Quellenangabe:
Bulgarien will nach Schengen (vom 25.08.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3885/,
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[25. Aug 2011]
Ein Grenzzaun und die Inhaftierung von AsylwerberInnen sollen die EU beruhigen.
Der Artikel erschien zuerst in MALMOE #55.
Während mehrere alt eingesessene EU-Staaten mit aller Kraft an der Demontage des Schengen-Systems arbeiten, hat Bulgarien ganz andere Sorgen. Seit Jahren arbeitet das Land daran, dem Schengen-Raum beitreten zu dürfen. Die technischen Voraussetzungen dafür sind geschaffen, bestätigt ein Bericht des portugiesischen EU-Parlamentariers Carlos Coelho, der vor wenigen Wochen fertig gestellt und präsentiert wurde. Grundvoraussetzungen für den Beitritt sind die Sicherung der EU-Außengrenze zur Türkei sowie die EU-konforme Ausstellung von Visa. Beides funktioniert dem Bericht nach besser als in einigen Ländern, die bereits Schengen-Mitglieder sind. Und dennoch wird der Beitritt des Landes von großen EU-Mitgliedsstaaten, allen voran Deutschland, Frankreich und Italien, verzögert. Hierzu fehle "der politische Wille", meinte dazu im Januar der ungarische Premierminister und derzeitige EU-Ratsvorsitzende Viktor Orbán in einem Interview mit dem staatlichen Bulgarischen Radio BNR.
Auch der südliche Nachbar Griechenland, der sich die Landgrenze zur Türkei mit Bulgarien teilt, steht dem Beitritt kritisch gegenüber. Dort ist man vor allem interessiert, den Zustrom an Flüchtlingen weiterhin zu reduzieren. Dies ist in den letzten Monaten mit Hilfe der EU-Grenzschutzorganisation Frontex gelungen. Ein Schengen-Beitritt Bulgariens würde die Region für Flüchtlinge noch attraktiver machen, so die Ängste der griechischen Polizei. Doch Bulgarien tut alles, um diese Ängste zu zerstreuen.
Bulgarien bisher kein Zielland für AsylwerberInnen
Bisher war die Zahl der Asylanträge in Bulgarien ungewöhnlich klein. 2010 beantragten laut dem UN Flüchtlingshilfswerk UNHCR rund tausend Menschen Asyl, wohingegen es in Österreich 10.000 und in Griechenland 10.300 waren. Die Gründe dafür liegen in den "schlechten sozialen und ökonomischen Aussichten" einerseits und im "sehr restriktiven System, auf das die Menschen hier treffen", meint etwa die Menschenrechts-Anwältin Diana Daskalova vom Center for Legal Aid - Voice of Bulgaria, einer NGO, die AsylwerberInnen juristische Unterstützung bietet. Außerdem, so hätten ihr Grenzwache-Beamte erklärt, sei es einfacher, die Grenze nach Griechenland zu überqueren, weil die Grenzsicherung dort weniger effektiv sei.
Restriktiv ist das Asylsystem jedenfalls. Fraglich ist auch, ob es den internationalen Konventionen zum Schutz von Flüchtlingen entspricht, womit es im europäischen Trend liegt. Zwei Maßnahmen sollen die EU von der Schengen-Tauglichkeit des Landes überzeugen: ein neues Haftzentrum für MigrantInnen und die Errichtung eines Zaunes entlang der 210 km langen Grenze zur Türkei.
Mehr Häftlinge für Schengen
Das Haftzentrum wurde vor wenigen Wochen in einem kleinen Ort nahe der Grenze, in Ljubimets, eröffnet. Es soll das bereits bestehende in Busmantsi, einem Stadtteil von Sofia, entlasten. Damit können nun wesentlich mehr Menschen als bisher interniert werden. Allerdings widerspreche die bulgarische Praxis der Inhaftierung von AsylwerberInnen der Europäischen Flüchtlingskonvention, meint Daskalova. Es werden so gut wie alle MigrantInnen, die die Grenze ohne Dokumente überqueren, sofort eingesperrt. So auch Mehmed und Imran*, zwei Flüchtlinge aus Somalia. Sie erzählen, sie hätten die Grenze überquert und sofort einen Asylantrag gestellt. Trotzdem habe man sie für vier Monate ins berüchtigte und überfüllte Haftzentrum Busmantsi gesperrt. Sie genossen ihren ersten Tag in Freiheit, als sie davon berichteten. Anand*, ein Mann aus Sri Lanka, gab an, er sei vor einem Jahr mit einem Visum eingereist. Gerade aber weil er einen Asylantrag stellte, habe man ihn trotz des Visums sofort inhaftiert. "Das ist normal in Bulgarien", meinte er, denn es gebe da ein "Gesetz, nachdem alle Fremden, die ins Land kommen, gleich ins Gefängnis müssen". Dies ist natürlich so nicht korrekt, aber alleine die Tatsache, dass solche Gerüchte unter den AsylwerberInnen kursieren, zeigt, wie prekär die Situation für sie ist.
Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention genießen AsylwerberInnen während des Verfahrens Bewegungsfreiheit im Aufnahmeland. Bulgarien bedient sich aber seit einer Gesetzesnovelle 2007 eines juristischen Tricks, um sie dennoch einzusperren: Ein Mensch wird erst ab der Registrierung seines Asylantrages als AsylwerberIn behandelt, nicht ab dem Zeitpunkt der Einbringung. Und weil diese Registrierung "bis zu einem Jahr dauern kann", wie Anwältin Daskalova erzählt, kommt es vor, dass Menschen Monate oder gar Jahre schuldlos im Gefängnis sitzen. So geschieht es, berichtet Daskalova, dass die Asylbehörden im Haftzentrum ankommen, um die AsylwerberInnen im Zuge des Verfahrens zu befragen, diese aber bereits abgeschoben wurden. Um diese Praxis weiterhin durchführen zu können, waren mehr Zellen notwendig, und diese wurden nun gebaut.
Von einem ähnlich gelagerten Fall erzählt auch Valeria Ilareva, Mitarbeiterin der Legal Clinic for Refugees in Sofia. Eine Frau aus dem Irak und ihre beiden minderjährigen Kinder wurden im Dezember 2010 in Bulgarien aufgegriffen und trotz Asylantrag in Busmantsi inhaftiert. Die Asylbehörde weigert sich bis heute, den Asylantrag zu registrieren und das, obwohl ein Urteil des übergeordneten Verwaltungsgerichtes sie dazu verpflichtet hatte. Sie sind nach wie vor in Haft.
Eigentlich sollten in Ljubimets und Busmantsi nur Menschen inhaftiert werden, um ihre "unmittelbar bevorstehende Abschiebung" vorzubereiten, erklärt Diana Daskalova. Doch dies ist nicht der Fall. "Die zuständige Behörde hat nicht genug Platz in ihren Flüchtlingsunterkünften, um die wachsende Zahl von AsylwerberInnen unterzubringen. Deshalb werden manche von ihnen in Busmantsi festgehalten." Es sitzen also Menschen in Haft, weil Bulgarien nicht genügend Unterkünfte für AsylwerberInnen zur Verfügung stellt. Als Resultat wird ihnen "ihr Menschenrecht auf Freiheit genommen". Valeria Ilareva meint dazu, in beiden Haftzentren sei das große Problem "der Mangel an Sicherheit und Information. Das macht effektive juristische Schritte gegen die Inhaftierung unmöglich. Es gibt dort nicht einmal Übersetzer."
Ein Zaun gegen Tiere
Im Hinblick auf die Sicherung der Grenze scheinen Griechenland und Bulgarien einen ähnlichen Weg zu gehen. Nachdem die griechische Regierung bereits im vergangenen Jahr beschlossen hatte, einen Grenzzaun zu errichten, folgte vor Kurzem ein ähnlicher Beschluss des bulgarischen Kabinetts. Doch während der Zaun auf griechischer Seite 13 km lang sein soll, plant Bulgarien selbiges entlang der gesamten 210 km langen Grenze zur Türkei. Interessant ist in dieser Hinsicht, wie geheimnisvoll die Regierung hier in einem Land vorgeht, das bereits seine Erfahrungen mit Grenzzäunen machte. Weder die auf Migration spezialisierten Organisationen noch die breite Öffentlichkeit wissen von dem Vorhaben, obwohl die Bauarbeiten schon begonnen haben sollen und deren Abschluss für Oktober geplant ist.
Die bulgarische Regierung beharrt indes darauf, dass der Zaun nichts mit der Sicherung der Grenze vor Flüchtlingen zu tun hat. Es sei eine Maßnahme, um den Übertritt wilder Tiere aus der Türkei zu verhindern, nachdem ein Fall von Maul und Klauen-Seuche in Bulgarien festgestellt wurde, sagte unlängst Landwirtschaftsminister Miroslav Naydenov. Von einer neuen Berliner Mauer könne auf keinen Fall gesprochen werden.
All diese Maßnahmen scheinen die EU soweit zufriedengestellt zu haben, dass einem Schengen-Beitritt nun fast nichts mehr im Wege steht. Ein Zaun verhindert undokumentierten Grenzübertritt und das Asylsystem ist dermaßen restriktiv, dass sich kaum ein Flüchtling nach Bulgarien wagt. Es steht in Zweifel, ob die Maßnahmen menschenrechtskonform sind, sie sind aber in jedem Fall im Einklang mit der gängigen EU-Praxis im Umgang mit Flüchtlingen. Auch wenn einige Länder noch Bedenken haben, ist der Beitrittsprozess schon weit fortgeschritten. Anfang Juni hat das Europäische Parlament einem Beitritt zugestimmt, nun ist der Ministerrat am Wort. Wenn es Schengen bis dahin noch gibt, sollte einem Beitritt nichts mehr im Wege stehen.
(*) Namen auf Wunsch der Auskunftspersonen geändert
Dieser Text von Markus Wachter erschien zuerst in MALMOE #55 (www.malmoe.org).
Mehr Texte von Markus Wachter gibt es auf seinem Blog: www.buendiabee.wordpress.com