zu tragen haben, da die gesetzten Fristen erst mit der Ausreise zu laufen beginnen (und zu einer solchen Ausreise sind subsidiär Schutzberechtigte in der Regel nicht in der Lage). Auch die Möglichkeit der Aufhebung wegen Entfall der Gründe, die zur Erlassung geführt haben, kann in der Praxis kaum Relevanz entfalten, well bei den vorgesehenen Verwaltungsübertretungen (Straßenverkehrsordnung, Meldegesetz, Grenzkontrollgesetz, Gebietsbeschränkung, etc.) keine Tilgung erfolgt. Diese Sanktionen dürften sich daher als unverhältnismäßig erweisen.

- Für einen Antrag auf Verlängerung der Ausreisefrist nach negativem Abschluss des Asylverfahrens wird eine unangemessen kurze Frist von nur drei Tagen nach der Entscheidung eingeräumt, sodass Betroffene kaum von dieser Fristerstreckung werden profitieren können. Zusätzliche Hürden sind das persönliche Einbringen bei der Behörde, der Nachweis der besonderen Umstände sowie die Bekanntgabe des Ausreisetermins.

- Weiters sieht die Regierungsvorlage vor, dass die Polizei ohne Durchsuchungsbefehl Gebäude, Fahrzeuge, Wohnungen betreten und neuerdings auch durchsuchen darf, wenn der Verdacht besteht, dass sich eine einzige (!) nicht legal aufhältige Person dort aufhält. Bis jetzt lag die gesetzliche Mindestzahl bei 5 Personen. Mit der nun geplanten Regelung wird der Schutz des Privatleben de facto ausgehebelt und willkürlichem Behördenhandeln im wahrsten Sinne des Wortes Tür und Tor geöffnet.

- Das neue, grundsätzlich als positiv zu begrüßende System der Rechtsberatung wird durch einige Unklarheiten und Einschränkungen relativiert. Durch bescheidene Qualifikationsansprüche an Rechtsberater/innen, die Schwächung der Rechtsberatung im zugelassenen Verfahren (kann ... eingerichtet werden) und durch Fragen der Auswahl, Unabhängigkeit, Vertraulichkeit und Objektivität besteht die Gefahr, dass der EU-Richtlinie nicht vollends Rechnung getragen wird. Rechtsberater/innen sollten die Interessen ihrer KlientInnen wahrnehmen, sind aber in der Regierungsvorlage zur "Objektivität" anstatt zur Vertretung der Interessen der Asylsuchenden verpflichtet. Anstatt eine Verschwiegenheitspflicht vorzusehen, sollen Rechtsberater/innen der Amtsverschwiegenheit unterliegen, wodurch keine Verschwiegenheitspflicht gegenüber den Behörden besteht.

- Die Chance, eine klare, übersichtliche und rechtsstaatliche Lösung für Bleiberechtsfälle zu finden, bleibt in der Regierungsvorlage ungenutzt. Es bleibt weiterhin unklar, welche Behörde in Bleiberechtsfragen das letzte Wort hat. Des weiteren steht der Stichtag für Altfallregelung immer noch mit 2004 festgeschrieben, sodass anstatt der ursprünglich 5 Jahre ein überwiegend rechtmäßiger Aufenthalt von derzeit 7 Jahren vorausgesetzt wird. Das aktuelle Judikat des Verfassungsgerichtshofs zu einer rechtsstaatlich korrekten Erledigung eines Bleiberechtsantrages wäre zudem umzusetzen. Es zeigt einmal mehr, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlichen Bedenken grundsätzlich mehr Beachtung schenken sollte.

- Inländerdiskriminierung gegenüber EWR-BürgerInnen bleibt unangetastet. Der EuGH hat in einer Entscheidung vom 8.3.2011 klargestellt, dass auch Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten, die an sich kein grenzüberschreitendes Moment verwirklicht bzw. von ihren Rechte auf Freizügigkeit nicht Gebrauch gemacht haben, Unionsbürger/innen sind, und als solche auch die Rechte von Unionsbürger/innen genießen. Konkret geht es darum, dass Drittstaatsangehörige von Unionsbürger/innen zu Aufenthalt im Inland berechtigt sind, und auch zum Arbeitsmarkt zugelassen werden müssten. Es bietet sich auch hier die Gelegenheit, das Gesetz zu reparieren noch bevor es in Kraft tritt.

Wir bitten Sie, sich mit allen von uns genannten Punkte eingehend zu befassen und sich die Konsequenzen für die Betroffenen, aber auch für den Rechtsstaat und unserer Gesellschaft als Ganzes vor Augen zu halten. Denn in seiner derzeitigen Form wird das geplante Fremdenrechtspaket nicht nur zu massiven Verschlechterungen für die unmittelbar Betroffenen führen, sondern auch wichtige rechtsstaatliche und menschenrechtliche Prinzipien beeinträchtigen, ebenso wie das Zusammenleben der Menschen in Österreich.

Deshalb möchten wir Sie dazu aufrufen, der Regierungsvorlage in seiner jetzigen Form nicht Ihre Zustimmung zu geben, sondern anstatt dessen auf einen konstruktiven, stabilisierenden, fairen und menschlichen Umgang mit Asylsuchenden und MigrantInnen hinzuarbeiten und bei der Schaffung neuer Gesetze der Wahrung rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Prinzipien höchste Priorität zu geben.

Für weitere Informationen und Gespräche stehen wir Ihnen sehr gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,
Agenda Asyl