Quellenangabe:
1. März goes Mayday (vom 04.05.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3806/,
besucht am 26.12.2024
[04. May 2011]
Kein Sprechen über Prekarisierung ohne Sprechen über rassistische Ausschlüsse! Bericht über den transnationalen Migrant_innenstreik auf der Mayday Parade 2011 in Wien.
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Aus der Organisationsgruppe für den 1.März/Transnationaler Migrant_innenstreik hat eine Handvoll Leute eine "AG Mayday" gegründet, um bei der Mayday-Parade als Teil der sozialen Bewegungen sichtbar zu sein und Inhalte aus der 1.März-Organisierung weiterzutragen. Entlang der Mayday-Paradenroute haben wir eine antirassistische Stadttour ausgeklügelt (eigentlich nach hop on/hop off-Prinzip, aber die Pritsche ist ausgefallen;) - es gab 9 Stationen, an denen wir selbst geschriebene und von anderen Gruppen geklaute Texte zu Rassismen und Antisemitismen und zu anitrassistischer/antifaschistischer Organisierung und Protesten gesprochen haben (s.u.) - die Texte gabs auch als kleines Flyerheft. Beim Stadtpark, zum Gedenken an Seibane Wague, hat zusätzlich Topoke über rassistische Polizeigewalt gesprochen und ein antirassistisches Lied gesungen. (Danke an Prekärcaféwagen mit Anlage!!)
Der Stadttourwagen war mit Transparenten ausgestattet (Migrant_innen aller Länder, desintegrieren wir uns! / Ausschluss Basta! Transnational Migrant Strike / Her mit der globalen Bewegungsfreiheit!) und mit drei Piñatas (= in verschiedenen Ländern Lateinamerikas verwendete Pappmachéfiguren, die mit Süßigkeiten gefüllt sind) geschmückt. Bei der Abschlusskundgebung beim Marcus Omofuma Denkmal wurden dann die zwei gelben 1.März-Piñatas zerschlagen und die Süßigkeiten von den Kindern kollektiviert.
Insgesamt gab es einige Gruppen und Personen, die antirassistische Inhalte eingebracht haben: zB hatte die SJ Josefstadt ein ziemlich leiwandes Transpi mit der Forderung nach offenen Grenzen, und von Prekärcaféaktivist_innen gabs ein Flugblatt, das über Möglichkeiten zur Verhinderung von Abschiebungen im Flugzeug aufklärt. Unterwegs wurden Folder und Broschüren zur Fremdenrechtsnovelle 2011 verteilt. Außerdem wurde von Unbekannten eine rassistisch benannte Straße im 2.Bezirk in "Kleine Möhrengasse" umbenannt. Angeblich nach Berliner Vorbild und mit Zustimmung einiger anwesender Anwohner_innen...
"1.März - Transnationaler Migrant_innenstreik" ist der Versuch für einen breiten Zusammenschluss, um eine Wende in der Politik gegenüber Migrant_innen einzuleiten. Unser gemeinsames Projekt ist der Widerstand gegen Machtverhältnisse, die Ungleichheit und Ausschlüsse produzieren. Während der MAYDAY-Demo wollen wir antirassistische Kämpfe in Erinnerung rufen und sie gemeinsam feiern. Wir sind hier und wir bleiben hier! Und hier, wo wir gerade leben und arbeiten, wollen wir die gleichen Rechte und gute, gerechte Lebensbedingungen für Alle.
Rechte, konservative und liberale Kräfte benutzen antimuslimischen Rassismus, um auf die Fragen nach sozialer Sicherheit, Arbeitsmarkt- und Asylpolitik zu antworten und spalten die Gesellschaft mit einer konstruierten Wir-Sie-Debatte. Im Zuge der Debatte um Moschee- bzw. Minarettbauverbote, z.B. in der Diskussion über das islamische Kulturzentrum in der Dammstrasse, wird der Islam zu einer Kultur der Anderen. Diesem Kulturalisieren von gesellschaftlichen Fragen muss mit der Kritik an der Dominanz und Hegemonie christlicher Werte und dem Thematisieren sozialer Ungleichheit begegnet werden.
Der zweite Bezirk, die Leopoldstadt, wurde auf Wunsch der katholischen Einwohner_innen nach Kaiser Leopold I benannt. Diese Neubenennung fand in Folge der von ihm initiierten Vertreibung der Juden und Jüdinnen im 17. Jahrhundert statt. Im Nationalsozialismus wurden etwa 160.000 Juden und Jüdinnen aus Wien vertrieben oder ermordet, ihre Wohnungen und ihr Besitz enteignet. Nur ein Bruchteil erhielt in der 2.Republik Entschädigungszahlungen. Heute fordern Graffitis in der ganzen Stadt die Einlösung antifaschistischer Versprechen. Entschädigungszahlungen für alle Vertriebenen und ihre Nachkommen! Leopoldstadt in Mazzesinsel umbenennen!
Die Mehrheit der Sexarbeiter_innen in Österreich und der EU werden nicht nur als solche gesellschaftlich stigmatisiert und diskriminiert, sondern erfahren als Nicht-EU Bürger_innen rechtliche Illegalisierungen. Das Sprechen von Sexarbeit richtet den Fokus auf die Heterogenität ihrer Arbeitbedingungen und auf entsprechende Forderungen nach umfassenden Arbeits- und Sozialrechten. Sexarbeiterinnen machen sich als Subjekte sichtbar und weisen stigmatisierende Bilder von sich. Ihre Organisierung ernst zu nehmen bedeutet, mit ihnen als Verbündete gegen neoliberale Ausbeutung zu kämpfen.
Das Schreiben Schwarzer österreichischer Geschichte heißt, eine Geschichte des Verbergens und der Gewalt aufzudecken und zu erzählen. Dieser Unsichtbarmachung steht eine extreme Sichtbarkeit Schwarzer Menschen als kriminalisierte, sexualisierte, exotisierte Objekte gegenüber. Das Erzählen Schwarzer österreichischer Geschichte ist somit ein "Zurückschreiben", das diese Zuschreibungen angreift. Zum Beispiel benannte die Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte und Gegenwart 2006 die Löwengasse in "Josefine-Soliman-Gasse" um.
In den Szene-/Lokalen am Donaukanal, in den Gürtelbögen und aktuell auch am Campus der Universität Wien wird immer wieder rassistische Türpolitik betrieben. Leute werden nach racial profiling, das heißt nach rassistischen Zuschreibungen in Bezug auf ihr Aussehen, nicht reingelassen und nicht bedient. Letzte Woche gab es aus Protest gegen so einen Vorfall, bei dem aus Anti-Roma-Rassismus ein Besucher der Stiegl-Ambulanz im Alten AKH nicht bedient wurde, ein antirassistisches Sit-in.
Im Juli 2003 wurde hier im Stadtpark Seibane Wague von Polizist_innen und Sanitäter_innen ermordet. Die darauf folgenden Gerichtsverfahren gingen mit Freisprüchen, Bewährungsstrafen und geringen beruflichen Konsequenzen für die Verantwortlichen aus. Rassistische Staatsgewalt wird in den meisten Fällen von der Polizei selbst und der Justiz gedeckt. Rassistische Staatsgewalt endet für die Betroffenen nicht selten mit schweren psychischen und physischen Verletzungen oder mit dem Tod. Mischt Euch ein, wenn ihr rassistische Übergriffe beobachtet! Seid solidarisch! Verhindert Abschiebungen!
Das Denkmal und die damit vorgenommene Würdigung für den antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger steht - neben anderen zahlreichen problematischen Denkmälern in Wien und Österreich - beispielhaft für in Stein gemeißelte Geschichtsbilder, die antisemitische und rassistische Ausschlüsse, Verfolgung und Vernichtung verbergen und verharmlosen. Emanzipatorische Geschichtspolitik bedeutet, diesen verharmlosenden Erzählungen entgegenzutreten. Und dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Denkmäler keinen Platz im öffentlichen Raum mehr besetzen.
Migrant_innen werden in Österreich auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft massiv diskriminiert, ebenso im Bildungsbereich. Wir fordern freie Bildung für Alle, aber freie Bildung mit den gleichen Rechten für Alle! Freie Bildung ohne Studiengebühren für Alle, mit Zugang zu Stipendien und Sozialleistungen für Alle, mit dem Wahlrecht für Alle! Freie Bildung für ALLE, ohne die systematische Diskriminierung, ohne die systematische Illegalisierung und Kriminalisierung, ohne die mörderische Abschiebungspolitik in Österreich und Europa, ohne rassistische "Fremdengesetze"!