Quellenangabe:
Freispruch für die Tunesischen Fischer! (vom 22.09.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3910/,
besucht am 21.11.2024
[22. Sep 2011]
Am 21. September 2011 sprach ein italienisches Berufungsgericht die Kapitäne von zwei Fischerbooten vom Vorwurf der "Beihilfe zur illegalen Einreise" frei. Sie waren in erster Instanz wegen der Rettung von Migrant_innen aus Seenot im Jahr 2007 zu 40 Monaten Haft und hohen Geldstrafen verurteilt worden.
Im folgenden dokumentieren wir eine :: Aussendung von borderline-europe zum Urteilsspruch und eine Stellungnahme von "SOS Mittelmeer-Solidarität mit den tunesischen Fischern", die vor dem Gerichtsentscheid auf :: sos-mittelmeer.de veröffentlicht wurde:
borderline-europe begrüßt den Freispruch der beiden tunesischen Kapitäne Abdelbasset Zenzeri und Abdelkarim Bayoudh durch das Berufungsgericht Palermo. Diese hatten im August 2007 44 Schiffbrüchige vor Lampedusa aus Seenot gerettet, wurden dann verhaftet und in erster Instanz am Gericht Agrigento wegen Widerstand gegen ein Kriegsschiff zu zweieinhalb Jahren verurteilt.
In seinem Plädoyer sprach sich Staatsanwalt Umberto De Giglio für einen Freispruch der beiden Kapitäne aus. Es sei unverständlich, warum das Gericht in Agrigento die beiden von dem Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einreise freigesprochen, den damit zusammenhängenden Vorwurf des Widerstandes aber beibehalten habe. Stattdessen sprach das Appellationsgericht, 3. Sektion, die Fischer von allen Vorwürfen frei, da die Tat der Seenotrettung keinen Straftatbestand, sondern eine Notwendigkeit darstelle. borderline-europe sowie alle weiteren in den Fall involvierten antirassistischen Gruppen und Vereinigungen bringen hiermit ihren Wunsch zum Ausdruck, dass solch menschenverachtenden Verfahren, die gegen jegliches Rechtsempfinden und gegen die Gesetze der Seefahrt verstoßen, nicht mehr geführt werden.
Seenotrettung ist eine Pflicht, kein Verbrechen!
borderline-europe und alle anderen Vereine bedanken sich ausdrücklich bei den beiden Verteidigern Leonardo Marino und Giacomo La Russa sowie bei allen denen, die in den mehr als vier Jahren Prozess immer an die Unschuld ihrer Klienten geglaubt haben.
Berlin, 19.09.2011 - Am 21. September 2011 findet in Palermo die Berufungsverhandlung der beiden tunesischen Fischerkapitäne Bayoudh und Jenzeri statt. Beide waren im November 2009 von einem Gericht in Agrigento zu einer Haftstrafe von 2,5 Jahre verurteilt worden. Die damalige Anklage wegen "Beihilfe zur illegalen Einreise" wurde erhoben, weil die beiden Kapitäne, gemeinsam mit fünf weiteren tunesischen Fischern im August 2007 44 Flüchtlinge aus Seenot gerettet und nach Lampedusa gebracht hatten. Ihre Boote wurden konfisziert und auf Lampedusa trockengelegt; dabei sind die Boote zerstört worden. Somit wurden die Existenz-grundlagen der Fischer und ihrer Familien ruiniert.
Im März 2010 hat sich das Komitee "SOS Mittelmeer - Lebensretter in Not" gegründet, um den tunesischen Fischern für die Zeit der Gerichtsverfahren praktische Solidarität zu zeigen und sie rechtlich und materiell zu unterstützen. Die Fischerkapitäne und ihre Familien erhalten seitdem vom Komitee monatlich 250 Euro pro Familie zur Sicherung eines minimalen Lebensunterhaltes. Außerdem konnte das Komitee mehrfach die anderen betroffenen Fischerfamilien finanziell unterstützen.
Das Komitee hat im April 2011 eine große Konferenz ("Grenzen der EU-Grenzen der Menschenrechte") in Zusammenarbeit mit der Heinrich Böll Stiftung durchgeführt, die sich insbesondere gegen die Kriminalisierung von Menschenrettern und gegen die EU-Abschottung richtete. Wie notwendig ein engagiertes Eingreifen ist, zeigen mit aller Deutlichkeit die mehr als 2.000 Menschen, die allein in diesem Jahr ertrunken sind, als sie versuchten von Tunesien oder Libyen aus europäischen Boden zu erreichen. In zahlreichen Fällen ist belegt, dass Schiffe Hilfeersuchen von Flüchtlingen in Seenot ignoriert haben. Sie haben damit nicht nur gegen internationales Recht verstoßen, sondern sich auch mitschuldig an ihrem Tod gemacht
Wer Lebensrettung kriminalisiert, will nicht, dass schiffbrüchige Flüchtlinge gerettet werden!
Diese unterlassenen Hilfeleistungen werden durch die abschreckende Wirkung der Kriminalisierung von Lebensrettern verursacht. Es ist notwendig, weiterhin praktische Solidarität mit den angeklagten Kapitänen und ihren Familien zu zeigen.
Für die Berufungsverhandlung fordern wir Freispruch für die Kapitäne, Schadensersatz für die zerstörten Boote und Haftentschädigungen.
Unsere Solidarität soll auch anderen Fischern den Mut verleihen, in Bedrängnis geratenen Flüchtlingen auf hoher See zu helfen.
Die Abschottung der EU und ihre tödlichen Folgen sind nicht hinnehmbare Menschenrechtsverletzungen und verlangen unser Eingreifen.