Quellenangabe:
Über eine Ausstellung zu Schwarzer Geschichte und rassistische Legenden (vom 28.09.2011),
URL: http://no-racism.net/article/3912/,
besucht am 23.11.2024
[28. Sep 2011]
"Angelo Soliman - Ein Afrikaner in Wien" - so nennt sich eine Ausstellung im Wien Museum, die am 28. September 2011 eröffnet. Insbesondere das umfangreiche Begleitprogramm vermittelt einen kritischen Beitrag zur Schwarzen Geschichte.
Im ORF Kulturmontag am 19. September 2011 lief anlässlich der Ausstellung ein 30minütiger Film, der die Geschichte Angelo Solimans (um 1721 - 1796) darstellte und ein "Aufeinandertreffen zweier afrikanischer Welten in Wien" inszenierte.
Mittels kritischem Blick auf die Geschichtsschreibung wurden die wenigen bekannten Informationen über das Leben von Angelo Soliman präsentiert. Es wurde aber auch versucht, einen Bogen zur Gegenwart zu spannen, wozu die Moderation einleitend erklärte:
"Im folgenden Film von Frederik Baker geht es um das Aufeinandertreffen zweier afrikanischer Welten in Wien. Afrikaner[_innen], die heute in Wien leben, setzen sich mit dem Leben und Schicksal von Angelo Soliman auseinander, der zu Mozarts Zeiten Teil der Wiener Black Cmmunity war. Die afrikanischen Protagonist[_inn]en des Films sind übrigens auch Darsteller[_innen] des Theaterstücks 'Die Reise', ein Projekt für 30 Migrant_innen, inszeniert von Jaquline Kornmüller, das am 23. September im Wiener Volkstheater Premiere hat."
Der Kurator vermittelt einen Eindruck von wissenschaftlichem Objektivismus, wie ihn eine Ausstellung im Wien Museum wohl verlangt. Und er ist sich bewusst, dass er aus den bekannten historischen Quellen das Leben des Angelo nur bruchstückhaft rekonstruieren kann, insbesondere da persönlichen Informationen über Soliman fehlen. Deshalb suchte er nach anderen Mitteln und fand diese im Rahmen einer Begegnung mit den Darsteller_innen des o.g. Theaterprojektes. Eine Erfahrung, die ihn über die unterschiedlichen Blickwinkel und Erfahrungen philosophieren ließ.
"Es hat mich sehr gefreut die Darsteller[_innen] von dem Theaterstück die Reise zu treffen, die alle selbst Migrant[_inn]en sind, von denen mit denen wir arbeiten afrikanische Migrant[_inn]en sind und ich hab das Gefühl, hier ergänzen sich zwei Seiten, hier kommen zwei Seiten der Geschichte zusammen."
Um auf eine Gesprächsebene zu kommen, führte der Künstler seine Kolleg_innen in Museen, in denen die Geschichte Schwarzer Menschen in Wien ihre Spuren hinterließ. Vor einem Bild im Palais Liechtenstein, dass den "Besitzer" Angelo Solimans gemeinsam mit einem Schwarzen Diener zeigte, stellte er seinen Kolleg_innen die Frage, wie sie dieses Bild interpretieren. Der auf dem Bild dargestellte Diener war ein Kind. Angelo Soliman kam jedoch erst im Erwachsenenalter nach Wien und war soweit bekannt der einzige Afrikaner im Dienste des Fürsten. Doch warum hatte der Fürst auf dem Bild ein Schwarzes Kind als Diener an seiner Seite? Sollte dies den Wohlstand in der damaligen Zeit verkörpern? Wer konnte es sich leisten, so "exotisches" Personal sein_ihr Eigen zu nennen?
Nach kurzen Antworten auf diese Frage wollte der Kurator von den Schauspieler_innen wissen, ob Soliman es im 18. Jahrhundert besser gehabt habe, als sie nun im 21. Jahrhundert. Darüber entstand eine rege Diskussionen und die Meinungen gingen auseinander - auch deshalb, weil die Schauspieler_innen über unterschiedliche Aufenthaltstitel verfügen und den meisten die Ausübung einer Erwerbsarbeit nicht erlaubt ist.
Als nächste Station in der Dokumentation suchte der Kurator einen Ausstellungsbauer auf. Dieser hatte die Bekleidung, mit der Angelo Soliman nach seinem Tod zur Schau gestellt wurde, in einem oben und vorne offen Kasten rekonstruiert. Der Kurator erklärte dazu:
"Als Soliman starb 1796 wurde sein Körper beschlagnahmt, er wurde zum damaligen AKH gebracht, dort wurde er präpariert. Ihm wurde die Haut über die Ohren gezogen, wie ein Zeitzeuge sagte, oder auf ein Holzgerüst gespannt. Und er wurde im kaiserlichen Naturalienkabinett ausgestellt. Und da hatte er eben diesen bizarren Aufzug an aus Muscheln und Federn."
Wie im Folgenden über Angelo Soliman und die Darstellung der M. zu seinen Lebzeiten gesprochen wurde, erinnerte an ein von rassistischen Anschauungen geprägtes Weltbild. So dürfte der Kurator am Ausdruck, mit dem "diese Menschen damals bezeichnet" wurden, Gefallen gefunden haben. Zumindest vermittelte dies seine Wortwahl. Einerseits kritisiert er den Umgang mit Afrikaner_innen zur damaligen Zeit. Andererseits verwendete er mehrmals die mit M. beginnende rassistische Zuschreibung und reproduzierte sie dadurch. Im Folder zur Ausstellung ist sie "unter Anführungszeichen" in der "Berufsbezeichnung" zu finden. Und die Moderatorin, die einleitend Angelo Soliman als "Teil der Wiener Black Community" beschrieb, wurde möglicherweise durch den Beitrag beeinflusst. Denn in Überleitung zum nächsten Beitrag führte sie aus:
"Die M* im Wien des 18. Jahrhunderts waren exotisch und wurden bestaunt. Sie waren nicht frei aber toleriert. 200 Jahre später im 20. Jahrhundert war afrikanische Kultur unter dem NS Regime verfemt und wurde bekämpft. Jazz wurde als 'N*musik' bekämpft und war teilweise verboten..."
Doch zuvor führte die Entdeckungsreise noch nach Baden ins Städtische Rollettmuseum. Dort findet sich u.a. eine Sammlung mit den Büsten von acht Afrikanern. Diese sind Teile der gallschen phrenologischen Schädel- und Büstensammlung, was ebenso wenig erwähnt wurde wie die Tatsache, dass Franz Joseph Gall (1758-1828) Begründer der Phrenologie war, einer von Sozialdarwinismus und Rassismus geprägten Schädellehre, auf die sich u.a. der Rassenideologe und Kriminologe Cesare Lombroso (1835-1909) berief.
Der Grund für den Besuch des Rollett-Museums war, dass eine der Büsten Angelo Soliman zugeordnet wird. Der Künstler befragte dort seine Kolleg_innen über ihre Eindrücke. Einer gab zur Antwort, er fände es toll, dass Angelo Soliman hier unter so vielen prominenten Menschen zu finden sei. Dieser Sichtweise ist durchaus etwas abzugewinnen, doch steht sie mit der Geschichte des Museums und dessen Schädelsammlung nicht ganz im Einklang. Angelo Solimans Platz ist wohl weniger auf seine Berühmtheit zu Lebzeiten zurückzuführen, sondern eher auf den Umstand, dass er als "exotisch" galt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Veranstaltung im Begeleitprogramm zur Ausstellung. Am 19. Jänner 2012 wird bei einer Abendveranstaltung die Frage gestellt: "Gehören menschliche Überreste ins Museum?" In der Ankündigung dazu ist zu lesen:
"In vielen Museumssammlungen befinden sich menschliche Körper oder Leichenteile. Zumeist sind es Relikte aus einer Vergangenheit, in der für (pseudo)wissenschaftliche Zwecke Gräber geschändet, Leichen geraubt und Menschen als Forschungsobjekte gesammelt und als Attraktionen ausgestellt wurden - oft aus rassistischen Motiven. Nach welchen ethischen Prinzipien sollen Museumsverantwortliche heute mit diesem Erbe umgehen?"
Offen bleibt, wie es dazu kam. Es kann durchaus sein, dass im Zuge des Zusammenschneidens des Filmmaterials durch die Sendungsmacher_innen im ORF ein kritischer Hinweis auf die Schädelsammlung verloren ging, es kann aber auch sein, dass im Zuge der Gestaltung der Ausstellung dieser Umstand gar nicht berücksichtigt wurde?
Schade ist, dass weder im Film noch in den Ankündigungen zur Ausstellung der Beitrag von Josefine Soliman zur Schwarzen Geschichte um Selbstermächtigung erwähnt wurde.
"Als Angelo Soliman nach seinem Tod ausgestopft und im K. K. Hof-Naturalienkabinett neben einem sechsjährigen afrikanischen Mädchen, deren Name als unbekannt gilt, Joseph Hammer und Pietro Michaele Angiola wie ein exotisches Tier öffentlich zur Schau gestellt wurde, war es seine Tochter Josephine Soliman, die sich dagegen zur Wehr setzte und eine würdige Bestattung ihres Vaters forderte." (Aus :: Verborgene Geschichte/n - remapping Mozart - Konfiguration III: Was aller Welt unmöglich scheint)
Die Ausstellung im Wien Museum thematisiert u.a. "die Fortschreibung von Afrikaner-Stereotypen und latentem Rassismus bis heute". Doch wie weit ist sie selbst Teil dieser Fortschreibung? Der Eindruck, den die Vorschau auf die Ausstellung im ORF hinterließ: Sie zeichnet eine Schwarze Geschichte, in der Schwarze Menschen wieder als Exot_innen dargestellt werden. Diese fortgesetzte Exotisierung ist rassistisch, auch wenn sie das Gegenteil behauptet und vorgibt, es handle sich um die Vermittlung von Wissen über die Geschichte "des Fremden".
Nachdem hier vor allem der Film im ORF Kritik verdient, bleibt abzuwarten, was in der Ausstellung zu sehen sein wird. Und vielleicht ist es hilfreich dabei, folgende Frage im Kopf zu behalten: Was bedeutet es, wenn ein weißer Künstler die Schwarze Geschichte Wiens neu entdeckt? Klingt dies nicht so wie eine Fortschreibung der kolonialen Entdeckung Afrikas - nur eben jetzt auf europäischem Boden?
Dieser Text ist die Meinung einer Person, die hofft, dass dadurch eine konstruktive Diskussion zur Ausstellung angerissen wird. Dazu sei noch angemerkt, dass wir alle nicht frei sind von rassistischen Stereotypen...